Mariano Rajoy plant schon die nächsten Einschnitte. Spaniens Regierungschef will um jeden Preis die mit Brüssel vereinbarte Defizitgrenze von 6,3 Prozent des BIP einhalten und ist bereit, dafür zu opfern, was auch immer geopfert werden muss. Oder richtiger ausgedrückt: Seine Bevölkerung zu opfern, wie immer ihm das geraten erscheint, um “die Märkte” zu beruhigen. In vorauseilendem Gehorsam will er alle Massnahmen, die die Troika bei der absehbaren “Rettung” auch nur theoretisch von ihm fordern könnte, schon vorher vollziehen.
“Wo, zum Teufel, will Rajoy denn noch sparen, es ist doch schon alles weg?” – Fragen solcher Art hört man in diesen Tagen überall. Doch es geht immer noch einer mehr. Die Renten, die bisher als unberührbar galten, sind es plötzlich nicht mehr, wie aus Regierungskreisen verlautet. Weitere Steuerhöhungen werden bereits geplant. “Es gibt rein gar nichts, was man von aussen von uns in den kommenden Monaten verlangen könnte”, lässt ein Regierungsmitglied keinen Zweifel an den Absichten, “Rajoy ist wild entschlossen, die Defizitgrenze einzuhalten, mit oder ohne Rettung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass noch viel drastischere Massnahmen folgen werden als die, die bisher schon beschlossen wurden.”
Rajoy, der von “Es wird keine Staatsrettung geben!” über “Erstmal sehen, was die EZB unter Rettung versteht …” inzwischen bei “Wir werden das tun, was am Besten für alle Spanier ist” angekommen ist, weiss sehr genau, dass er einem Rettungsersuchen des Staates nicht mehr entkommen kann. Darüber wird Mitte September beraten werden. Doch vorher will die konservative Regierung um jeden (sozialen) Preis dafür sorgen, dass die Defizitgrenze von 6,3 Prozent eingehalten wird. Die Ausgabenseite ist dabei mehr oder weniger klar und berechenbar. Rätselraten herrscht in der Regierung jedoch darüber, wie sich die Einnahmen entwickeln werden.
Die erste Jahreshälfte sah nicht gut aus. Durch die Rezession und den Druck “der Märkte” wurden die Voraussagen über den Haufen geworfen. Allein für Zinszahlungen mussten drei Milliarden Euro mehr aufgewendet werden wegen der hohen Riskoprämie. Die Einnahmen aus der angehobenen Lohnsteuer steigen, aber nicht so sehr wie vorausgesehen. Der drastische Absturz bei den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und den Konsumsteuern (Tabak, Alkohol usw.) zeigt, wie stark der Inlandskonsum in Spanien einbricht. Deswegen herrscht auch erhebliche Skepsis in der Regierung, was die drastische MwSt.-Erhöhung zum 1. September bringen kann oder nicht. “Wenn die Einkünfte weiter sinken, werden wohl weitere Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen unvermeidlich”, sagt ein Regierungsmitglied.
Überall Fragen und kaum Antworten: Wie werden sich die Konten der Sozialversicherung entwickeln angesichts immer mehr Arbeitsloser? Und wie sieht die Lage in den autonomen Regionen (Ländern) wirklich aus? Mariano Rajoy ist mit mehreren Länder-Regierungschefs über Kreuz und kann sich auf Zusammenarbeit längst nicht überall verlassen. Vor allem aber weiss kein Mensch, was durch die beschlossene Steuer-Amnestie in die Kassen gespült werden kann. Dabei liegen die Voraussagen zwischen “mehrere Milliarden” (Regierung) und “garantiert keine 500 Millionen” (Uhupardo) weit auseinander. Es ist wie Lotterie spielen derzeit in Madrid.
Ständige Leser dieser Seite werden sich nun fragen, wo man denn noch den Rotstift ansetzen will, wenn Gesundheit, Kultur, Bildung und andere Bereiche bereits auf ein unerträgliches Mimimum herunter gefahren wurden, Beamtengehälter gekürzt wurden (um insgesamt fünf Milliarden Euro) und vieles mehr. Im Gespräch ist derzeit, die Steuerabzugfähigkeit für den Kauf der Erstwohnung oder für die Einzahlungen in Rentenversicherungen rückwirkend (!) abzuschaffen. Das würde sechs bzw. zwei Milliarden zusätzlicher Staatseinnahmen bringen – und Rajoy einen immensen politischen Preis kosten, doch die Frage ist, ob das noch eine Rolle spielt: Ist der Ruf erst ruiniert …
Eine ausserordentliche Abgabe für die Reichsten des Landes oder eine Steuer auf grosse Vermögen, wie es die sozialdemokratische Opposition (PSOE) vorschlägt, lehnt Rajoy bisher strikt ab. Der Internationale Währungsfond hat eine weitere Mehrwertsteuer-Erhöhung “angeregt”, doch zwei solcher Erhöhungen in einem Jahr hält sogar die konservative Regierung für eine eher skurrile Idee. Angedacht sind weiterhin – wie sollte es anders sein – noch mehr Steuern auf Gas, Benzin, Diesel, Tabak und Alkohol. Jetzt bleibt nur noch die Frage, wann das allerletzte Versprechen Rajoys Makulatur ist und die sowieso lächerlich niedrigen Renten gekürzt werden. Keine Frage des “ob”, nur noch des “wann”.
Nach einem hysterischen Juli und der relativen Ruhepause im traditionellen Urlaubsmonat August, dürfte die Protestwelle in Spanien Mitte September ihren neuen Höhepunkt erreichen. Für den 15. September ist bereits eine riesige Demonstration in Madrid in Planung für die Menschen aus allen Teilen Spaniens in die Hauptstadt kommen werden – und, wie wir soeben erfuhren, sogar deutsche Uhupardo-Leser nach Madrid fliegen werden, um sich mit den Spaniern solidarisch zu zeigen. Eine bemerkenswerte Geste! *chapeau* Wir werden schon im Vorfeld ausführlich darüber berichten, was sich am 15. September abspielen soll.
Lesen Sie dazu auch:
* Back to Franco: Passiver Widerstand und Aufruf zu Demonstrationen werden strafbar
* Ab jetzt gibt es keine Ruhe mehr: Hunderttausende Spanier demonstrieren in 80 Städten
* Protest im Supermarkt: “Wenn man das Volk enteignet, müssen wir die Enteigner enteignen!”
* Bildung – tot; Kultur – tot; Wissenschaft – tot; Überschrift: Spanien!
* Steuer-Amnestie soll 25 Milliarden Schwarzgeld ans Tageslicht bringen
* Es ist alles viel schlimmer: Zwei Mehrwertsteuer-Erhöhungen in einer
* Barzahlungen über 2.500 Euro sind jetzt illegal; Auslandskonten müssen registriert werden