International Music, PULS Festival München 2019
Festivals, besonders solche, die drinnen stattfinden, sind für Konzertberichte eine undankbare Sache. Zumindest dann, wenn das schreibende Personal so knapp bemessen ist, dass man nicht in jeden Raum eine/n Beobachter/in platzieren kann. Man muß sich also entscheiden, was es auf gar keinen Fall zu verpassen gilt, wo man sich am günstigsten positioniert. Und das ist gar nicht so leicht, schließlich ist mancher Act erfahrungsgemäß derart gefragt, dass man sich besser schon zur Hälfte des vorlaufenden Gigs in Stellung bringt, um später nicht auf dem Gang mit halbem Ohr versauern zu müssen. Es ist also kompliziert. Randbemerkung: In Sachen Personal würde man sich übrigens gern mal mit dem sonst so umtriebigen und professionellen Veranstalter, dem PULS Radio, unterhalten, dem natürlich wie in jedem Jahr hohes Lob für das ausgewogene Line-Up gebührt. Wäre es nicht langsam an der Zeit, für einen Abend dieser Größe und dieses Renommees endlich mal das leidige Garderobenproblem in den Griff zu bekommen? Es ist mehr als ärgerlich, dass viele Besucher, obschon sie überpünktlich vor Ort erscheinen, die erste Runde an Konzerten verpassen müssen, nur weil sie sich eine geschlagene Stunde in endloser Schlange die Füße plattstehen, endlich in Empfang genommen von einer unterbesetzten und deshalb restlos überforderten Klamottencrew. Also – Winter, Jacken, Massenandrang, das sollte doch zu schaffen sein?Zurück zur bestmöglichen Ausgangsposition. Die ließ sich diesmal recht schnell am Tresen des sog. Ballrooms finden. Und eben deshalb gibt es hier leider nichts zu den garantiert großartigen Auftritten von Lisa Morgenstern zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester zu lesen, kein Wort auch zu SEDA, MAJAN oder Alice Phoebe Lou. Sehr wohl aber viel, viel Lob für Endlich Rudern, Münchens neuste Hoffnung in Sachen ungezuckertem Indierock. Das Schöne ist ja, dass sich Sänger Max Weigl, Bassist Felix Nagel und Simon Richter am Schlagzeug mit einen Handvoll Songs noch so herrlich unbedarft und sympathisch anfängerisch geben können, einfach drauflos machen und die eng gepackte und jetzt schon mächtig schwitzende Zuschauermenge sofort auf ihrer Seite haben. Zu den leidenschaftlichen Liedern ein paar schüchterne Scherze, drei Geburtstagseinladungen ins Publikum geworfen (es kommt ja wohl sonst keiner?) – wenn sie das durchhalten, müssen wir nicht auf Bamborschkes Isolation Berlin warten, dann gibt es hier in München endlich mal wieder eine erstzunehmende Alternative.
Platzwechsel? Besser mal nicht, denn Pauls Jets wurden in so hohen Tönen gelobt, die möchte man nicht verpassen. Also dageblieben und überraschen lassen. Und zwar von Umme Block, dem Electro-Duo aus München Haidhausen. Sie sind ein ungleiches Paar, die beiden: Zierlich und klein, aber mit gewaltiger Stimme Leoni Klinger, mit kraftvoller Ausstrahlung dagegen Klara Maria Rebers, die sich neben den Beats auch um die Gitarre kümmert. Die dronig wummernden Tracks bewegen sich, zupackend und dunkel schimmernd, irgendwo zwischen Austra und Zola Jesus, mit den live eingespielten Akkorden kommt noch manch reizvoller Ry-Cooder-Moment hinzu. Auch sie stehen noch ganz am Anfang ihrer Karriere, seit vergangenem Jahr sind sie unter dem Namen unterwegs, den man noch immer schwer mit ihrem Sound übereinanderbekommt. Sei’s drum, Mitte Januar soll das Debütalbum „25 Hours“ erscheinen, Ende Dezember schon stehen sie für den Release erstmals als Headliner auf der Bühne.
Kurzer Umbau – Wien wart‘ auf di! Aber eben nicht Wanda, Bilderbuch oder Granada, allesamt schon etablierte Größen des anhaltenden Austrohypes, die, zumindest was die erstgenannten angeht, durchaus schon Spuren von Routine und Beliebigkeit erkennen lassen. Davon jedenfalls sind Xavier Plus (Gesang), Romy Park (Bass) und Josef Hader in jung, als Paul Hochhaus (Drums) noch meilenweit entfernt. Die Pauls Jets spielen einen fibrigen, wunderbar verqueren Impro-Rock, voller Ecken, liebevoll einfacher Posie und ganz viel Energie. Sie sind auch die ersten in dieser Runde, die ihr Repertoire für das knapp getaktete Programm eindampfen müssen, ihr Debütalbum „Alle Songs bisher“ ist im März erschienen und hat mit „Ich will dich lieben, Baby“, „Kannst du noch“ und „Fresha Fruscianteya“ schon eine stattliche Anzahl Hits zu bieten. „Wo stehst du mit deiner Kunst, Baby?“ will der aufgedrehte Xavier unbedingt von der wippenden Crowd wissen und auch wenn bei den dreien noch nicht alles auf Anhieb klappt, wird doch schnell klar, dass mit dieser Frage Großes begonnen haben könnte. Den Konjunktiv werden wir uns bald schenken können.
Nun aber doch noch mal Ortswechsel, schnell rüber in Halle zwei. Denn International Music aus Essen bekommt man hier im Süden nur selten zu Gesicht. Ihr Album „Die besten Jahre“ gehörte zweifellos zum Spannendsten, was 2018 nicht nur in Deutschland zu bieten hatte. Inspiriert vom Post-Punk und den Grauzonenklängen der Neuen Deutschen Welle gab es darauf nicht nur alles zu hören, was trist, düster und bedrückend ist, sondern auch einen ganz eigenen, feinen Humor. Die unvergeßliche Zeile „Knie kaputt, Frisur ist Scheiße, die besten Jahre sind vorbei!“ aus dem wundervollen Stück „Mont St. Michel“ eröffnete denn auch einen der Höhepunkte dieser Festivalnacht – Joel Roters trockenes Schlagwerk markierte den Takt, der Rickenbacker von Pedro Goncalves Crescenti vibrierte mit Wucht und Peter Rubels Stimme ergänzte hohltönend die kontrastreiche, schwarz-grelle Kulisse. Das Programm der drei bewegt sich auf eigenwillige Weise zwischen traurigem Trinklied, melancholischem Klagegesang und zarter, gern mal lakonischer Liebeslyrik und hat offenbar auch in München ein größeres Publikum gefunden – eine gute Nachricht deshalb, dass ein neues Album kurz vor der Fertigstellung steht. Und auch wenn Rubel sich bis Ende des nächsten Jahres verabschiedet, er kommt mit seinem Bassisten schon im Januar als The Düsseldorf Düsterboys in die Rote Sonne. Einmal mehr: Bon Soir, Tristesse!
Pauls Jets, PULS Festival München 2019