Public Relations der Extraklasse oder: Die Rosarote Hölle

Von Lareine

Angestoßen durch einen Artikel von Frida Mercury auf 2kindchaos, beziehungsweise den Hinweis darauf bei Facebook greife ich ein Thema auf, über das ich schon lange gerne schreiben wollte:

Die rosarote Zwangsbrille oder Die mütterliche Schweigespirale

Wir Mütter kennen alle den herrlichen Duft eines Babynackens, können quietschen vor Freude, wenn unsere Kinder die ersten Worte sprechen und sind megastolz, wenn sie die Welt erkunden. Wir freuen uns mit ihnen über ihre Erfolge, trauern mit ihnen, wenn sie schlimmen Streit mit Freunden haben und sind immer bei ihnen, auch wenn wir ganz woanders sind.

Und wir Mütter kennen alle diese Tage. Jene Tage, an denen die ganz Kleinen schon nölig aufwachen, die Größeren miesgelaunt in die Küche kommen und gleich Streit anfangen. Tage, an denen wir hochschwanger am Boden herumkriechen und Spielzeug einsammeln. Und die vielen Tage, an denen jemand gegen die Klotür hämmert, sobald wir auf der Schüssel sitzen.

Und die vielen Phasen, in denen die Kinder Zähe bekommen. Oder in denen sie noch nicht durchschlafen. Schlafentzug ist nicht umsonst eine Foltermethode. Man vergisst oft, dass diese Kräfte zehrenden Phasen, in denen man immer nur inselartig Spaß oder Freude empfindet, nicht ewig dauern.

Wir sind hart zu uns und fordern uns auf, dennoch zu lächeln. Gute Mütter kriegen alles hin und sind dabei eine Bereicherung. Sie klagen nicht. Sie flöten und summen, während sie Toiletten putzen, für die Schule basteln und im Regen mit quakendem Baby einkaufen.

Wagen sie es hingegen jedoch öffentlich, etwas zu sagen – vor allem eben im anonymisierten Raum der sozialen Medien, dann gibt es schnell mal Gegenwind.

Die Nestbeschmutzer: Gegenwind aus eigenen Reihen

Der schlimmste Feind der Mütter ist die Moral.

Sie diktiert ohnehin jeden Menschen durch den Tag (ohne dass wir es bewusst merken – der Großteil menschlicher Gespräche dreht nur um dieses Thema) und bei Mütter legt sie sogar noch einen Zahn zu. Alles wird bewertet und beurteilt. Entweder von uns selbst oder auch gerne von der Umwelt.

Beispiel?

#RegrettingMotherhood war ein komplettes Moralthema. Kaum hatten einige Mütter irgendwo auf der Welt (Israel) innerhalb ihrer eigenen Lebensbedingungen (andere als in Deutschland übrigens) gesagt, sie wären lieber kinderlos geblieben – da gab es sofort eine Moralwelle und viele fühlten sich berufen, zu erklären, dass sie ihre Mutterschaft liiiiieben. Zu jedem Zeitpunkt. Ja, sie seien manchmal müde. Aber das sei es ihnen wert. Ist auch so – sie haben damit nicht Unrecht und das Ganze gut beschrieben. Aber es war eine moralische Angstreaktion: Jemand wagte es, so große Kritik zu üben, da muss man sich schnell distanzieren, ehe man selber noch verdächtigt wird. Oder sich selbst verdächtigt.

Habe übrigens ähnlich dazu geschrieben. Hatte auch das Gefühl, mich distanzieren zu müssen. Kenn ich also. Außerdem ist es so: Wenn die bösen Frauen lieber keine Kinder hätten, dann kann man selber sagen: “Ich bin aber eine von den Braven! Wird das bitte honoriert?” Und das wird es natürlich. Ich habe mich währenddessen beobachtet und das auch an mir so analysiert, was für mich sehr spannend war.

Wir Mütter lieben unseren Job. Unsere sinnstiftende Lebensaufgabe natürlich.

Ja, auch um 4 Uhr morgens, wenn danach kein Schlaf mehr möglich ist. Ja, auch wenn der Kleine Durchfall bekommt an dem Abend, an dem man endlich einen Babysitter hat. Wir sind 24/7 glücklich. Dafür gibt es nämlich das, was Moral immer verspricht: Zuspruch und Anerkennung. Denn Anpassung fühlt sich für uns Menschen nun mal gut an. Es ist erwiesen, dass Protestler und Querdenker tendenziell unglücklicher sind, als Mit-dem-Strom-Schwimmer. Das kann man nun blöd finden – es ist aber so.

