Rage 2, eine Fortsetzung, die wohl kaum jemand jemals für möglich gehalten hat. Nachdem id Software den ersten Teil auf der „Last Gen" noch alleine entwickelt hat, haben sie sich für die Fortsetzung die Open-World-Spezialisten von Avalanche Studios dazu geholt. Während id Software den Shooter-Part entwickelten haben die Macher der Just Cause Reihe sich um alles andere gekümmert. Leidet Rage 2 an den „Just Cause"-typischen Open-World-Krankheiten oder erwartet uns hier der erste Anwärter auf das Spiel des Jahres?
Walker, Ödland Ranger!
Aber fangen wir erstmal vorne an. Wer den Erstling seinerzeit verpasst hat muss sich keine Sorgen machen, wird die Story im Intro doch recht gut und kompakt zusammengefasst: ein riesiger Asteroid hat die Zivilisation, wie wir sie kennen, vernichtet und hat dabei auch gleich das außerirdische Mineral mitgebracht, auf dem durch die Umwandlung in Nanotrit Protagonist Walkers Fähigkeiten entstanden.
Grafisch fußt der Endzeit-Shooter auf der Apex Engine der Avalanche Studios. Also auf der gleichen Technik wie aktuell Just Cause 4. Unser Spielcharakter heißt Walker und er oder sie, das Geschlecht können wir bei Spielbeginn nämlich selbst bestimmen, wird schon zu Spielbeginn zu einem Ranger. Also einer Art Ödland-Superpolizist, der für Recht und Ordnung sorgt. Heute schon eine Ausnahme, erhält Walker auch die zu seinem Geschlecht passende Stimme und gibt immer wieder Kommentare ab, spricht in Dialogen mit NPCs oder tauscht sich mit seinen Verbündeten im Spielverlauf per Funk aus.
Die Story ist schnell erzählt: die Obrigkeit, eine Mischung aus fiesen, im Labor erzeugten Monstern gepaart mit technologischen Implantaten, wollen die Macht an sich reißen und sich alle Lebewesen des Ödlandes einverleiben. Schnell wird im Tutorial zu Spielbeginn klargestellt, dass die Obrigkeit, angeführt von General Cross, die Bösen sind und Walker, der letzte Texas Ranger, der Gute ist. Aus Rachegelüsten angetrieben machen wir uns also mit Frau oder Herrn Walker auf, drei NPCs zu finden und durch ihre Unterstützung den Kampf zu General Cross zu bringen. Die Story ist so platt wie sie hier klingt und daraus macht auch der Game Director Magnus Nedfors keinen Hehl. Sinngemäß verrät er im Interview mit vg247, dass man Rage 2 wegen der Action und nicht wegen der Story spielen sollte. Recht hat der Mann!
Da hilft auch kein Defi mehr!
An manchen Stellen finden in den sogenannten Handelsstädten, quasi dem letzten Rest Zivilisation in einer Welt, die am ehesten noch Mad Max anstelle von Fallout nahekommt, durchaus interessant-lustige NPC Situationen statt. Wie z. B. die beiden Typen aus dem Trailer, die sich aufregen, weil beide das gleiche Outfit anhaben und damit gekonnt die zahlreichen Klon-NPCs aus dem Shooter-Genre aufs Korn nehmen. Das Ende des Aufeinandertreffens der beiden habe ich so nicht erwartet. Oder NPCs die sich zu viert um einen Bewusstlosen sammeln, der auf dem Boden liegt und ihn wiederholt vorsichtig mit einem Stock anstupsen. Ansonsten wars das. Lediglich die drei Hauptauftraggeber und zwei, drei andere NPCs, die uns in der Story begegnen, sind ansatzweise interessant ausgearbeitet. Aber letztlich geht es nur um eines: Hey Walker, hole mir Gegenstand X aus Y damit ich dir Z für den Endkampf geben kann.
