Der deutsche Film steht an einem Wendepunkt. Es gab früher immer die großen deutschen Produktionen, die vor Starpower nur so strotzten und unfassbar hohe Budgets verschlangen. Hinter solchen Filmen stand früher meistens der Name Eichinger. Dann gab es die kleinen Produktionen, von denen außerhalb Deutschlands kaum jemand etwas mitbekommen hat. Beide Seiten hatten ihre Reize. Nun gibt es aber keinen Eichinger mehr und die deutsche Filmwelt steht sozusagen vor den Hinterlassenschaften des Großproduzenten; Einen Natascha-Kampusch-Film, der lange vor seinem Start schon in der Luft zerfetzt wurde und eine Constantin, die seit Jahren mit dem Bankrott kämpft. Höchste Zeit für einen neuen Weg, sollte man meinen. Doch es bleibt bei der bekannten Aufteilung und so kommt es, dass die beiden bedeutendsten deutschen Regisseure Andreas Dresen und Tom Tykwer heißen. Groß und Klein. Und Tykwer gibt derzeit mit X-Filme richtig Gas. Er hat innerhalb eines Jahres gleich zwei Großproduktionen absolviert. Nach „Cloud Atlas“ ist nun Oskar Roehler zurück mit einer beeindruckenden, filmischen Autobiographie.
Wir sind im Nachkriegsdeutschland. Der Soldat Erich Freytag kommt nach vielen Jahren vom Krieg nach Hause und findet hier mehr oder weniger alles in Trümmern. Die Fabrik im Ort ist zerstört und er merkt, dass seine Familie ganz und gar nicht begeistert ist über seine Rückkehr. Seine intrigante Schwester wirft er sofort raus und übernimmt wieder das Zepter. Als erstes baut er die Fabrik auf und produziert Gartenzwerge. Sein Sohn Klaus hat indes keine Lust, als Fabrikant zu arbeiten. Er will lieber Schriftsteller werden. Eines Tages lernt er die schöne Gisela kennen, eine Tochter aus sehr reichem Hause. Er verliebt sich sofort in sie, denn ihre lockere Art und ihre freien Gedanken, inspirieren ihn sehr stark. Später stellt er übrigens fest, sie ist weder locker, noch inspirierend; sie ist einfach verrückt. Mit ihr bekommt er einen Sohn – den Protagonisten der Geschichte – namens Robert. Robert erlebt eine sehr schwere Kindheit, denn die Mutter steigt selbst zur Starautorin auf und hurt sich durch die Highsociety im Berlin der 60er Jahre. Klaus ist völlig am Boden, denn er scheint als Autor weniger talentiert zu sein, als er dachte. Robert bleibt also die elterliche Fürsorge und Liebe verwehrt. Nach einem verheerenden Italien-Urlaub, nehmen ihn seine Großeltern wieder bei sich auf. Hier lernt Robert nicht nur das Nachbarmädchen Laura kennen, er erlebt das erste Mal Glück und eine Ahnung dessen, was ihm bisher versagt geblieben ist. Sein Vater kommt jedoch zurück und holt ihn wieder ab. Für Robert steht nach diesem glücklichen Sommer fest, er will sich nicht mehr mit seinem trostlosen Dasein abfinden. Er beginnt, zu rebellieren.
Dieser Film macht in jeder Hinsicht einen Rundumschlag. Beinahe lückenlos lässt er die historischen Ereignisse in Deutschland zwischen 1949 und den 70ern mit in die Handlung einfließen. Ausstattung und Kostüme sind gründlich recherchiert und die Darstellung der westdeutschen Gesellschaft mit allen überspitzten und angemessenen Elementen bildet ein verblüffend realistisches Zeitbild. Die spannende Familiengeschichte voller tragischer und komischer Momente füllt diese Kulisse und die manchmal etwas eigentümlichen Roehler-Anwandlungen machen den Film dann einzigartig.
Zum Beispiel gibt es am Anfang eine derart groteske Szene, die mich als Zuschauer erst einmal abschreckt und mich denken lässt, „Worauf hab ich mich da eingelassen“
Überhaupt wirkt das erste Drittel des Films total unwirklich. Die Kulissen sehen bühnenhaft aus, es gibt verblüffende Effekte durch Lichtverfremdungen und die Dialoge sind sehr knapp, geradezu hölzern. Mit fortschreitender Handlung werden die Bilder aber immer präziser. Roehler symbolisiert dadurch auf sehr schlichte und wirkungsvolle Weise die Unterschiede seiner eigenen Wahrnehmung als Kind und als Erwachsener. Ein großartiger Einfall, der seine Wirkung nicht verfehlt. Abschließend sei noch zu bemerken, dass alle Schauspieler – die man im Übrigen alle irgendwie kennt und schon gesehen hat – nahezu perfekt besetzt sind und unglaubliche Leistungen vollbringen. Ich mag Jürgen Vogel zum Beispiel nicht mehr sehen. Seine Art, sein Gesicht, seine Rollen hatte ich einfach über. Hier spielt er unfassbar gut und zeigt nicht nur, was für ein guter Darsteller er noch immer ist, sondern auch, wie gründlich und präzise Oskar Roehler offensichtlich arbeiten kann. Dieser Effekt tritt bei allen Darstellern gleichermaßen verblüffend auf.
„Quellen des Lebens“ ist bombastisch, rührend, unterhaltsam und schockierend zugleich. Ein Epos, dass mit einer unerwarteten Leichtigkeit seine gigantischen Ausmaße ausbreitet. Sehr lange schon habe ich keinen deutschen Film mehr gesehen, der so viel richtig gemacht hat. Lange hat mich ein deutscher Film schon nicht mehr so begeistert und jede Minute des Films ist packend. Dabei scheint es ganz einfach zu gehen. Keinerlei Firlefanz mit digitalen Effekten. Keine Action, oder überzogener Slapstick. Ein Film, der einfach nur Geschichte erzählt. Toll!
Quellen des Lebens (D, 2013): R.: Oskar Roehler; D.: Jürgen Vogel, Meret Becker, Moritz Bleibtreu, u.a.; M.: Martin Todsharow; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.