Quelle: VAT Verlag
»Der Putin treibt uns noch in den Krieg«, sagte mir erst kürzlich wieder jemand. Ich musste tief durchschnaufen. Jeder kennt vermutlich mittlerweile eines dieser Geschöpfe, das nachplappert, was die Medien vorfabrizieren. Die rhetorischen Lemminge sind ein wachsendes Völkchen und Problem. Ich indes fragte mich, wo ich mit Gegenargumenten ansetzen sollte, um dieser Behauptung etwas entgegenzusetzen.Sollte ich etwa bei der NATO beginnen, die man in Russland als Drohung wahrnimmt? Oder bei dem, was die Krim für Russland war und ist? Da gibt es so viel, alles scheint so kompliziert und verwirrend. Ich fragte mich, wie man einen Menschen, der sich kaum mit den Hintergründen dieser Angelegenheit befasst, sich News nur aus »Bild« und »Spiegel« pickt, dazu bekommt, dass er auch mal die andere Seite sieht. Das Vorhaben habe ich allerdings gleich wieder aufgegeben. Ich ließ den Satz von Putins Kriegstreiberei so stehen und seufzte laut. Aufklärung ist eine gute Sache, aber ad hoc ist sie in Fragen dieses Konfliktes zwischen Russland und dem Westen kaum mehr zu leisten. Es gibt einfach zu viel zu sagen, zu viele Baustellen, zu viele Nebelkerzen und Minenfelder. Und wenn man jemanden dann quasi sagt, er sei Opfer von Propaganda, dann macht er dicht. Denn dergleichen passiert doch nicht bei uns im gesitteten Westen. Propaganda machen nur immer die anderen. Macht Putin.
Einige Tage später bekam ich dann Wolfgang Bittners neues Buch in die Finger. Es hätte mir sehr als Argumentationshilfe gedient. Endlich mal alles auf einen Blick. Chronologisch. Die Zusammenhänge erfassend. Denn auch die Zusammenhänge gehen einem ja schnell verloren, wenn man den Tausenden von Stimmen aus den Medien lauscht. Alle reden sie durcheinander, überschlagen sich, streuen neue Gerüchte und dann weiß man nicht mehr, wie es zu dem kam, was da gerade gespielt wird.
An dieser Stelle will ich ehrlich sein. Ich betrachte mich durchaus als einen am Zeitgeschehen interessierten Menschen. Mehr oder weniger. Aber irgendwann habe ich mich in der Ukraine-Sache quasi ausgeklinkt. Habe es aufgegeben. Dieses Sammelsurium aus Propaganda und Hetze, das man uns als Journalismus verkauft hat, wurde mir so unerträglich, dass ich meist wegzappte, das Radio abdrehte oder weiterklickte, als wieder »neue Meldungen« kamen. Später fiel es mir schwer, die Ereignisse meiner freiwilligen Vakanz zu rekonstruieren. So ein Konflikt ist eben keine Soap, in die man beliebig eintauchen kann, ohne einen Verlust an Verständnis in Kauf nehmen zu müssen.
Ich nehme an, dass es vielen so ergangen ist. Man resigniert leicht. Die Berieselung mit Meldungen, die einem irgendwie unglaubwürdig vorkommen, macht mürbe. Bittner leistet Rekonstruktionsarbeit. Er verschafft einen Überblick und zeichnet den Ablauf dieses NATO-Kreuzzuges nach. Es wäre aber völlig falsch, sein Buch als reine Abhandlung der Ereignisse zu sehen. Es ist außerdem eine Chronologie allgemeinen Medienversagens. Selten hat man erlebt, dass die Presse so unreflektiert und gezielt falsch berichtete, wie in diesem Fall. Und Bittner ist sich sicher, dass das kein Einzelfall bleiben wird.
Der Titel klingt indes ein wenig reißerisch, auch wenn er nicht ganz falsch ist. Es ist jedoch nicht so, dass Bittner die deutsche Administration völlig aus der Schuldfrage heraushält. Er sieht sie vor allem als Helfershelfer der Vereinigten Staaten und der NATO. Das stimmt nur bedingt. Denn Deutschland ist an der Eroberung Europas mindestens genauso interessiert. Wenn auch eher auf rein wirtschaftlicher Ebene. Man spricht wieder Deutsch in Europa. Wer erinnert sich nicht an diesen Satz? Und die ukrainische Angelegenheit mag zwar ein militärischer Feldzug der NATO sein, aber er ist mindestens auch ein Wirtschaftsfeldzug, den ganz besonders Deutschland bestreiten möchte. Vielleicht hätte man das in einem Untertitel festhalten sollen.
Gleichwohl ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung. Man lernt gewissermaßen Putin verstehen, ohne ihn gleich toll finden zu wollen. Dieses Buch sollte man erwerben, um es all diesen Lemmingen in die Hand zu drücken, die wieder mal über den Kriegstreiber aus Moskau schimpfen. Ja, man sollte sie zum Lesen verdonnern. Wenn sie denn lesen würden. Aber diese allgemeine Lesefaulheit, ist jetzt wieder ein ganz anderes Problem.
»Die Eroberung Europas durch die USA. Zur Krise in der Ukraine« von Wolfgang Bittner ist im VAT Verlag André Thiele erschienen.
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