Kern des Spiels ist aber ganz klar das überragende Gunplay. Hier wird sofort die Handschrift von id Software erkennbar, die in Rage 2 nicht weniger geniale Shooteraction abliefern als zuletzt schon in Doom (2016) und hoffentlich bald wieder in Doom Eternal. Hier macht Rage 2 am meisten Spaß: springen, rutschen, dashen (dazu später mehr) und aus allen Rohren feuernd fallen Mutanten, Banditen und Obrigkeitsangehörige schnell zu Boden. Auch haushohe Mutanten sind Walkers Arsenal nicht gewachsen. Darunter befinden sich die Klassiker wie Pistole, Schrotflinte und Sturmgewehr, aber auch eine Pistole, die Brandsätze verschießt, der Grav-Pfeilwerfer sowie Raketenwerfer und eine Art Laser-Gatling. Alle Waffen lassen sich sowohl im Level erhöhen, was die Werte der Waffe verbessert, und dank Waffenmods noch weiter anpassen. So kann das Sturmgewehr schneller nachgeladen werden oder mehr Munition im Magazin bereithalten aber auch größeren Schaden bei Rüstungen von Feinden verursachen.
Die muss man nämlich erstmal vom Körper des Feindes runterschießen, bevor man zu blutigen Kopfschüssen oder Nahkampfskills ansetzen kann. Auch der Wingstick, eine Art klingenbehafteter Bumerang, ist wieder mit von der Partie. Vor allem in Kombination mit den Nanotritfähgikeiten seiner Rangerrüstung werden auch zahlenmäßig überlegende Fieslinge schnell und blutig erledigt. Kombiniert man z. B. den Sprung mit der Zerschmettern-Fähigkeit, kann man mitten in eine Gruppe von Gegnern springen und durch einen Schlag auf den Boden alle auf einmal in rote Suppe verwandeln. Vorausgesetzt, man hat die entsprechenden Fähigkeiten schon aus den Archen geborgen und weit genug aufgerüstet.
Der Trailer lügt ja - irgendwie zumindest
Dafür sorgt, trotz Schwierigkeitsgrad „schwer" vor allem die kaum fordernde KI der Gegner. Die gehen zwar in Deckung, greifen kontinuierlich an und werfen Granaten, reihen sich aber auch gerne neben- oder hintereinander so auf, dass eine Salve aus dem Sturmgewehr schnell für Ruhe sorgt. Deshalb habe ich auch kaum etwas anderes eingesetzt, außer Sturmgewehr und Granaten. Das Spiel fordert auch auf höheren Schwierigkeitsgraden leider nicht den Einsatz der Fähigkeiten, unterschiedlicher Waffen, Granaten, Drohnen und Wingsticks. Schade! Nur für eine spannende Optik bin ich nicht motiviert genug, mich länger als nötig in Rage 2 aufzuhalten.
Die angesprochene Apex Engine liefert ruckelfreie, stabile und durchaus ansehnliche Action. Dabei leidet auf der Xbox One S die Optik leider besonders unter heftigen Treppeneffekten, Popups in der Open-World und insgesamt einem merkwürdig griseligen Bild, als ob das gesamte Bild von einem Filter verschlimmbessert wird. Daran hat man sich nach einer guten Stunde Spielzeit zwar gewöhnt, Besitzer einer Xbox One X sind hier aber ganz deutlich im Vorteil.
Lone Ranger - Hiho Phoenix!
Immer mal wieder fallen kleine Asteroiden auf die Erde, die dann schnell heiß umkämpft sind. Hier gilt es ihren Einschlagkrater zu finden, Gegner zu besiegen und das Mineral aufzunehmen, um damit weitere Fähigkeiten aufzurüsten. Auch das Auffinden und Öffnen von Archen und Archentruhen helfen dabei, die drei Haupt-NPCs im Level aufsteigen zu lassen.
