„In deinem Alter kann man schon Jules Verne lesen!“ Diesen Satz, so erklärt Jens Claßen dem Publikum im TAG, sagte Elias Canetti zu ihm auf einer Parkbank am Züricher See als er ein 9 Jahre alter Junge war. Damals wusste Claßen weder wer Canetti war, noch dass dieser für ihn einmal zu einer bestimmenden Figur in seiner künstlerischen Laufbahn werden würde.
„Die Blendung“, der erste Roman des Autors, ist nun in einer Bühnenfassung von Margit Mezgolich im TAG zu sehen. Genauer gesagt in einer Fassung, die von Jens Claßen zum Teil lesend begleitet, aber auch moderiert wird.
Die Blendung im TAG (c) Anna StoecherIn einem bedrückenden Bühnenbild von Alexandra Burgstaller, die einen großen, mit dunkelbraunem Holz vertäfelten Raum wiedergibt, in dem sich riesige, grellrote Folianten befinden, agieren Alexander Braunshör als Hauptfigur Kien sowie Petra Strasser als Hausgehilfin und seine spätere Frau. Die absurde Szenerie, die sich durch Verschieben der Wände in späteren Szenen als höchst wandelbar erweist, unterstreicht den ebenso absurden Charakter der Figuren aus dem Roman.
Kien, ein blutleerer, aber von seinen Büchern besessener Gelehrter, heiratet seine Haushälterin, da er glaubt, dass diese ein Herz für seine Bücher habe. Dass er in seinem sozialen Gehabe ziemlich unterbemittelt ist, kann man aus seiner Aussage gut ablesen, wonach kein Mensch so viel Wert sei wie seine Bücher. Schon kurz nach der Hochzeit stellt sich heraus, dass sich Kien in der Charaktereinschätzung seiner Frau geirrt hat und das Geschehen nimmt seinen unaufhörlichen Lauf bis hin zu seinem bitteren Ende.
Die Regie von Mezgolich rückt das Tragik-Komische der einzelnen Charaktere in den Vordergrund. Die übertriebenen Kostüme und Masken erinnern, wie auch die Spielweise mit ausladenden Gesten und lauten Deklamationen, teilweise an Commedia dell´arte-Figuren. Georg Schubert und Elisabeth Veith agieren gleich in mehreren Rollen, wobei Schubert als proletiger Ex-Polizist und Veith als verkrüppelter Gauner besonders beeindrucken.
Die ungeheuren Verwicklungen des Geschehens kommen dadurch zustande, dass Kien und seine Frau eine gänzlich andere Sprache sprechen. Kien ist von der Idee getrieben, der Menschheit als größter Sinologe seiner Zeit, wie er sich selbst bezeichnet, eine außergewöhnliche Bibliothek zu hinterlassen und verliert ob dieser Beschäftigung jeglichen Realitätsbezug. Er geht sogar so weit, Menschen, die ihre Bücher in einer Pfandleihanstalt versetzen wollen, Geld zu geben, damit die Bücher nicht einer solchen Schmach ausgesetzt werden. Wunderbar, wie Braunshör, im Aussehen beinahe Nosferatu-gleich, sich seine Ehefrau mit größtem Despotismus vom Leib hält und im Handumdrehen einem Schwindler auf den Leim geht, dessen Tun mehr als durchsichtig ist. Herrlich, wie Petra Strasser in ihrem blauen Bauschrock durchtrieben ihren Mann betrügen und sein Geld an sich reißen will. Ihre stereotypen Antworten kann man schon nach wenigen Auftritten mitsprechen und sich köstlich dabei unterhalten.
Anklicken umMezgolich hat den Text geschickt gekürzt und dabei Figuren weggelassen, ohne dass die Hauptaussage von Canetti darunter leidet. Dass sich Claßen gegen Ende hin plötzlich selbst mitten im Geschehen findet, ist ein intelligenter Kunstgriff. Die Vorstellung zelebriert auch das Theater selbst, denn wo sonst dürfen heute noch Objekte und Menschen in der Versenkung verschwinden oder plötzlich unterwartet aus dem Boden auftauchen?
Ein Abend, der all jenen zu empfehlen ist, die einen amüsanten und zugleich intelligenten Theaterabend erleben möchten. Oder all jenen, welche „Die Blendung“ von Canetti mit ihren über 500 Seiten nicht zu lesen gewillt sind, aber dennoch einen unvergesslichen Eindruck von dem Roman bekommen möchten.
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