Aufschieben. Schieben wir das Projekt nach hinten, den Input auf später, das Feedback auf morgen. Arbeiten wir, doch nicht heute. Und Sie, der Kunde? Sie bezahlen doch eh später. Also: Alles gut!
Ein Dreisatz muss gelten, um von Prokrastination sprechen zu können. Das Verhalten muss kontraproduktiv, in mangelnder Notwendigkeit und verzögert sein. Wir entdecken dieses Verhalten nicht nur bei unseren Artgenossen, sondern auch bei uns selbst. Einige sind motiviert, (über-) beschäftigt und aktiv. Doch oft gekoppelt an einem Tanzakt auf seidenem Faden der Sicherheit, da der Kunde womöglich abspringen, jemand doch günstiger oder eventuell noch schneller jedoch dilettantischer) arbeiten konnte.
Kreativität hat keinen Ein- und Ausschalter, Motivation kennt keine Öffnungszeiten. Beides erarbeitet man sich, koppelt es an Techniken, an Disziplinen. Viele Aufgaben, die Designer nun immer mehr übernehmen, sind mühsam und fern von denen, die man sich im Studium, Praktika oder anderer Vorbildung angeeignet hat. Rationalisierungsmaßnahmen zwingen Firmen und am Ende der Produktionskette auch den Kreativen, günstiger, schneller, mehr zu arbeiten. Tätigkeitsfelder nennen wir nun unser eigen, für die wir per se nicht ausgebildet wurden. So geschieht es, dass wir in der Überforderung durch die Aufgabe nur mit großer Überwindung Sachen erarbeiten, die streckenweise in der Langeweile uns zu ersticken drohen, da wir das Ziel durch den Hürdenlauf im fremden Gebiet nicht zu überschauen vermögen. Mit dieser Erfahrung geschlagen, vertagen wir die Erledigung und tauschen einen linearen Prozess gegen ein Hamsterrad, das uns im Teufelskreis laufen lässt.
Kreative Berufe, so sprunghaft sie erscheinen und so willkürlich ihr Verlauf ist, sind gezielt auf ein Ergebnis ausgelegt und, so zum Beispiel im Design, haben die Problemfindung mit minimalem Aufwand bei maximalen Nutzen als höchste Priorität zu Grunde. Verschwindet für den Kreativen der klare Weg und wird dieser verschleiert durch scheinbar Unnötiges und Belastendes, so wird die benötigte Organisation immer schwerer, die motivierende Impulsivität der Kreativitätstechniken immer geringer, die Gedankengänge unfokussierter. Latente Unsicherheit und Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, den Zeitplan aus fehlender Erfahrung nicht einschätzen zu können und bei erhöhtem Fehlerquotienten das Projekt nicht zu vollster Zufriedenheit erfüllen zu können, ruft bei uns oft das zu Beginn erleichternde Verhalten des Aufschiebens an die Tagesordnung. So erscheint uns das Vertagte bereits zu einem gewissen Maß erledigt, denn es wurde schließlich von der Agenda berücksichtigt. Mit der Zeit häuft sich das Aufgeschobene auf ein Niveau an, bis es zu einem nicht mehr zu stemmenden Ballast wird. Unzufriedenheit, Frust, Selbstzweifel, Blockaden machen sich breit, eigene Wirksamkeitserwartung schwindet, psychische Erkrankungen sind nicht selten. Mit geschrumpfter beruflicher Selbstachtung wird schließlich auch ein Ausweg für zukünftige Auftrage verbaut.
Auswege aus der Prokrastinations-Krise gibt es einige. So unterschiedlich die Symptome sind, so schwer lässt sich aber auch ein bestimmter als Allheilmittel nennen. Sicherlich sind, sofern die Ursachen nicht in echter Persönlichkeitsstörung liegen, dem eigenen Zeit- und Selbstmanagement vollste Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Goldratt’sche »Theory of Constraints«: Identifiziere den Engpass ganz im Zeichen eines Auswegs, laste diesen voll aus, ordne alles seiner Ausnutzung unter und behebe den Engpass. Sollte an einer Stelle diese Kette reißen, so empfiehlt Goldratt, von vorne zu beginnen: Identifiziere!
Demnach ist die Klärung der Sachlage und die darauf folgende Erkenntnis der erste Schritt zur Besserung der Situation. Die von Georg Popp 1 propagierte Macht der kleinen Schritte ist sicherlich der zweite gute Rat, der zum entspannten Arbeiten führen kann. Sofern wir uns vor Augen führen, dass das Ergebnis in seiner Gesamtheit aus einzelnen kleinen Teilen zusammengesetzt ist, wird es uns einfacher fallen, mit der Ungeduld zurecht zu kommen, alles in absehbarer Zeit abhaken zu wollen. Das oft auf Seiten der Designer belächelte Coaching wird zum wichtigen Bestandteil des Auswegs. Ob durch das Coaching mit einem anderen oder durch uns selbst, wir müssen lernen, an Aufgaben zu wachsen. In einer gesunden Selbstwahrnehmung sich dessen bewusst sein, was wir können oder was wir imstande zu tun sind. In der Selbstreflexion ist es wichtig, herauszufinden, wohin wir wollen und was uns bis jetzt davon abgehalten hat. So sehr Bauernschläue oder Mutters kluger Rat uns voller Abneigung den Zeigefinger wieder ins Gedächtnis ruft – was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen –, so tatsächlich arbeitserleichternd ist diese einfache Formel, insofern man sich seiner Fähigkeiten und Kompetenzen bewusst ist.
1) Georg Popp, Die Macht der kleinen Schritte. Hilfen zur Bewältigung von Ängsten und Problemen, 1984