Seit vielen Jahren sind Harold und Maureen Fry miteinander verheiratet, und seitdem beide Rentner sind, müssten sie eigentlich viel Zeit füreinander haben. Doch sie leben schon seit einiger Zeit nur noch nebeneinander her, reden kaum, teilen nur noch Tisch – nicht mehr Bett. Ihr Sohn David – das einzige, was sie immer zusammengehalten hat – wohnt nicht mehr bei ihnen, er ist erwachsen, lebt sein eigenes Leben. Bis Harold eines Tages einen Brief seiner ehemaligen Kollegin Queenie Hennessey erhält. Aus einem Hospiz an der Grenze zu Schottland. Sie liegt im Sterben.
Harold schreibt ihr zurück, nur ein paar Zeilen, schiebt den Brief in einen Umschlag und macht sich auf den Weg zum Briefkasten. Am Briefkasten geht er dann vorbei, genau wie am Postamt, und am Ortsausgangsschild. Harold will zu Fuß zu Queenie gehen – 1000 Kilometer – in Segelschuhen. Denn Queenie soll leben, wenn er es schafft, dann wird Queenie leben. Mit diesem Mantra im Kopf läuft Harold Tag für Tag seinem Ziel entgegen.
Harold ist zielstrebig. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, die 1000 Kilometer zu gehen, also tut er es auch. Trotz vieler Rückschläge – er hat schmerzende Füße, schmerzende Beine, eigentlich tut ihm alles weh, denn er hat keinerlei Wandererfahrung und auch nicht die geeignete Ausrüstung dabei; ihn plagen Selbstzweifel und oft ist er kurz davor aufzugeben; seine Frau Maureen gibt ihm unmissverständlich zu verstehen, dass sie ihn für komplett verrückt hält und ihn bei seiner Aktion nicht unterstützen wird – geht Harold jeden Tag weiter. Und so kommt er seinem Ziel jeden Tag ein Stückchen näher. Dabei verändert er nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Frau, die zwar jeden Tag ein Stückchen weiter in die Ferne rückt, ihm emotional dabei aber immer näher kommt.
Auch wenn Harold körperlich im Laufe der Reise immer ausgezehrter wird, so zehrt er emotional von den vielen kleinen und großen Begegnungen, die er auf seiner Reise macht. Er hört zu und lernt Menschen kennen, er lernt zu verstehen, er lässt sich von Schicksalen berühren. Die Reise zu Queenie wird letztendlich auch zu einer Reise zu sich selbst.
Rachel Joyce hat einen unglaublich emotionalen Roman geschrieben – emotional im positiven Sinn, nicht kitschig oder tränendrüsendrückend – mit viel Tiefe und Nachdenklichkeit und hat mich damit tief berührt. Mit einfachen Worten erzählt sie eine große Geschichte über Freundschaft, Loyalität und Nächstenliebe.
Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry ist die Geschichte eines Mannes, der das einfachste auf der Welt tut – er benutzt seine Füße, und mir damit eines klarmacht: Wenn man will, dann kann man alles schaffen. Auch wenn es noch so aussichtslos erscheint. Man muss nur daran glauben, dass man es schaffen kann. Wenn man ein Ziel hat, erreicht man es auch – ganz egal, wie lange es dauert oder wie oft man vom Weg abkommt. Man kann alles schaffen. Auch 1000 Kilometer in Segelschuhen laufen.
Gebundene Ausgabe: 384 Seiten, erschienen bei Krüger, Mai 2012. Aus dem Englischen von Maria Andres-Hoole, Originaltitel: The Unlikely Pilgramage of Harold Fry
ISBN: 978-3810510793