Wow, ein neues Forschungsinstitut zum Klimawandel, dazu noch in der Schweiz. Das muss ja seriös sein.
Und gewisse Politiker sehen einmal mehr ihre Skepsis gegenüber dem Klimawandel bestätigt. Und sie lassen die (Twitter-) Welt an ihren Erkenntnissen sogleich teilhaben. Retweets und Likes folgen prompt. Der Artikel passt ins Wetlbild, egal auf welchen Quellen er beruht. Augen zu und durch. Der immer gleiche Mechanismus.
Tweet von @ReneTruninger
(Screenshot 14.4.2018, 11:00)
Aber wer hat sich einaml tatsächlich mit den Hintergründen des Artikels beschäftigt? Offenbar nicht einmal der Autor des Beitrags. Denn dann wäre ihm so einiges aufgefallen, wass zumindest die Glaubwürdigkeit der Aussagen des erhabenen Instituts in Frage stellen könnte - ein seröser Beitrag sieht anders aus.
1. Das Institut ist eigentlich ein Netzwerk von Forschern, die offenbar zumindest teilweise anderswo unter Vertrag stehen:
"Wer beim Institut mitmacht, tut das – zumindest bisher – ehrenamtlich. Denn über wesentliche finanzielle Mittel verfügt dieses noch nicht. Dank moderner Kommunikation ist es für die Beteiligten auch nicht nötig, sich physisch am Ägerisee aufzuhalten. Das Institut ist eine Art Netzwerk gleichgesinnter Forscher."Wobei es gemäss Website lediglich zwei Wissenschaftler gibt: den Leiter des Instituts, Dr. Hans-J. Dammschneider, sowie Dr. habil. Sebastian Lüning. Von einem Netzwerk würde ich hier ehrlich gesagt noch nicht sprechen, aber seis drum.
2. Der Artikel suggeriet wissenschaftliche Argumente des Instituts, was haben die Forscher des Instituts also wissenschaftlich anerkannt publiziert?
Hans-J. Dammschneider hat gemäss Google Scholar genau 10 Einträge (!), wobei nicht alle die Person des Institutsleiters betreffen. Er findet also faktisch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht statt. Bei Sebastian Lüning sieht das tatsächlich anders aus; sein Score bei Researchgate ist in der Tat relativ beachtlich, was auf eine gewisse Relevanz seiner Arbeit schliessen lässt - die der allerdings nicht immer im Namen des Instituts publiziet.
3. Schaut man sich die Schriftenreihe des Instituts an, findet man dort 5 Publikationen, davon zwei (mit Zeitangabe 2017) "in Vorbereitung". Online ist eine dieser Publikationen. Ein Blick in die Publikation zeigt erstaunliches. Ganz am Anfang heisst es:
"Das Buch ist sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernimmt der Autor, der Verlag und der Herausgeber in keinem Fall für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung". (Fettdruck nicht im Orignal enthalten)Traut der Autor seiner eigenen Forschung nicht?
Und am Ende liesst man auf S. 35:
"Der Verfasser nimmt bewusst keine rechnerisch-statistischen Korrelationen zwischen den ozeanischen Zyklen und den Trends der europäischen Lufttemperaturen vor. Es erfolgt ausschliesslich eine rein grafische Gegenüberstellung des Verlaufs der kombinierten PDO/AMO (nach Zeitabschnitten) mit jenen der Lufttemperaturen festländischer Stationen in Europa bzw. Nordamerika.
[...]
Es erfolgt also, wie bereits betont, keine rechnerische Korrelation, sondern ein rein grafischer Vergleich … die „Enge“ einer Beziehung herzustellen, wird bewusst dem Auge des Betrachters überlassen.
Hiermit wird kein Ursache-Wirkung-Vergleich durchgeführt, sondern ausschliesslich dargestellt, dass es eine Beziehung zwischen den ozeanischen Zyklen und den Lufttemperaturen Europas gibt." (Fettdruck nicht im Orignal enthalten)Heisst das jetzt, dass ich als Leser die Grafiken, deren Ursprung ich mangels Quellenangabe nicht nachvollziehen kann, optisch vergleichen und meine eigenen Schlüsse ziehen soll? Oder was habe ich da nicht verstanden?
Am Ende des Buchs findet man auf viereinhalb Seiten Literaturverweise, nur sind die allerwenigsten davon im Text selber referenzert. Im Text werden Grafiken ohne Quellenangaben verwendet. Und der Autor setzt sich intensiv mit einem Wikipediaeintrag auseinander, freilich ohne diesen zu referenzieren, insbesondere nicht die Version des Eintrags. Es wird der Nachrichtensender N24 zitiert, auch hier ohne Datumsangabe, der zugehörige Eintrag im Literaturverzeichnis fehlt aber. Etc. pp.
Sorry, aber mit Wissenschaft hat das rein gar nichts zu tun.
4. Im Artikel wird erwähnt, dass das Institut nicht auf grosse finanzielle Mittel zurückgreifen kann. Ein Blick ins Handelsregister zeigt, wonit der Institutsgründer in der Hauptsache seine Brötchen verdient. An der Adresse des Instituts sind zwei Firmen eingetragen: Interior Design Contract GmbH und My Swiss Made, Dr. Dammschneider. Beide haben offenbar mit Klimaforschung wenig zu tun.
Ein Ausweis für Qualitätsjournalismus ist dieser Artikel sicher nicht.
Letzendlich erweisst der Artikel den Skeptikern des Klimawandels ein Bärendienst.
(vgl. zum Thema auch den Beitrag Informations- und Medienkompetenz: eine Schlüsselqualifikation - auch und besonders für Nationalräte)
Bildquelle: flickr.com/mellyjean (CC Lizenz)