Als ich an Janas Blogparade teilnahm, kam auf Facebook auch ein Kommentar mit dem obligatorischen “Wie kann man nur über diese armen, hilflosen Wesen jammern, die uns so sehr brauchen?” (das war jetzt kein O-Ton, nur sinngemäße Wiedergabe). Dabei hatte ich gar nicht über mein Baby abgemeckert, sondern nur ehrlich ein paar Startschwierigkeiten geschildert …

“Der schlimmste Feind der Mutter ist stets eine andere Mutter”

habe ich mal gelesen. Und da ist wohl etwas dran. Frauen sind nämlich seit Ewigkeiten die Hüterinnen der Moral (hatten im Patriachat ja sonst viel, ne?) und da sie eben auch zufällig diejenigen sind, die sich überwiegend um die Aufzucht der Nachkommenschaft kümmern, wachen sie wie Gargoyles über ihre Kolleginnen.

Es spricht nichts gegen das Konstrukt der Moral zur Regulierung sozialer Gruppierungen. Erst einmal. Man sanktioniert Abweichlertum. Das kann sehr gut sein und die Gruppe schützen. Meist ist es nicht so prickelnd für die Abweichler, aber eben für die gesamte Gruppe. Und da ist der Mensch eben ganz tierisches soziales Wesen: Wer Unerhörtes tut (Wäsche falsch aufhängen, Konservendosen kaufen, Kinder umbringen) wird von der Gruppe bestraft. Ausgegrenzt, abgemahnt.

Wer beim Einkauf gerade die Bonduelle-Erbsen-und-Möhren-sehr-fein in der Hand hält und mitbekommt, wie im Nachbarregal zwei Frauen ihr Moralgespräch abhalten (“Also ICH koche immer frisch!” – “Ja, ich auch. Nur faule Frauen kaufen Dosen!”), stellt die Dose schnell wieder zurück. Das meine ich beispielhaft. Äh und auch real.

Was passiert aber, wenn man die Dose dennoch kauft?

Erstens, man sagt sich: “Ich lasse mich nicht von so Übermuttis einschränken. Ich habe heute keine Zeit und mache Ravioli. Die Kinder lieben sie, ich liebe sie und morgen gibt es artig Gemüse.”

Zweitens, das schlechte Gewissen (Oberster Beamte der Moral) meldet sich und tut so, als sei er das Unterbewusstsein, damit man es nicht schnell identifiziert: “Ja, rede dir das nur weiter ein, Liebes,” säuselt er wie der stets besoffene wirkende Captain Jack Sparrow, “wir beide wissen ja, dass du schon immer eher die Bequeme warst und nun nach Ausreden suchst.”

Das Dritte, das passiert ist: Mit einer Trotzfalte auf der Stirn und etwas zu lauten Handgriffen wird die Dose erwärmt. Im Topf – nicht in der Mikrowelle. Irgendwas muss man ja schließlich leisten, um Essen zu servieren. Es schmeckt vermutlich irgendwie lecker, hinterlässt aber einen blöden Nachgeschmack wie billiges Stevia – nur ohne die Lakritznote. Nur genau so unerwünscht.

Und nun, viertens: Die erste Regel im Bonduelle Club lautet: Es gibt keinen Bonduelle Club.

Wird von niemandem gekauft. Nur von Ms Essential: Eine Backmischung. Aber nur, weil ich soooo viele Kinder und soo wenig Zeit habe oder: Ha-ha, Ms Essential hat ‘ne Backmischung, die faule Nuss!

Hier, genau an dieser Stelle – direkt vor dem Mülleimer mit den vorwurfsvollen, leeren Konserven setzt ein Phänomen ein, das Generationen von Müttern an den Rande der Neurose und darüber hinaus trug: Die Schweigespirale.

Es wurde natürlich nie eine Backmischung gekauft, man schläft immer geduldig und gern mit den Kindern in einem Bett, man stillt immer voller Liebe und ist niemals genervt von Ewig-Saugern oder Hampel-Nucklern, man schaut nur selten auf das Smartphone während die Kinder da sind, man spricht immer flötend und zwei Oktaven höher mit den Kindern – auch wenn man mit ihnen alleine ist. Und man ist kein Mitglied im Bonduelle Club.

Aber man ist Mitglied im Club der Mütter, die sich niemals beklagen dürfen und sich stets von der besten Seite zu präsentieren haben.

Es ist für Diktaturen, die Mafia und für Sekten eine altbekannte Art der Mitgliedschaft: Man möchte kein Mitglied sein, ist aber dennoch eins.

