Pubertäre Pöbeleien: Lanz & Jörges vs. Wagenknecht

Von Hartstein

Wer am vergangenen Donnerstagabend, dem 16.01.2014, im ZDF die Talkshow »Markus Lanz« sah, wurde Zeuge einer bizarren Veranstaltung. Gleich nach der Begrüßung der Zuschauer machten sich Herr Lanz und einer seiner Gäste, das Mitglied der Chefredaktion des Sterns Hans-Ulrich Jörges, verbal-aggressiv über einen anderen Gast, Frau Dr. Sarah Wagenknecht, her. Es drängte sich der Verdacht auf, Lanz und Jörges hätten sich vorher zum Schauprozess abgesprochen; zumal die Politikerin nichts anderes tat, als ruhig und sachlich wirtschaftliche und politische Argumente vorzubringen, und das bis zum Abebben der pubertären Pöbeleien ihrer zwei »Gesprächs«-Partner mit einer bewundernswerten Selbstbeherrschung und Freundlichkeit.

Von der Kommentierung der schein-argumentativen Zudringlichkeit des Herrn Lanz soll hier abgesehen werden – dessen unkontrollierte Rüpelanfälle angesichts einer ihm intellektuell überlegenen Frau sind mittlerweile sattsam bekannt.

Hier soll vielmehr die Rede sein vom Verhalten des Journalisten Hans-Ulrich Jörges. Wer ist Hans-Ulrich Jörges? Er war schon immer bekennender Neoliberaler. So faselte er wie viele seiner Kollegen zu Beginn des Jahrtausend unablässig vom Reformstau, unterstützte Wirtschaftsminister Clements pathologische Behauptungen, die Deutschen arbeiteten zu wenig und feierten zu viel, und verstieg sich zu der Forderung, sämtliche Feiertage außer Weihnachten, Ostern und Pfingsten abzuschaffen. 2006 befand Jörges in einem Kommentar zu Hartz IV, der Kommunismus siege, Arbeit werde verhöhnt, Nichtstun belohnt. Zur selben Zeit versuchte er mit der nachgewiesenermaßen falschen Behauptung, Familien mit mehreren Kindern könnten unter günstigen Umständen 2.000 Euro Sozialleistungen bekommen, die Schwächsten unserer Gesellschaft zu diskreditieren.

Wie nicht anders zu erwarten, gehört eine so strukturierte Persönlichkeit einer jener PR-Agenturen für Volksgehirnwäsche an, deren Aufgabe es ist, die neoliberalen Wahnvorstellungen in die Köpfe der Bürger einzupflanzen. Im Fall Jörges handelt es sich um das Kuratorium der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen, einer Initiative von BAT (British American Tobacco). Zu deren Mosaiksteinen der Volksverdummung gehört, natürlich, die Verbreitung der Lüge von der unvermeidlichen Rentenwirksamkeit eines so genannten »demographischen Wandels« und des Märchen von der Glückseligkeit der Deutschen. Es gäbe noch vieles anzuführen von der ideologischen Wühlarbeit des Herrn Jörges. Dazu aber ist dies nicht der Ort.

Erwähnt werden muss aber Jörges’ Argumentationsstil, denn der war neu. Zwar zeichneten sich seine Debattenbeiträge schon immer durch ein gerüttelt Maß an Disziplinlosigkeit, Aggressivität und Gepolter aus. Aber was er am vergangenen Donnerstag dem Publikum zumutete, kannte man bisher von ihm noch nicht: eine Aneinanderreihung von höhnischen Ausfällen, hämischen Unterstellungen, gebellten Beleidigungen und Niederschreien an die Adresse von Frau Dr. Wagenknecht. Hier einige Kostproben.

»Das ist ausgemachter Quatsch.« (Was Frau Dr. Wagenknecht sagt) 09:04
»Weil das Blödsinn ist.« (Frau Dr. Wagenknechts Äußerung) 09:13
»Das ist doch Blödsinn.« (Was Frau Dr. Wagenknechts NICHT gesagt hat) 11:34
»Weil, ich habe Sie auch ausreden lassen mit dem ganzen Stuss, den sie hier verbreiten, verantwortungsloser Stuss.« 25:47
»Das verhindere der Himmel – ja – solange Sie da was zu sagen haben.« (Die Linke eine hypothetische Mehrheitspartei in Deutschland) 26:58
»Dann ist das haarsträubender Unsinn.« (Frau Dr. Wagenknechts Äußerung) 34:11
»Das ist Unsinn.« (Frau Dr. Wagenknechts Äußerung) 35:36

Die Passagen, in denen Jörges Sachaussagen vorbringt, bieten meist Unzutreffendes und Widersprüchliches – einander widersprechende Satzteile oft in einem einzigen Satzgefüge.

Kurz, Jörges delirierte.

Um so wohltuender Frau Dr. Wagenknechts Contenance. Man mag ihrer politischer Position zustimmen oder sie ablehnen – eines kann man ihr nicht absprechen: Die Einzelaussagen ihrer Argumentationsketten waren in sich schlüssig und untereinander frei von Widersprüchen. Freundlich und höflich wies sie die Anwürfe ihrer tobenden »Gesprächs«-Partner zurück und rückte deren unsinnige Behauptungen und Unterstellungen mit offenkundiger Kompetenz zurecht.

Warum verhält sich Jörges so? Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er nervös war. Offenbar sieht er etwas auf sich zukommen, vor dem er Angst hat:
»Austritt von Südländern aus dem Euro heißt hier: viele Arbeitslose, viele Arbeitslose …« 24:54
»Was eine Spaltung des Euro für Deutschland bedeutet, […], das heißt viele Arbeitslose hier.« 26:02
»Sonst wären hier viele Leute arbeitslos und Europa wäre ein Trümmerhaufen.« (Wenn die EZB laut Jörges die von amerikanischen Hedgefonds beabsichtigte Zerstörung des Euro nicht verhindert hätte) 26:25

Jörges fordert somit nichts anderes, als die Strukturen, welche die Verelendung der anderen verursachen, nicht zu verändern, auf dass wir unseren Vorteil daraus ziehen und es uns besser als jenen gehe. Er ist allerdings nicht der einzige, der ein Scheitern des Euro inzwischen für nicht mehr ausgeschlossen hält. Und mit seinen für Deutschland düsteren Prognosen hätte er für den Fall des Falles sogar Recht. Allerdings wird eine etwaige Verelendung Deutschlands Jörges als Neoliberalen kaum beunruhigen, ganz im Gegenteil wird er eine weitere Zunahme der bereits heute grassierenden Armut in Deutschland nach einem etwaigen Ende des Euro eher begrüßen.

Was er hingegen befürchtet, ist das Ende des großen und vielversprechenden neoliberalen Ausplünderungsprojekts »Euro«, dem Jörges sich seit eineinhalb Jahrzehnten verschrieben hat und mit dem er sich identifiziert. Man könnte es verkürzt so ausdrücken: Scheitert der Euro, scheitert Jörges mit seinem Lebensinhalt. Spekulationen über das Verhältnis seines Selbstwertgefühls zu den hegemonial-rassistischen Implikationen des Projekts mag jeder für sich selber anstellen.

Die Sendung ist zu sehen in der ZDF-Mediathek oder als TV-Wiederholung im ZDF am 22. Januar um 10:15 Uhr.

Quelle: http://www.nachdenken-in-duesseldorf.de/?p=4132&cpage=1#comment-5232