Aus: Spektrum der Wissenschaft, Oktober 201
Heidelberg. Was geschieht, wenn Vorsorgetests auf einen Tumor in der Prostata hinweisen? Oft heißt es dann: Schnell operieren oder bestrahlen. Der Krebsmediziner Marc Garnick von der Harvard University (USA) hält das für bedenklich. Er warnt davor, gesunde Männer massenhaft mit dem so genannten PSA-Test zu untersuchen, um Tumoren frühzeitig zu entdecken. Dies habe bei hunderttausenden Männern zu unnötigen Behandlungen mit schweren Nebenwirkungen geführt, schreibt Garnick in der Oktoberausgabe von "Spektrum der Wissenschaft". Der PSA-Test liefere zwar nützliche Informationen, aber erst, nachdem ein Prostatakarzinom bereits diagnostiziert sei.
Zudem meint der Krebsmediziner, dass die Ärzte zurückhaltend therapieren sollten, selbst wenn ein Patient unzweifelhaft an Prostatakrebs erkrankt sei. Denn viele Tumoren der Prostata wüchsen so langsam, dass sie sich weder im Körper ausbreiten noch schwer wiegende klinische Symptome verursachen. Mit fortschreitendem Lebensalter erkranken immer mehr Männer an Prostatakrebs – bei den über 80-jährigen sind es sogar mehr als drei Viertel. Die meisten sterben jedoch nicht an dem Tumorleiden, sondern an anderen Erkrankungen. Garnick befürwortet daher ein »aktives Beobachten« von Prostatakrebspatienten – das bedeutet in der Regel, auf einen sofortigen Eingriff zu verzichten, den Verlauf der Krankheit aber sorgfältig zu überwachen. Eine Therapie, schreibt Garnick, käme etwa dann in Betracht, wenn Gewebeproben ein beschleunigtes Tumorwachstum anzeigten.
Zum Hintergrund: Der PSA-Test dient dazu, den Blutspiegel des prostataspezifischen Antigens (PSA) zu bestimmen. Dieses Protein wird von der Prostata produziert und dem Sperma beigemischt. Normalerweise fällt seine Konzentration im Blut verschwindend gering aus. Sie kann aber aus verschiedenen Gründen ansteigen, etwa bei einer altersbedingten gutartigen Vergrößerung der Prostata, im Zuge einer Infektion, nach sexueller Aktivität – oder eben auf Grund des Wachstums eines bösartigen Prostatatumors. Daher bedeutet ein positiver PSA-Test nicht, dass der Patient ein Prostatakarzinom hat, sondern nur, dass er eins haben könnte.
Im vergangenen Herbst gab die amerikanische "Preventive Services Task Force" eine Verlautbarung heraus, die für viel Aufregung sorgte. Das Expertengremium, das die US-Regierung in Gesundheitsfragen berät, empfahl gesunden Männern, nicht mehr an PSA-Tests zur Früherkennung von Prostatakrebs teilzunehmen. Denn diese Messungen hätten als Instrument zur Krebsvorsorge nur wenig oder gar keinen Nutzen. Sie hätten dazu geführt, dass hunderttausende Männer unnötig operiert oder bestrahlt wurden – mit Nebenwirkungen wie Impotenz, Inkontinenz und Rektalblutungen.
Forscher entdecken immer mehr Beispiele für Prostatatumoren, die zunächst als bösartig eingestuft werden und doch so gemächlich wachsen, dass sie sich weder im Körper ausbreiten noch schwer wiegende klinische Symptome verursachen. Deshalb erwägen Mediziner bereits, ihnen eine besondere Bezeichnung zu geben – etwa »indolenter Tumor«, was soviel wie »träge Geschwulst« bedeutet. Dies soll unterstreichen, dass die betroffenen Patienten für einen sehr langen Zeitraum unbehandelt bleiben können oder vielleicht sogar überhaupt keine Therapie benötigen. 2