Wer miterlebt, wie Andere gesellschaftlich sanktioniert werden (“Wie kann man als Mutter nur …?!”), der schweigt selber lieber und gibt stattdessen ein bewusst gestaltetes Bild von sich ab. Unter Auslassung vieler Aspekte.

Keine Butter bei die Fische

Unsere Fische werden trocken gebraten und serviert. Statt Butter gibt es Luft und Liebe. Natürlich. Mal ehrlich dazu stehen, ein ganz normaler Mensch zu sein? Ne – dann lieber keine Butter.

Wir, die immer zufriedenen und nur manchmal im erlaubten Rahmen erschöpften Mütter. Wir wissen, wie man das macht, dieses perfekte Bild zu vermitteln, das von uns erwartet wird:

Wir sind PR-Göttinnen. Wir verdrehen, lassen aus und zeigen nur das, was unserem Unternehmen zuträglich ist. Wir können Krisen-Prävention und Krisen-PR. Wir haben das drauf. Wir kennen jede Ausrede, beherrschen Ausflüchte auf moralisch ansprechende Art und vermeiden gekonnt Schweißflecken, während wir innerlich rotieren.

Ja klar, steigt die Gefahr eines Burnout, wenn man nie selbstehrlich seine Grenzen wahrnimmt und immer weitermacht – man kann sie aber leider nicht wahrnehmen, diese Grenzen. Denn das ist verboten.

‘N sommerliches Beispiel gefällig?

Der Familienurlaub war natürlich schön und es war toll, wie die Kinder spielten. Ja, da war der eine Regentag, aber hey! wir haben das süße Foto von klein Georg im zauberhaften Matschanzug, auf dem er so niedlich in die Pfütze hüpft. Wir haben geduldig im Regen gestanden und dankbar geseufzt über das Glück, dass wir/Gott/das Schicksal und schenkte/n.

Wir waren nicht angenervt und nicht gestresst, weil wir neben dem Kackwetter und dem ewigen In-der-Bude-hocken auch noch eine Erkältung befürchten mussten. Quatsch! Und dank moderner Technik können wir seit geraumen Jahren auch allen zeigen, wie unglaublich glücklich wir waren. Man wird uns selig beim Selfie mit Kind in die Kamera grinsen sehen. Wir können nämlich nicht nur PR, sondern schauspielern auch Greta Garbo an die Wand. Oder mindestens Madonna.

Und was macht unsere Freundin Simone/Martina/Karla zuhause, wenn sie das Bild sieht? Sie denkt sich:

“Puh, die Elfriede/Johanna/Gertrude ist aber zufrieden und happy im Familienurlaub. Komisch, dass man den Gert/Thomas/Wolfgang nie auf den Fotos sieht. Ob der sich ‘nen Lauen macht, dieser alte Macho? Hm, nein, der ist sicher nur fotoscheu, wie viele Männer und räumt das Ferienhaus auf, während sie Fotos macht. Jedenfalls sitze ich selbst hier in der Ferienwohnung, die auf den Fotos bei Airbnb echt schöner aussah und bin angekotzt. Vom Wetter, von den nöligen Blagen Kindern und träume davon, alleine mit Wilhelm an einem maledivischen Strand zu knutschen. Kacke, echt. Ich mach nachher schnell mal ein paar Fotos mit Mia-Sophie/Lea-Leandra/Elfriede-Mirabella und stell die flott auf’s Profil. Nicht, dass die denken, ich wäre genau die überanstrengte Mutter, die ich in Wahrheit bin vom Familienurlaub angekotzt.

Dieses Beispiel geht auch mit folgenden Szenarien und Drehorten: Weihnachten bei den Großeltern, Schulfest, Gesunder-Gemüsenachmittag in der Grundschule, Bastelsamstag im Kindergarten. Und weitere.

Alles spitze, echt!

Wer meckert, wird ausgeschimpft. Macht man mit seinen Kindern nicht. Ist das Nicht-Wahrnehmen kindlicher Emotionalausdrücke. Machen wir mit uns schon. Auch gerne gegenseitig.

Ich bin ja die Tante Essential mit dem Wahrheitsfimmel. Daher schreibe ich hier auch so bewusst und gerne ehrlich. Darüber, wie die nervtötend ersten Monate mit Babies sein können, was an Kleinkindern das mütterliche Wahnsinnsrisiko steigert und so weiter. Ich poste ein Bikinifoto von mir (Hat ne Schubkarre Courage gekostet, hab ich ja erwähnt) und schreibe gern dazu, dass ich das nur tue, weil ich ein High-Waist-Bikinihöschen trage.