In den Mutantennestern warten am Ende immer haushohe Viecher auf Walkers bleihaltige Ernährungsberatung. Schade ist nur, dass diese Bosse auch mehrfach im Spiel, wenn auch in leicht veränderter Form, als Zwischenbosse beim Kampf gegen die Obrigkeit eingesetzt werden. Das Schema ist immer das Gleiche: Fokus aktivieren - hervorgehobene Schwachstellen merken - draufhalten - nachladen - draufhalten. Ab und zu kommen noch mal ein paar normale Fußsoldaten als Unterstützung für das Riesenvieh dazu, aber das war es dann auch schon an Abwechslung. Wer dann noch viele Mutantennester abgearbeitet hat, bekommt echt eine Menge der immer gleichen Kämpfe zu sehen. Auch wenn bei den Monstern in den Nestern meist die Knie der Schwachpunkt sind.
Damit haben bisher zwei weitere Nebenaufgaben keine Erwähnung gefunden: die Rückkehr von Mutant Bash TV und die Killerrennen. Beides muss man im Rahmen der Hauptstory zumindest ein Mal erfolgreich beenden, wobei beim Rennen das Erreichen von Platz eins zwingend erforderlich ist. Bei Mutant Bash TV geht es darum, wie der Name schon verrät, Mutanten zu bekämpfen. Das aber in einer Aneinanderreihung kleiner Arenen. Je schneller und spektakulärer die Mutanten erledigt werden, umso mehr Mutant Bash TV Marken erhält man. Dafür kann man sich im Mutant Bash TV eigenen Shop dann Munition und Upgrades-Items kaufen und auch andere Skins für die Waffen.
Fazit
Leider leidet Rage 2 an den typischen Avalanche Studios Krankheiten. Das Shooter-Gameplay ist überragend und macht richtig Laune, auf der anderen Seite ist der ständige Zwang, sich mit Fahrzeugen durch die Lande zu bewegen, ein absoluter Spielzeitstrecker. Was nicht ist grundsätzlich schlimm ist, hier aber leider absolut langweilig. Zwar laden die besonderen Orte auf der Karte stets dazu ein, rauszufinden was es dort zu finden gibt und drängen damit auch schnell das eigentliche Ziel der Hauptmission in den Hintergrund. Hat man aber mal einige Banditencamps gesäubert, Obrigkeitstürme zerstört und Mutantennester geleert sowie Kopfgelder erfüllt, wird es schnell langweilig. Die Aufgaben sind immer die gleichen: hinfahren, alles töten, looten - nächste Kartenmarkierung. Auch storytechnisch findet hier keine Motivation statt und wenn man mal 2-3 Stunden am Stück Zeit in der Welt von Rage 2 verbringt ist der Abnutzungs- und Ermüdungseffekt leider echt enorm. In kleineren Dosen von 30 - 60 min., hier mal eine Mission machen, hier mal ein paar Nebenaufgaben auf der Karte erledigen, macht Rage 2 aber dafür Dank des schnellen und abwechslungsreichen Gunplays, der Waffenmods und Nanotritfähigkeiten, eine Menge Spaß. Die Open-World zwischen diesen Feuergefechten bremst aber irgendwie alles aus. Eine lineare, dafür längere und intensivere Shootererfahrung wäre hier irgendwie besser gewesen. Zwar kehre ich auch mit Abschluss der Hauptstory nach knapp 7 Stunden Spielzeit gerne mal für ein paar Nebenaktivitäten ins Ödland zurück, aber lange werde ich hierzu wohl nicht motiviert sein. Schade! Ein Lichtblick am Horizont könnten da die zusätzlichen Missionen sein, die für den Sommer angekündigt wurden. Die lassen sich hier im Test nur eben noch nicht mitbewerten. Wer einen soliden Shooter sucht und wen die Probleme der Open-World nicht stören, hat durchaus einige Stunden Spaß mit Rage 2. Alle anderen warten vermutlich besser auf Doom Eternal oder spielen weiter Just Cause 4.