Psychotherapie auf dem Prüfstand

Aus: Gehirn&Geist;, September 2010
Wer sich wegen seelischer Leiden behandeln lässt, steht vor einer Schwierigkeit: Kaum jemand kann Auskunft über schädliche Effekte und Nebenwirkungen geben. Einheitliche Bestimmungen, wie bei Medikamenten, gibt es bislang nicht. Dabei geht es rund jedem zehnten Patienten nach einer Psychotherapie schlechter als davor.
"Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!" Diesen Hinweis kennt jeder, der schon einmal ein Medikament verschrieben bekam. Auch vor einer Operation werden Patienten ausführlich über die Risiken aufgeklärt. Wer sich in psychotherapeutische Behandlung begibt, wird aber meist nicht vor möglichen Folgen gewarnt. Birgt eine Psychotherapie vielleicht gar keine Risiken?
"Ganz im Gegenteil", sagt Psychotherapieforscher Carsten Spitzer. Im Psychologiemagazin Gehirn&Geist; (Ausgabe 09/2010) fordert er gemeinsam mit seinen Kollegen Rainer Richter und Bernd Löwe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie Harald Freyberger von der Universität Greifswald einheitliche Regelungen zur Aufklärung von Patienten über die schädlichen Effekte von Psychotherapie für die eigene Zunft.
Therapeuten unterschätzen häufig die Zahl ihrer Misserfolge. Das haben verschiedene Studien der letzten Jahre gezeigt. Auch dass die gewünschten Erfolge mitunter ausbleiben oder gar Verschlechterungen eintreten, ist seit Jahrzehnten belegt. Warum eine Behandlung im Einzelnen scheitert ist hingegen kaum erforscht.
Schon Sigmund Freud beobachtete bei einigen seiner Patienten "eine Verschlimmerung der Kur", wobei er ausschließlich sie für die Symptomverschlechterungen verantwortlich machte – etwa weil sie die Ursachen ihrer Probleme angeblich verdrängten. Seitdem werden Nebenwirkungen einer Therapie meist dem Patienten angelastet und nicht etwa auf Fehler des Therapeuten oder das Behandlungskonzept zurückgeführt. In einer Studie von 2008 fanden Spitzer und Kollegen jedoch heraus, dass weder Patientenmerkmale wie etwa Alter, Geschlecht oder berufliche Situation noch Charaktereigenheiten wie Ängstlichkeit oder Scham mit dem Verlauf der Therapie in Zusammenhang stehen.
"Wir vermuten, dass problematische Aspekte auf Seiten des Therapeuten erheblich zum Misslingen einer Psychotherapie beitragen", so Spitzer. Andere Studien untermauern dies. Bereits Mitte der 1990er Jahre zeigten Untersuchungen des amerikanischen Psychologen David Mohr von der Northwestern University in Chicago, dass Patienten stark auf bewusste oder unbewusste Reaktionen des Therapeuten reagieren. Enttäuschung, Ärger oder schlicht Langeweile belasten die Behandlung.
Spitzer und Kollegen empfehlen Patienten daher zweierlei: Sie sollten ihren Therapeuten direkt auf mögliche Nebenwirkungen der Behandlung ansprechen und darauf achten, ob die Chemie stimmt. "Der größte Risikofaktor ist eine problematische Beziehung zum Therapeuten", sagt Spitzer. Wer von Anfang an keinen guten Draht zum Behandelnden bekommt, sucht sich besser einen anderen. Stellen sich die Probleme aber erst später ein, sollten Patient und Therapeut gemeinsam nach Lösungen suchen.
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