Wirtschaftsminister Luis de Guindos hetzt von Hauptstadt zu Hauptstadt, um die “spanische Rettung” in letzter Minute zu vermeiden. Heute kam er mit seinem französischen Kollegen Pierre Moscovici überein, die Bankenunion müsse “noch vor Jahresende” vollzogen sein unter Einbeziehung der Europäischen Zentralbank (EZB), wie aus einem gemeinsamen Kommunique hervor geht. Derweil bastelt Regierungschef Rajoy in Madrid schon an anderen Lösungen. Auch der Euro-Austritt ist dabei jetzt plötzlich ein mögliches Szenario – aus Angst vor Gesichtsverlust.
“Wir unterstreichen unsere Bemühungen, alle Beschlüsse des EU-Gipfels vom 28. und 29. Juni schnellstmöglich umzusetzen”, versichern De Guindos und Moscovici, “unsere gemeinsame Strategie für die Stabilität in der Euro-Zone beinhaltet einen integralen Mechanismus der Bankenaufsicht vor Jahresende unter Beteiligung der EZB.” – Nach seinem gestrigen Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Schäuble in Berlin hatte De Guindos kein solches Datum anzubieten gehabt.
Doch das ist nur die offizielle Version der Lage. In Madrid hält man inzwischen alles für möglich. Selbst innerhalb der Partei (Partido Popular) des Regierungschefs Mariano Rajoy reift die Erkenntnis heran, dass eine “Rettung” des Staates möglicherweise nicht mehr zu vermeiden sein wird. Das würde dann noch mehr Sparauflagen bringen, die Inlandsnachfrage noch weiter abwürgen, die Sozialausgaben noch weiter in die Höhe treiben. Vor allem aber würde es das Scheitern der konservativen PP-Regierung vor aller Augen zertifizieren.
Letzteres will Rajoy keinesfalls! Deswegen spielt man heimlich, still und leise inzwischen auch in Madrider Regierungskreisen mit der Option, aus dem Euro auszusteigen, bevor die Herren mit dem Frack aus Brüssel anreisen. Niemand würde das zugeben; noch wird auch nur die Möglichkeit eines Rettungsersuchens unmissverständlich dementiert. Das war allerdings auch noch am Tag vor der Bankenrettung passiert: Standard and poor! Mit der perfekten Erklärung für jeden Widerspruch, die auch diesmal wieder zu hören sein wird: “Wenn man etwas vorhat, macht man es und redet vorher nicht drüber, um die Märkte nicht aufzuscheuchen.”
“Mehr Arbeitsplätze, weniger Steuern” – der Wahlkampf von Rajoy klingt heute wie purer Sarkasmus.
Um es auf den Punkt zu bringen: Mariano Rajoy und seine Minister haben keinerlei Plan und verstehen die ganze Situation nicht mehr. Sie sind sicher, alles getan zu haben, was in ihrer Macht steht. Das rigoroseste Streichungs- und Kürzungsprogramm in Europa hat zu keiner Erleichterung geführt. Alle Massnahmen, die in der Bibel der Märkte gefordert werden, schufen kein “Vertrauen der Investoren”. Die EZB weigert sich – unter dem Druck von Berlin -, mit dem Kauf spanischer Staatsanleihen Druck aus dem Kessel zu nehmen. Die Regierung weiss schlicht nicht weiter. Jetzt geht es nur noch darum, das eigene armselige Gesicht zu wahren. Euro-Austritt statt Troika-Besuch; Flucht statt Scheitern … klingt da gar nicht mal so schlecht.
Die Partido Popular könnte sich als Retter Spaniens aufspielen, mittels absoluter Mehrheit in einem abgeschotteten Land wieder nach Belieben schalten und walten, die Fleischtöpfe ohne Intervention von aussen verteilen. Den Euro-Austritt kann man dann immer noch auf die Sozialisten schieben, und der Vorgängerregierung zum hundersten Mal attestieren, das Land in den Ruin getrieben und ein unbeherrschbares Erbe hinterlassen zu haben. Hauptsache das eigene Gesicht wahren und einen Schuldigen benennen können – der Rest wird sich schon finden.
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