Protestanten in St. Petersburg

Von Krenkel

Was weiß man in Deutschland über evangelische Christen in Rußland? Wohl nicht viel, das Land wird primär mit der Orthodoxie und vielleicht noch mit dem Islam assoziiert. Juden, Buddhisten, Katholiken und Protestanten tauchen, wenn überhaupt, nur am Rande auf. Dabei war und ist Rußland multireligiös. Und gerade die Lutheraner wirkten in den zurückliegenden Jahrhunderten oft prägend, so daß für viele Russen das Wort Protestant identisch ist mit Lutheraner. Allein in Sankt Petersburg existierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere lutherische Gemeinden, deren größte 20.000 Glieder hatte. Gemeint ist die St. Petri-Gemeinde mit ihrer berühmten Kirche am Newskij-Prospekt im Zentrum der Stadt.
Anläßlich des dreihundertjährigen Gemeindejubiläums ist eine reich bebilderte Festschrift unter dem Titel "St. Petri 1710-2010 - Drei Jahrhunderte evangelischen Gemeindelebens in St. Petersburg" erschienen (Bezug über die Fachbuchhandlung Hein, Preis: 16 €). Sie informiert über die Anfänge evangelischen Gemeindelebens in Piter. Die erste Kirche befand sich 1704 in der Peter-und-Pauls-Festung und wurde vor allem von ausländischen Soldaten und ihren Familien besucht. Weitere Gemeindegründungen und Kirchenbauten folgten, so daß es fast ein Dutzend Gemeinden in Petersburg gab. Selbige wuchsen vor allem durch die Zuwanderung von Deutschen und Niederländern in das Kaiserreich. Nicht vergessen darf man auch die Gemeinden der ebenfalls lutherischen Finnen und Esten in der Stadt.
Ausführlich wird die wechselvolle Geschichte der Petrikirche beleuchtet. 1728/30 wurde die erste Kirche am Newskij-Prospekt errichtet; 1838 wurde dann der heute noch stehende klassizistische Bau geweiht. Seit den 1920er Jahren erschwerten die Bolschewiki die Gemeindearbeit immer weiter, 1937 wurde die Kirche geschlossen, 1938 fanden die beiden Pastoren den Märtyrertod. Das Gebäude wurde zunächst als Lager genutzt, 1962 folgte der Einbau eines Schwimmbades. Erst zu Beginn der 1990er gelang es der 1988 wiederkonstituierten evangelisch-lutherischen St.-Annen- und St.-Petrigemeinde, die Rückgabe der Kirche zu erwirken.
Seither wurde das Bauwerk umfassend saniert. Die Petrikirche ist außerdem Sitz des Bischofs der Ev.-Lutherischen Kirche in Rußland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien. Des weiteren beherbergt das Gelände ein Begegnungszentrum und seit kurzem auch eine deutsche Schule mit angeschlossenem Kindergarten.
Das Buch enthält auch einige überraschende Details über die lutherischen Gemeinden zur Zarenzeit. Wie die Orthodoxen so waren auch die Lutheraner Staatskirche, d.h. ihre Post wurde vom staatlichen Kurierdienst befördert, sie stellten Militärgeistliche usw. Insoweit bestand kaum ein Unterschied zur bevorrechtigten Stellung der evangelischen Staatskirchen in Deutschland. Von einer einflußreichen Stellung, wie sie sie vor einhundert Jahren innehatten, sind die Petersburger Protestanten schon mangels Masse weit entfernt. Dennoch pulsiert das Gemeindeleben, wenn auch in bescheidenem Umfang. Davon kann man sich auch als Besucher der Stadt überzeugen, wenn man die Petrikirche besichtigt.
Die Petrikirche anno 1909, vom Newskiprospekt aus gesehen.
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