Rammstein spritzen ab

Rammstein spritzen ab

Leipzig, Veranstaltungshalle «Arena», 17. November 2011. Es ist der deutsche Tourauftakt zum Best-Of-Album Made in Germany 1995-2011. Und es ist wie immer bei Rammstein: die Tickets sind teuer und waren bereits nach wenigen Stunden ausverkauft, der Schwarzmarkt schreit, der Veranstalter auch. Hier in Leipzig hatten die DDR-Punker 1994 ihr erstes Konzert gegeben, vor 15 Zuschauern. Heute sind 11.000 gekommen, Bier wird gern gekauft, es herrscht deutlicher Männerüberschuss. Und die Vorfreude auf eine perfekte, pulstreibende, packende Abendunterhaltung.

Der Einmarsch der sechs Männer erfolgt mitten durch das Publikum, einmal quer durch die Leipziger Arena. Mit Fackelträger voran, marschieren sie maschinell im Takt zu einem Podest in der Mitte des Raums, dann per Stahlbrücke, auf der es zischt und knallt, über die Köpfe der Tausenden auf die Bühne. Dort stehen sie starr – es ist wie ein Einmarsch der Gladiatoren. Gekommen, die Elftausend in der Halle zu unterhalten, die verborgensten Lüste der Masse herauszukitzeln, ihre versteckten Phantasien, ihre Verführbarkeit und ihre Massenbegeisterung.

Wenn sich Männer über Penis-Schaum freuen

Das ist eine Seite von Rammstein, die abartige. Die hat der Band schon viele PR-Coups eingebracht. Der jüngste war die Indizierung ihres letzten Studioalbums wegen sado-masochistischen Inhalts. Liebe ist – nun wieder – für alle da, die Indizierung wurde aufgehoben.

Die andere Seite von Rammstein ist die Folklore. Die Band bedient Klischees und gibt sich in einzelnen Titeln immer mal wieder ironisch. Sie spielt mit deutschen Stereotypen von Maschinen und Präzision, sie spielt mit Nazi-Ästhetik und der Pillemann-Fixierung von Männern. Da sitzt Sänger Till Lindemann bei Pussy auf einer riesigen Penis-Schaumkanone und spritzt die Masse voll. Da schnallt sich Lindemann bei Bück dich – und ja, der Titel ist Programm – einen Kunststoffpenis um die Lenden und spritzt eine milchig-helle Flüssigkeit zwei Minuten auf das umstehende, dankbare, meist männliche Publikum. Das kann man nicht ernst nehmen. Aber man kann durcheinander kommen, wie die Musik nun einzustufen ist, mal ironisch, mal politisch, mal pervers.

Wenig Neues, weiter Weltklasse

Die opulente Show bietet im Vergleich zu Vorgängertouren wenig Neues, aber sie ist weiter Weltklasse. Bei Mein Teil, der musikalischen Verarbeitung des Kannibalen von Rotenburg, muss Keyboarder Flake in einen Kochtopf steigen, der von Sänger und Songschreiber Till Lindemann per Flammenwerfer beheizt wird. Bei Du hast fliegen Raketen über das Meer der Zuschauerköpfe, bei Feuer frei und dem Einstiegssong Sonne machen die hochschießenden Flammen schön warm ums Herz. Während der insgesamt 21 Titel prasseln immer wieder Sprühfontänen auf Bandmitglieder nieder, Feuer- und Leuchtkugelkreise schießen umher, Gitarren brennen, Sänger Till Lindemann mit Engelsflügeln auch.

Und neben Pyrotechnik und Perversion? Da sind Rammstein eher unterkomplex. Der Takt ist schön stampfend – und immer im Vier-Viertel-Takt. Die Gitarrenriffs sind brachial, aggressiv – und einfach. Die Texte sind allegorisch – und plakativst. Gemeinsam mit der Show funktioniert diese Mischung in den zwei Stunden wunderbar, sie ist opulent, brachial, Energie pur. Einfachheit siegt – und Rammstein rammt.

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Tourauftakt – Rammstein spritzen ab

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