Qualzucht boomt
Ich habe hier auf Petwatch seit mehr als zehn Jahren immer wieder auf die Missstände in der Rassehundezucht hingewiesen. Diese gehen weit über die bekannten Probleme bei den Plattnasen hinaus. Sie betreffen drei bis vier dutzend Hunderassen. Auch solche, denen man es nicht ansieht wie den Dobermann. Die Probleme sind Politik und Behörden hinlänglich bekannt. Spätestens seit dem Qualzuchtgutachten im Auftrag der Bundesregierung. Das war 1999. Ist also 20 Jahre her. Getan hat sich nichts. Oder doch: Es ist noch schlimmer geworden. Die Probleme sind auch der Öffentlichkeit und besonders den Hundeleuten hinlänglich bekannt. Spätestens seit dem Dortmunder Appell für eine Wende in der Hundezucht und der BBC-Doku Pedigree Dogs Exposed. Das war um 2009.
Was hat sich getan: Viel Tierschutzgelabere
Getan hat sich nichts. Im Gegenteil. Die Qualzucht nimmt weiter zu. Qualzucht lohnt sich. Die Hundeleute finanzieren Qualzucht als hätten sie noch nie etwas davon gehört. Plattnasen boomen. Die französische Bulldogge erobert sogar in vielen Ländern - so in Großbritannien - den Thron des beliebtesten Hundes. Und wenn es nicht gerade eine Plattnase ist: Puppy Mills und Hinterhofzuchten boomen ebenfalls. Der Marktanteil der seriösen Zucht sinkt rapide und das seit Jahren stetig. Der heutige Hunde-Konsument bestellt seinen Welpen vom heimischen Sofa per Internet. Billig sollte er auch noch sein; idealerweise binnen Tagen frei Haus geliefert. Eine Untersuchung britischer Tierärzte belegt, dass exakt die Käufer von Plattnasen die bequemsten sind. Sie ordern überdurchschnittlich oft ihre Welpen per Mouse-Click, interessieren sich nicht für die Eltern, erfragen nicht einmal basale Gesundheitsdaten. Die Autoren der Studie fordern Konsequenzen, wenn nötig sogar gesetzliche: „Es bedarf gezielterer pädagogischer Maßnahmen, um die Einstellung der Käufer zu ändern, und wenn dies ineffektiv ist, können andere direktere Mechanismen (z. B. Rechtsvorschriften) erforderlich sein, um das Wohlbefinden der Hunde zu schützen.“ (Packer et al. 2017)
Warum quälen wir, was wir lieben?
Aber warum tun wir das? Ansonsten kultivieren wir gerade in Deutschland das Selbstbild des vorbildlichen Welttierschützers. Ein selbstgerechtes, ja peinliches Selbstbild, das wir da pflegen - möchte ich sagen. Ich möchte trotzdem behaupten, dass die meisten Halter ihre Plattnase oder ihren Hund vom Vermehrer lieben. Selbst wenn sie diese billig und mit fragwürdigen "Papieren" aus zwielichtiger Quelle - sprich wissend - vom Vermehrer gekauft haben. Das sollte Anlass genug sein, einmal die Motive anzuschauen, die hinter solch zwiespältigem Handeln stecken.
Demonstration der Güte seines Menschen
Bei der Hundehaltung schwingt viel mehr mit als nur die "Liebe zum Tier". Hunde sind sehr oft auch Repräsentationsmittel. Sie dienen als erweitertes Ich. Sie werden als narzisstische Erweiterung des Selbst, zur Selbstaufwertung (Maaz 2014) oder symbolischen Selbstergänzung genutzt (Wicklund & Gollwitzer 1982), besser missbraucht. Das betrifft nicht nur den so genannten Kampfhund, der als Rückgrat-Prothese für ein Herrchen dienen soll, das es goutiert, wenn Leute aus Angst die Straßenseite wechseln. Teure und skurrile Hunde bezeugen, dass auch Herrchen und Frauchen etwas Besonders sind. Überhaupt sollte es extrem und möglichst selten sein. Der Marktwert des Hundes wertet den Wert des Halters auf. Vornedran im Trend ist der Hund als Testimonial des Guten. Der Hund als Demonstration für die leibhaftige Güte seines Zweibeiners, für den Hüter der Moral am anderen Ende der Leine. Mindestens zweimal aus der Tötungsstation gerettet oder dreibeinig sollte er schon sein. Eine schöne Geschichte des Erbarmens, die man dann erzählen können muss. Der einzige wahre, erlaubte Grund der Hundehaltung ist gleich obendrauf bestimmt.
Der Hund wird zum Konsumobjekt
Der Hund wird immer mehr zum Konsumobjekt und zur Ware. Er dient der narzisstischen Selbstaufwertung in alle Richtungen. Er wird missbraucht für das zweibeinige Ego. Er dient zur Realisierung traumhafter Profite. Immerhin mit einem Volumen von 5 Milliarden. Kein Markt in der EU ist so völlig unreguliert wie Hundezucht und -handel. Die Produkte füllen die Wartezimmer und Kliniken der Veterinäre. Sie garantieren den Absatz der Vetpharma- und Diätfutterindustrie. Traumatisierte Waren des EU-weiten Hundehandels sichern die Existenz von Hundetrainern und -psychologen.
Mit solchen Feststellungen macht man sich in der Hundeszene nicht immer beliebt. Es kratzt am bequemen, selbstgefälligen Image der Tierliebe und des weltweiten Tierschutzvorbilds. Es strengt an, ist nicht so leicht zu konsumieren wie eine Rütter-Show. Ich meine, wir sollten mal ernsthaft drüber nachdenken. Kritisch in den Spiegel unserer Hundeliebe schauen. Freundschaft funktioniert nur auf Basis ehrlicher Gefühle. Der Hund trägt solch ehrliche Gefühle uns Menschen gegenüber. Er hätte die unseren allemal verdient. Mit der Degradierung unseres besten Freundes zu einem Konsumobjekt schaden wir nur uns selbst und unsere eigenen Psyche. Wir können nur gewinnen, nähmen wir die Fürsorge für unsere Hunde wirklich ernst.
Literatur
- Bartels, T. & Wegner, W. (1998). Fehlentwicklungen in der Haustierzucht. Stuttgart: Enke
- Bartels, T. et al. (1999). Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qual-Züchtungen). Berlin: BMVEL
- Jung, C. (2018). Schwarzbuch Hund: Qualzucht, Hundehandel, Futterschwindel Norderstedt: BoD.
- Jung C., Pörtl D. (2019). Qualzucht - warum wir unsere Lieblinge quälen. TIERethik - Zeitschrift zur Mensch-Tier-Beziehung 01/2019 (leider wird in der abgedruckten Version des Artikels ungefragt eine Gender-Sternchen-Schreibweise, die die deutsche Sprache entstellt)
- Maaz, H.J. (2014). Die narzisstische Gesellschaft: Ein Psychogramm. dtv
- Ohr, R. (2014). Heimtierstudie „Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung“: Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Heimtierhaltung in Deutschland. Göttingen.
- Packer, R. M. A., Murphy, D., Farnworth, M. J. (2017). Purchasing popular purebreds: Investigating the influence of breed-Type on the pre-purchase motivations and behaviour of dog owners. Animal welfare 26 191-201.
- Wicklund, R. A. & Gollwitzer, P. M. (1982). Symbolic self-completion. Hillsdale, N.J.: Lawrence Erlbaum
Ein Artikel von Christoph Jung