Quo vadis, Griechenland?

 Der griechische Euro-Architekt
Loukas Papadimos, der wie viele Sprößlinge des griechischen Großbürgertums in den USA studiert hat, war danach eine Zeitlang Chefökonom der Bostoner Filiale der Federal Reserve Bank. 1985 wurde er Chefökonom und 1994 Gouverneur der griechischen Zentralbank. 2000/2001 war er der noch heute vielbewunderte »Architekt des griechischen Euro-Beitritts«, wie ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung noch zehn Jahre später nannte – unter der Überschrift: »Der Retter«.
Griechenland war damals überschuldet, erfüllte nicht die Maastricht-Kriterien und konnte deswegen noch nicht Mitglied der Euro-Zone werden. Doch die Investmentbanken, Bau-, Supermarkt- und Versicherungskonzerne, unterstützt von Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank, wollten Griechenland in der Euro-Zone haben. Darum organisierte Papadimos einen »Kraftakt«, von dem die FAZ noch immer schwärmt. 
Und das ging so: Die Investmentbanken Goldman Sachs, JP Morgan und United Bank of Switzerland packten ihr Handwerkszeug aus; Goldman Sachs fungierte zugleich als Berater der Regierung. Sie gaben in Zusammenarbeit mit der griechischen Zentralbank und der griechischen Regierung dem Staat Milliardenkredite, die aber im Staatshaushalt nicht auftauchten: Zukünftige Einnahmen aus Autobahn- und Flughafenmaut und aus der Staatslotterie wurden gegen die Kredite »weggetauscht«. Dabei kamen die eigens gegründeten Special Purpose Vehicles (Zweckgesellschaften) mit den anheimelnden griechischen Namen Äolos und Ariadne zum Einsatz. Über die Londoner Briefkastenfirma Titlos wurden Schulden des Staatshaushalts auf die Zentralbank übertragen. Schulden, die in Dollar und Yen lauteten, wurden in einen langfristigen Euro-Kredit umgewandelt, der erst Jahre später zurückgezahlt werden mußte. Dafür kassierte Goldman Sachs laut Spiegel online vom 14.2.2010 ein Honorar von 300 Millionen US-Dollar. Das ging um so leichter vonstatten, als sich die griechische Zentralbank unter Papadimos 1998 mit Petros Christodoulou einen Manager geholt hatte, der für die internationalen Märkte zuständig war und darin Erfahrung hatte – er kam von Goldman Sachs.
So wurde – was die FAZ nicht so genau beschrieb – der griechische Staatshaushalt manipulativ in Ordnung gebracht, Griechenland durfte Mitglied der Euro-Zone werden. Die Rating-Agenturen gaben gute Noten. Die Banken und Unternehmen waren nun sicher, daß ihre Kredite und Rechnungen in Euro bezahlt wurden, denn Griechenland konnte seine Drachme nun nicht mehr wie früher bei Bedarf abwerten. 
In den Folgejahren verkaufte Goldman Sachs griechische Anleihen im Gesamtwert von 15 Milliarden Euro an Investoren, ähnlich betätigten sich deutsche und französische Banken. So konnten die Athener Regierungen die Reichen unbesteuert lassen, Panzer und U-Boote bei deutschen und Kampfjets bei französischen Rüstungsfirmen kaufen, die Olympischen Spiele 2004 organisieren und so weiter. Damit alles glatt ging und das Volk ruhig blieb, wurden die beide großen »Volksparteien« mit Schmiergeldern beispielsweise vom deutschen Siemens-Konzern gefördert (worüber in der Süddeutschen Zeitung, im Spiegel und in der International Herald Tribune immerhin einiges zu lesen war).
Daß die Schuldenrückzahlung absichtlich verzögert wurde, konnte freilich die Zahlungsunfähigkeit nicht verhindern. Die Swap-Geschäfte, die 2000 abgeschlossen wurden, haben Laufzeiten zwischen zehn und fünfzehn Jahren; zudem hat Goldman Sachs die Papiere schon 2005 an eine griechische Bank verkauft. Deshalb begannen Ende 2009 die Rating-Agenturen, Griechenland herabzustufen. Die Geschäftsbanken, die Europäische Zentralbank und Papadimos – wegen seines bewunderten griechischen »Kraftaktes« zum Vizepräsidenten der EZB aufgerückt –, der IWF und die EU verlangten von Griechenland die Rückzahlung der Kredite und kräftiges »Sparen« in der Bevölkerung. 