Wieso pfeife ich auf Mama-Eigen-PR (weil obwohl ich ja mal in einer PR-Agentur gearbeitet habe!)? Weil ich meine Mit-Mütter liebhabe. So richtig. Ich mag nicht so gerne die, die ihre Kinder verhauen, zu wenig mit ihnen sprechen und ihren Müll auf sie projizieren – für diese habe ich dann eher etwas wie eine Mischung aus Wut, Mitgefühl und Trauer in mir.

Ich lehne Schweigespiralen prinzipiell ab. Sie führen zu nichts Gutem. Niemals. Zumindest ist mir nichts dergleichen bekannt – ansonsten belehrt mich bitte. Ich will den Mut haben, anderen Müttern ehrlich zu zeigen:

Ich könnte manchmal auch kotzen, meine Liebe(n), echt!

Das schreibe und sage ich im guten Bewusstsein, dass wir alle wissen, wie viele glückliche und dankbare Moment wir in Wahrheit eben auch haben. In denen wir dann ganz ehrlich selig grinsend unsere Nachkommenschaft in die Kamera halten, die Geduld haben, einem Marienkäfer beim Krabbeln zuzusehen, während wir eigentlich schnell und routiniert vom Kindergarten nach Hause wollen und in denen wir weinen vor Glück, weil unserem Kind beim Sturz vom Kinderzimmerregal nichts wirklich Schlimmes passiert ist – laut wegen hysterischer Gluckenmutter genervter Notfallambulanzassistenzärztin.

Kuss zum Schluss

Ja, Ihr lieben Mit-Mütter (und falls vorhanden auch Schweigespiralen-betroffener Väter):

Lasst uns mutig sein und die Schweigespirale – wenn möglich – ab und zu in die Tonne hauen. Es passiert nichts Schlimmes. Ja, wir befürchten moralische Sanktionen. Und manchmal kommen die auch. Aber wir gewinnen auch etwas: Freiheit und Entspannung. Stellt Euch mal vor, wir würden uns so unterhalten:

Freundin Eins: “Grr, bin so angenervt – gestern mal endlich wieder netter Abend mit Klaus-Dieter und natürlich – zack: “Mami, Mami, die Lotta-Grazia hat ins Bett gemacht”. Ich hätte kotzen können! Kann es denn wahr sein, dass Kinder einem dauernd das Bisschen Zeit rauben, das man noch als Paar hat?”

Freundin Zwei denkt nicht wie programmiert: “Also echt, Kinder sind das Wichtigste im leben. Sie sollte mal lieber an die arme Lotta-Grazia denken, die sich sicherlich verunsichert und gedemütigt fühlte, weil ihr dieses schlimme Missgeschick passierte. Vermutlich hat sie die viel zu früh auf’s Töpfchen gezwungen – das hat sie nun davon. Und das arme Kind! Und dann ist ihr Sex wichtiger. Es gibt ja so Eltern, die nichts Anderes im Kopf haben! Unmöglich!”

Freundin Zwei ist das, als was sie hier dargestellt wird: Eine Freundin. Sie verfällt nicht der Sucht nach innerer Bestätigung und benutzt Freundin Eins als Werkzeug derselben. Sie sagt: “Ja, Kacke, echt. Kenne ich. Weißte was? Ich schnappe mir am nächsten Samstag Lotta-Grazia und Hugo-Klaudius, die spielen ja so gern mit meinem Sohni und ihr geht mal schön aus.” Augenzwinkern. Lächeln. Fertig.

Man kann das Ganze auch umsetzen, ohne gleich Lotta-Grazia und Hugo-Klaudius bei sich einziehen lassen zu müssen. Einfach so mal mitfühlen und ehrlich sein. Das geht nicht nur mit der besten Freundin – da kann man das leicht, weil man ihr vertraut, dass sie nicht über einen urteilt.

Man ist ehrlich und Andere trauen sich dann auch. Und schließlich feiert man das, was man sich da gerade so couragiert erarbeitet hat: die Freiheit, ein authentischer Mensch sein zu dürfen. Ohne PR.

Denn wie mies und böse PR ist, wissen wir doch alle spätestens seit Mad Men, Thank you for Smoking oder Wag the dog. Oder?

P.S.: Wer noch mehr Filme über diese höllische Sparte sehen möchte, findet hier eine gute Liste.

P.P.S.: Sorry, Mr. Essential (PR-Berater!), Du weißt, ich liebe Dich, Handlanger des Satans :-*