puten-story I.

ein silvester so in den frühen achtzigern. eine wahre begebenheit.
gemütlich sollte es werden und klein vor allem. keine große party, sondern insgesamt fünf leute. ein schöner gebratener vogel, weisses tischtuch, kerzen, barockmusik, guter wein aus den von omi geerbten bunten römern. ich entschied mich für eine von diesen überdimensionalen puten, die um die zeit in den tiefkühltruhen der supermärkte zuhauf herumzuliegen pflegen, brustkorb wie ein mensch, mehrere kilo schwer.  so thanksgiving-mäßig stellte ich mir das vor. omi beriet mich. die musst du so und so füllen und dann ganz dick mit butter bestreichen, damit sie nicht so trocken wird und die haut schön braun und knusprig.
gesagt, getan. schauplatz war die eichhofstrassen-wohnung, von der ich schon mal berichtete. hier hatte alles so ein bisschen patina, und auch der gasherd wies leichte gebrauchsspuren auf. es fehlten zum beispiel fettpfanne und bodenblech.
an besagtem tag zog ich mir vormittags meine rote jogginghose an und legte los, denn die garzeit des imposanten vogels war auf fünf stunden anberaumt. ich wusch das tier und trocknete es, schälte und schnitt zwiebeln und äpfel und speck und vermischte das ganze mit thüringer mett, stopfte die füllung in die scheunentorgroße öffnung der mächtigen nackten, blass-rosa truthenne, nähte diese mit einer großen stopfnadel und garn zu, würzte rundherum und dann kam die butter. ich lagerte sie in daumendicken schichten an, massierte sie in die haut, stellte sicher, keinen quadratzentimeter vergessen zu haben, legte das tier auf einen rost und schob diesen in den ofen.
pause.
ich legte mich in meinem zimmer auf das biedermeyer-sofa, ohne das mein leben gute zwei jahrzehnte nicht denkbar war. meine roten hosenbeine auf dem dunkelblauen samt, blick auf die etwas angegilbte kassettentür. der jugendstil-türgriff. verschnörkelter beschlag, der griff aus ebenholz. (mein nachmieter hat diese türgriffe später abgebaut und weggeschmissen). ruhe vor dem nächsten arbeitsgang. hauptsache, das vieh ist erstmal im ofen.
ich teilte mir die wohnung damals mit meinem bruder, und der kam nach einiger zeit nachhause, mit einem freund im schlepptau. ich hörte, wie beide den langen flur durchschritten bis zu seinem zimmer, dann kam mein bruder zurück, öffnete meine tür und fragte vollkommen unbeteiligt und mit unbewegter miene: "du weisst, dass es in der küche brennt?"
ich glaube, so schnell wie in dem moment habe ich mich weder vorher noch nachher je wieder bewegt. von der horizontalen bis in die vertikale position und von meinem zimmer bis in die küche verging allenfalls eine nanosekunde. und tatsächlich: es schlugen hohe bläuliche flammen aus der backofentür! was ich vorher nicht hatte wahrhaben wollen, verdichtete sich jetzt zu einer eiskalt-logischen folge kausaler zusammenhänge, deren unausweichlicher ablauf sich vor meinem ungemein phantasiebegabten geistigen auge in windeseile zu einem schauderhaften szenario des grauens zusammensetzte. gasherd ohne bodenblech=offene flammen=keine fettpfanne=mind.250g butter=hitze=fett-tropft-in-flammen=vielleicht so rückschläge in die gasleitungen=gasherd explodiert=das- ganze- haus- überhaupt- explodiert="12-MENSCHEN-STARBEN-BEI-GASEXPLOSION-IN-ALTBAU"=ursache noch unklar.....
und ich sagte mit tonloser stimme zu nils: "wir müssen die feuerwehr anrufen!" der daraufhin: "bist du verrückt, die kommen doch gleich mit fünf löschzügen." und -coolness- verschwand in seinem zimmer. aber da war ja noch jan, der genau wie ich entsetzt in die flammen starrte, und den nötigte ich nun, mittlerweile panisch brüllend, die feuerwehr anzurufen. benommen nahm er den hörer und stammelte zusammenhanglos ins telefon: "hier brennt es,äh, die küche brennt, äh, der herd brennt.....äh....die PUTE BRENNT!"
ich bin dann runter gerannt, mit jogginghose und klapperlatschen. da das kieler feuerwehr-headquarter nicht weit von unserer wohnung entfernt war, hörte ich schon bald die hörner lieblich schallen, und rannte mitten auf die fahrbahn, um dort mit einem geschirrhandtuch wedelnd die fahrer zur brandstätte einzuwinken. dies brachte mich zwar um den genuss des doppler-effekts, denn diesmal fuhr die feuerwehr ja nicht an mir vorbei, dafür hatte ich aber die aufmerksamkeit der ganzen strasse, auch nicht schlecht! tatsächlich hielten mehrere große wagen und ein paar kleine an....also genaugenommen EIN löschzug. heraus sprangen viele,viele männer in blauen overalls mit stahlhelm und latz im nacken, mit großen pump-wasser- kannen und konzentrierten gesichtern. unter lautem gepolter rannten sie die ächzenden holztreppen hinauf in den zweiten stock.
wie mir später berichtet wurde, setzten sie die küche unter wasser, während einer die pute aus dem herd riss, sie auf den tisch knallte und rief: "die ist gar!"
mittlerweile breitete sich in mir, die ich unten auf dem bürgersteig wartete, entspannung aus. an der haustür wartete ich mit einem älteren feuerwehrmann, dessen blaue augen mich unter buschigen weissen brauen und klotzstarken brillengläsern freundlich anblitzten, und der den ganzen event vom walky-talky aus organisierte (zb vier von fünf bemannten fahrzeugen gleich wieder wegschickte.) er fragte mich einfühlsam und ein bisschen väterlich: "was brennt denn da eigentlich?" ich anwortete: "die pute." dann musste ich plötzlich fürchterlich lachen, und er auch. "dann muss es wohl steak geben!" prustete er. im gleichen moment hielt ein streifenwagen, zwei polizisten schlenderten lässig herbei und fragten beiläufig, was denn hier so brenne. "die pute." sagte der feuerwehrmann. "och so, 'n putenbrand." daraufhin der eine polizist,während der andere herzhaft gähnte. "dann könn' wir ja gleich wieder abhauen. guten rutsch."
der streifenwagen machte kehrt und verschwand im mühlenweg, während die feuerwehrmänner sich einer nach dem anderen -jetzt mit leeren kannen- aus dem haus trollten und wieder aufsaßen.
nein, karl koch, unser strassen-original, der natürlich gleich zur stelle gewesen war, hatte unrecht, ich habe diesen einsatz nicht bezahlen müssen. es hat ja schliesslich wirklich gebrannt.
und wie endete der abend? ganz einfach. ich ignorierte erstmal das knöchelhohe löschwasser auf dem terrazzoboden, denn die pute sah auf ihrem verbogenen rost da auf dem küchentisch wirklich perfekt aus. also steckte ich sie in einen bräter, packte sie ins auto, fuhr zu meiner mutter, gab ihr da die letzten drei stunden, und am abend saßen wir wie geplant zu fünft um den festlich gedeckten tisch. dass es in der ganzen wohnung stank wie nach einem buschbrand, störte uns kraft des positiven ausgangs der geschichte nicht.
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