Promis ansprechen

Von Madication

Mit zwölf Jahren schrieb ich Briefe an Arnold Schwarzenegger, später an Nirvana und Selig; deren sicherlich ausführliche Antworten kamen nie an, dafür die Autogrammkarten der Fantastischen Vier – und von Thomas Klestil. Ja, ich habe mich früh für Politik interessiert, aber der amtierende Bundespräsident war mir, was seine Funktion wie auch seine Person betraf, um 1992 herum doch noch ziemlich egal; jedoch, so mein Gedanke: Die Unterschrift des höchsten Amtsträgers der Republik – damit sollte man beeindrucken können! Wen auch immer.

Eine wirkliche Sammlerleidenschaft entwickelte sich daraus nicht, wenngleich ich mir das Selig-Autogramm bei einem Konzert 1996 doch noch holte, und im Lauf der Zeit die Unterschriften von Walter Schiejok und Paradise Lost sowie ein Drumstick des Sepultura-Gitarristen (kein Fehler!) Andreas Kisser meine Jugendzimmerwand zierten. Für das verschwitzte T-Shirt von Billy Joe Armstrong war ich beim Konzert in Konstanz 1997 um einen Sekundenbruchteil zu langsam, aber das habe ich nie wirklich bereut.

Der Beruf, in den es mich vor mittlerweile acht Jahren verschlagen hat, ermöglicht mir regelmäßig den Kontakt zu mehr oder weniger prominenten Menschen und hat mir ein ziemlich entspanntes Verhältnis zu deren Ruhm verschafft. Im Klartext: Ich neige nicht zu großer Hysterie, wenn ich auf der Straße zufällig Leuten wie dem großen André Heller oder einer Staatssekretärin begegne, noch wenn ich nach einem Rockkonzert euphorisch vom Sänger der gerade bejubelten Band umarmt werde. (Letzteres hat mich, im konkreten Fall von Stuck Mojos Bonz, eher verschreckt.)

Natürlich gibt es jene, denen ich auch im beruflichen Kontext entgegen gefiebert habe, etwa Josef Hader, Jiří Gruša oder Reinhold Messner – welchen ich auch drei Jahre nach unserer Begegnung noch als beeindruckendsten aller Interviewpartner in Erinnerung habe. Ich würde mich also nicht als kaltblütigen Vollprofi bezeichnen, aber doch als nicht ungeübt im Umgang mit den Reichen und Schönen, die sich nur zu oft als recht angenehme und erdgebundene Zeitgenossen entpuppt haben. Aufgrund meiner Erfahrungen bin ich dann eigentlich auch der Meinung, dass man Promis (abseits von ihnen geprägter oder auf sie zugeschnittener Veranstaltungen) bei einer zufälligen Begegnung nicht unbedingt belästigen sollte – aber wie soll man sich denn daran halten, wenn die Emotionen mit einem durchgehen?? Man hat doch Bezug zu diesen Leuten, wenn man ihre Musik, ihre Bücher etc. seit Jahren liebt!!

Und das geht dann so:

Im Frühjahr 2005 traf ich Daniel Kehlmann in einer Wiener U-Bahn-Station. Kurz davor hatte ich sein Buch Ich und Kaminski gelesen, mit dem er damals bereits die Schwelle vom Geheimtipp zum Kritikerliebling überschritten hatte. Es hatte mir überaus gut gefallen (Zitat: „Das möge er versuchen, sagte ich, ich würde mich ohnehin beschweren, er solle mir seinen Namen nennen. Er dächte nicht daran, sagte er, und ich stänke und bekäme eine Glatze.“) – ich empfehle es noch heute gerne weiter –, weshalb ich augenblicklich all meinen Mut zusammen nahm, um Kehlmann anzusprechen.

