Bitte lesen Sie unbedingt unseren gestrigen Artikel (inkl. der Updates) als Grundlage zu diesem Thema. Rajoy hatte noch vor zwölf Tagen eine Bankenrettung kategorisch ausgeschlossen. Heute Nachmittag wird die Gruppe der Euro-Finanz- und Wirtschaftsminister wie angekündigt bei einer Telefonkonferenz darüber beraten, wie mit Spanien weiter zu verfahren ist. Es wird erwartet, dass die spanische Regierung mindestens 40 Milliarden Euro beantragt, die laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds nötig sind, um den spanischen Finanzsektor zu “retten”. Rajoy kämpft jetzt nicht mehr gegen die Sache an sich – er bereitet sich und seine Partei darauf vor, mit allen Mitteln das Wort “Rettung” zu vermeiden.
Gestern war ein Tag, der als blendendes Beispiel dafür gelten kann, wie schwierig Journalismus ist und wie sehr man sich auf sein eigenes Verständnis der Lage verlassen muss, um die Situation richtig einzuschätzen. Am Freitagmorgen berichtete Reuters über die mögliche Bankenrettung Spaniens. Die Nachrichtenagentur wollte das aus zwei Quellen der EU und einer deutschen erfahren haben und kündigte eine Telefonkonferenz der Euro-Gruppe für Samstagnachmittag an.
Zwei Stunden später publizierten etliche Quellen ein Dementi. Das Ganze sei nur ein durch die deutsche Regierung gezielt gestreutes Gerücht, um Spanien unter den Rettungsschirm zu treiben. Gar nichts los, alles eine Ente. Dazu passte, dass die spanische Regierung versicherte, es sei “keine Entscheidung gefallen” und Juncker unterstrich, es gebe kein Rettungsersuchen aus Madrid. Die konservative Zeitung “ABC” bezeichnete Reuters garals “journalistische Brandstifter”. Einen Augenblick lang hatten wir gezweifelt in diesem Moment und uns gefragt, ob wir unseren Artikel so aufrecht erhalten oder gar vom Netz nehmen mussten.
Am Ende haben wir uns entschlossen, ihn weiter zu aktualisieren und daran festzuhalten. Zu logisch war der Zusammenhang. Nachrichtenagenturen, im Gegensatz zu Zeitungen und Magazinen, überlegen sich generell dreimal, ob sie solch schwerwiegende Entwicklungen anhand nicht zitierbarer Quellen publizieren. Reuters musste also einen erwähnenswerten Hintergrund dafür haben. Viel wichtiger waren aber zwei andere Dinge. Erstens glaubt in Spanien schon lange niemand mehr, dass das Land ohne fremde Hilfe in der Lage ist den Bankensektor zu sanieren, trotz oder gerade wegen Rajoys kategorischen Dementi, die ausschliesslich seinem dummen Stolz entsprangen, niemanden um Hilfe bitten zu wollen.
Um die Stühle durchsichtig machen zu können, reicht es heutzutage nicht mehr, an Quellen zu kleben, weil in der Ära der Beliebigkeit niemand mehr Verantwortung für seine Äusserungen übernehmen muss. Deswegen verlangt wirklicher Journalismus mehr und mehr das eigene Verständnis der Zusammenhänge.
Wenn das aber so ist, musste Madrid unbedingt vor der Griechenlandwahl (17. Juni) reagieren! Ein Euro-Austritt der Griechen wird überall in der EU schwerwiegende Folgen haben, besonders aber in Spanien. Rajoy muss für diesen Fall mit einem Bankrun rechnen und einem verschärften Angriff “der Märkte” auf Madrid. Um in diesem Sturm nicht unterzugehen, bleibt gar nichts anderes übrig, als den spanischen Banken vorher viele Milliarden in die Tresore zu schieben, sonst würde Spanien nach dem 17. Juni hinweg gefegt, das weiss Rajoy.
Besonders aus diesem Zusammenhang heraus war die Reuters-Meldung sehr logisch und damit glaubwürdig, deswegen blieben wir trotz aller Dementis bei unserer Berichterstattung, nicht ohne ganz leicht mulmiges Gefühl natürlich. Bereits am Freitagnachmittag schien uns die Äusserung des Vize-Präsidenten der EZB, Vitor Constancio, in Lissabon Recht zu geben. Heute zeigt sich, dass Reuters den Nagel perfekt auf den Kopf getroffen hat und Spanien eilig den Brand zu löschen bereit ist, der bis gestern angeblich gar nicht existierte. Journalismus ist heutzutage viel mehr das Vertrauen auf eigenen Bauch und Kopf als Quellengläubigkeit. Wie sich jetzt zeigt, waren alle offiziellen Dementis nichts wert.
Nun ist die Rajoy-Regierung bereits einen Schritt weiter. Die Arbeitsanweisung an die Regierungsmitglieder ist so simpel wie lächerlich: Die Rettung darf keinesfalls Rettung genannt werden. Gegen diesen Terminus sollen sich ab morgen alle heftig wehren. Schliesslich sei es nur eine Finanzspritze für die Banken, so etwas könne nicht Rettung genannt werden, lautet die Parole. Es handele sich um 4% des Bruttoinlandprodukts und sei damit weit weg von dem, was in Griechenland, Irland oder Portugal passiert ist. Wieder einmal schlägt Neusprech zu: Wenn ein Kuhfladen zu sehr stinkt, muss man ihn anders nennen, damit er nicht mehr stinkt.
So ist die Voraussage sehr einfach: Spanien wird in den nächsten Stunden eine Bankenrettung beantragen, die keine ist, weil sie keine sein darf. Die Euro-Kollegen werden schulterzuckend 40 Milliarden überweisen, denn die stehen ja längst zur Verfügung. Rajoy hätte sie vor Wochen schon haben können und damit Spanien die exorbitanten Zinsen erspart, aber sein Ego verhinderte das. Natürlich ist die Sache damit nicht zu Ende und alle Spanier spüren das. Die Banken werden noch viel mehr Kapital brauchen (nach unserer Einschätzung mindestens doppelt so viel) und mehr Milliarden in den Bankentresoren schaffen keine Arbeitsplätze, finanzieren keine Regionen, keine Gesundheits- und Erziehungsbudgets. Das dicke Ende kommt noch!