Deshalb setzten sie im November 2011 die bisherige Regierung ab und ihren ehemaligen, nun anglisierten Zentralbankgouverneur Lucas Papademos (zuvor: Loukas Papadimos) als Gouverneur des Staates Griechenland ein. Sie nannten ihn Ministerpräsident. Zur Unterstützung gaben sie dem angeblichen Technokraten die beiden korrupten großen Parteien bei, deren Chefs Giorgios Papandreou und Antonis Samaras übrigens gleichzeitig in Harvard studiert hatten. Samaras hatte in der Opposition die drakonischen »Spar«-Maßnahmen abgelehnt, jetzt stimmte er ihnen zu. Und sie holten die bisher aussichtlose Oppositionspartei Orthodoxer Volksalarm (LAOS) hinzu, deren Chef Giorgios Karatzaferis sich als rechtsextremer Antisemit gebärdete (»Ich bin kein Jude, kein Kommunist und kein Homosexueller, und das können wenige von sich sagen«). Zur äußersten Rechten bekannte er sich, als er die Hetzschrift »Die Weisen von Zion« ins Griechische übersetzen ließ. Er stimmte als erster dem »Spar«-Paket« zu.
So führte das gemeinsame Finanzdirektorat von IWF, EU, EZB und Geschäftsbanken zu einer »nationalen Einheitsregierung« beziehungsweise einer oktroyierten Volksgemeinschaft unter Einschluß rechtsextremer Antisemiten und unter Ausschluß der Gewerkschaften und linker Demokraten – gegen die Mehrheit des Volks. Wenn die neoliberale Praxis in Gefahr gerät, sind offenbar auch Rechtsradikale und Antisemiten trotz sonstiger gegensätzlicher Bekenntnisse als Hilfskräfte eines Bereicherungs-Technokraten nicht ungeeignet. 
Papademos schwor außerhalb des Parlaments und ohne Anwesenheit der Parlamentarier seinen Amtseid und legte dabei seine rechte Hand auf die Bibel. Der orthodoxe Erzbischof Hieronymos von Athen, dessen Kirche vom Staat alimentiert wird und keine Steuern zahlt, sang das Kyrie Eleison (Gott segne uns) und wünschte dem von den gegenwärtigen Göttern Erwählten »Kraft zur Erledigung Ihrer Aufgaben« (s. Financial Times vom 12. 11. 2011).
Zu den Aufgaben des neuen Finanz-Statthalters gehörten die Entlassung von 30.000 Beschäftigten, der Verkauf öffentlicher Unternehmen, die Absenkung von Löhnen, Steuernachlässe für Unternehmen, Heraufsetzung des Rentenalters, Einführung von Studiengebühren und dergleichen routinemäßige Auflagen dieses Gewerbes.
Von der damit erkauften »Hilfszahlung« der EU von acht Milliarden Euro blieben nur 19 Prozent im griechischen Staatshaushalt. 23 Prozent flossen an griechische Banken, die Staatsanleihen hielten. 18 Prozent kassierte die Europäische Zentralbank, die griechische Staatsanleihen in Höhe von 55 Milliarden Euro gekauft hatte. Vier Fünftel der »Rettungs«summe mußten für Zins und Tilgung verwendet werden, weit über die Hälfte davon floß an ausländische Investoren zurück (s. auch Neue Zürcher Zeitung vom 11. 11. 2011).
Die FAZ in selbstorganisierter Gleichschaltung mit anderen führenden Medien läßt verbissen unerwähnt, daß der neue Gouverneur und Retter aus der Not die Not mitverursacht hatte. Ihm können wir allerdings eine gewisse Konsequenz nicht absprechen: In beiden scheinbar verschiedenen Funktionen diente er denselben Herren. 
Mehr darüber in Werner Rügemers neuem Buch »Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart«, transcript, 196 Seiten, 18.80 €
(c) Werner Rügemer, Ossietzky 13/2012

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