Der Schriftsteller war sichtlich erfreut, bedankte sich überschwänglich für mein Leserfeedback, und auf meine Frage, ob es denn bald Nachschub geben würde, verwies er bescheiden auf ein vom Verlag für den kommenden Herbst eingeplantes neues Werk – „etwas vollkommen anderes“ –, auf dessen Marktresonanz er sehr gespannt wäre. Nach einer rund fünfminütigen gemeinsamen Fahrt endete das Gespräch abrupt, weil Kehlmann am Ziel war; ich hatte jedoch das Gefühl, dass die Unterhaltung ein Gewinn für beide Seiten gewesen sei. Das Buch, das einige Monate später unter dem Titel Die Vermessung der Welt erschienen ist, machte Kehlmann übrigens zu einem der weltweit bekanntesten deutschsprachigen Autoren, verkaufte sich allein im deutschen Sprachraum an die zwei Millionen Mal und wurde bis heute in 40 Sprachen übersetzt.

Irgendwann im vorigen Herbst, es war ein sonniger Morgen, schlenderte ich die wenigen hundert Meter von der U-Bahn (dieselbe!) zum Büro und las dabei im aktuellen Falter über Alfred Gusenbauer. Völlig in Gedanken versunken resümierte ich die schwierigen Umstände seiner Kanzlerschaft (wohl nicht ohne die Ereignisse etwas zu verklären), als ich plötzlich von der Lektüre aufsah – und in seine Augen blickte. Das allein wäre eine problemlos zu meisternde Situation gewesen, in besagtem Augenblick war ich von der Gestalt, die mir entgegen kam, allerdings völlig und wortwörtlich geblendet: Der ehemalige SPÖ-Chef war von Kopf bis Fuß in weißes Leinen gekleidet (schick!), wodurch die ohnehin blendende Sonne stark reflektiert wurde und er – über den ich gerade eben noch intensiv nachgedacht hatte – mir für einen kurzen Moment einem Engel gleich erschien. Es durchzuckte mich richtig, und ich frage mich immer wieder, welchen Eindruck es gemacht haben muss, als ihn mein plötzliches „Guten Morgen!“ zwar freundlich und euphorisch, aber doch auch etwas brutal (und wohl eine Spur zu laut) traf. Was auch immer er sich gedacht haben mag: Seine Reaktion war freundlich und korrekt – ein Mann von Format, jenseits von jedem Sandkastengeplänkel oder Parteigesudere.

Gestern schließlich, unterwegs mit der Familie; mit meiner Tochter scherzend betrete ich das Wiener Museumsquartier, als ich, nur halbbewusst, an dem Gesicht eines mir entgegen kommenden Kerls – groß, ernst, Zigarette im Mundwinkel – hängen bleibe. Noch bevor mir richtig bewusst ist, woher ich den wohl kenne, ist er schon halb vorbei, und es reißt mich richtig herum, und schon rufe ich: „Whoaa – Mr. Homme!“ – Das Gespräch mit dem Kultgitarristen und -sänger (Kyuss, Queens of the Stone Age, Them Crooked Vultures), den man zu Recht als einen Rockgott des frühen 21. Jahrhunderts bezeichnen darf, ist kurz, und von meiner Seite her eher ein Gestottere. Handshake, und ich überlege erst was ich sagen will, nachdem ich bereits geredet habe: Ob sein Konzert heute Abend…? Dann alles Gute für den Gig…! Ob ich auch…? Nein, denn: I have to look after my daughter…!“

Gespräche mit Gott sollten anders ablaufen, und vor allem sollte man Gott gegenüber nicht zugeben müssen, keine Zeit für die Kirche zu haben. Das ist unwürdig. Homme nahm’s gelassen, wurde wohl nicht zum ersten Mal auf freier Wildbahn erkannt und angesprochen: „Thank you, bye“ – sprach’s und ward nicht mehr gesehen. Und ich so: (……) !!! – Und dann rasch meinen Frauen nach, an denen die Heiligenerscheinung spurlos vorüber gegangen war: Augenverdrehen und so, mehr Reaktion war nicht auf meine Schilderung hin.

(Aber ganz ehrlich: Meine Hände haben noch ein paar Minuten gezittert – ein echter Held meiner Jugend. Ich meine: Josh Homme, man!!?!!)