Produktentwicklung einmal anders: Kreative Nutzerworkshops

24. Januar 2014 Hinterlasse einen Kommentar

Über Köpfegucken, Seelentauchen und Grenzerfahrungen: kreative Nutzerworkshops, Sonja Quirmbach

Köpfegucken, Seelentauchen und Grenzerfahrungen: Kreative Nutzerworkshops geben tiefe Einblicke in die Kunden (SQ)

Über das Potential von User Experience Tests im Labor, ist schon sehr viel geschrieben worden. Leider ist es noch nicht soweit, dass sie bereits eine Selbstverständlichkeit in der Produktentwicklung sind, aber dass sie sinnvoll sind, hat sich einigermaßen etabliert. Heute stelle ich Ihnen eine weitere qualitative Methode vor, über die noch recht wenig geschrieben ist und die ebenso wenig durchgeführt wird: kreative Nutzerworkshops mit Kunden.

Die Betonung lege ich hierbei bewusst auf dem Wort „kreativ“, da die Teilnehmer sich wirklich aktiv am Workshop beteiligen müssen. Wie das genau aussieht, dazu kommen wir gleich.

Reden wir vorher kurz über die Gründe, warum viele Unternehmen diese Methode noch scheuen: Die Produktverantwortlichen haben entweder eine falsche Erwartungshaltung, schätzen die Fähigkeiten der Teilnehmer – also ihrer Kunden – nicht richtig ein oder sind schlichtweg nicht offen gegenüber möglichen andersartigen Ergebnissen. Als größte Hemmschwelle funken oft frühere Erfahrungen dazwischen: Da hat man „sowas“ schon mal gemacht, aber das hat aus unterschiedlichen Gründen nicht wirklich was gebracht.

Richtig durchgeführt, stellen kreative Nutzerworkshops einen weiteren relevanten Puzzlestein in der Produktentwicklung dar.

Was sind kreative Nutzerworkshops?

Ziel des kreativen Nutzerworkshops ist es, dass die Teilnehmer nicht nur reden oder in der Gruppe diskutieren, sondern sie TUN, indem sie vom Moderator dazu motiviert werden, etwa:

  • zu visualisieren: Die Teilnehmer werden dazu aktiviert, in Bildern zu denken und in Bildern zu entwickeln (Visual Thinking). Hierbei können verschiedene Materialien verwendet werden, wie das klassische weiße Blatt und Stifte aber auch Bastelmaterialien, wie Knete, Pfeifenreiniger oder Lego Serious Play uvm.
  • ein Brainstorming durchzuführen: Die Teilnehmer sollen wild und frei ihre Gedanken aufschreiben um diese im Anschluss z. B. zu ordnen, clustern, verfeinern.
  • zu beschreiben: Die Teilnehmer werden angeregt, in Texten zu denken und zu entwickeln.
  • ihre Rollen zu tauschen: Die Teilnehmer sollen eine bestimmte Rolle und Sichtweise einzunehmen, um diese Perspektive z. B. besser zu verstehen oder auszubauen.

In den Workshops „müssen” die Teilnehmer also im weiteren Sinne das Erlebnis selbst erschaffen, herstellen und konkretisieren.

Das Spiel als Basis

Kreative Spiele bilden hierbei die Basis und werden sehr vielseitig eingesetzt:

… sie bringen Einsichten in die Denkweisen, Bedürfnisse und Motivationen der Kunden.

… sie sind geeignet, um Einblicke in das Umfeld und die Lebenssituationen zu bekommen, in denen Produkte verwendet werden oder Probleme entstehen.

… und sie tragen dazu bei, den Kontext und Alltag der Kunden besser nachvollziehen zu können.

Kopfmenschen versus  Bauchmenschen

Kopfmenschen versus Bauchmenschen:
Kreative Spiele müssen beide Seiten aktivieren. 

Das Schreiben, Malen und Kneten hilft dabei, den kreativen Prozess in den Köpfen der Menschen zu fördern und den Gestaltungsprozess anzuregen.  Manche Menschen können ihre Ideen viel besser beschreiben, wenn sie passend dazu etwas zum zeigen haben. Doch auch die „Kopfmenschen“ profitieren enorm, weil sie durch die neuen Herangehensweisen buchstäblich anders denken und erleben.

Das „think outside the box“ gelingt über die kreativeren Aufgabenstellungen oft plötzlich ganz leicht. So sind die Ergebnisse mehrdimensionaler als beim reinen Frage-Antwort-Prinzip von Marktforschung & Co. Durch mehrere hintereinander durchgeführte Spiele, die aufeinander aufbauen, sind sie zudem ausgereifter.

Die Herausforderung dabei

Genau hier wird es kritisch: Denn zum wird es spätestens an dieser Stelle offensichtlich, dass es wichtig ist, die Aufgaben und Spiele sinnvoll auszuwählen sowie zielgerichtet zu konzipieren. Zum anderen kann es- anders als bei herkömmlichen Methoden – passieren, dass das Ergebnis nicht so ausfällt wie erhofft.

Schon oft habe ich nach einem Workshop mit einem enttäuschten Team über die Richtigkeit und Validität der Ergebnisse diskutiert, wenn die Teilnehmer die Nützlichkeit einer Produktidee nicht befürworten konnten (meint: Das Produkt nicht toll fanden). Gute Entwickler wissen gleichzeitig: Auch negative Ergebnisse haben Gutes an sich, da sie Perspektiven öffnen.

Um solche Workshops durchzuführen, bedarf es einer guten Planung und Auswahl der Spiele. Je aufwändiger ein Spiel in der Durchführung ist, desto mehr Zeit sollte eingeplant werden. Die Dauer eines Workshops kann drei Stunden betragen oder mehrere Tage lang sein. Die Gefahr ist anfangs groß, zu viele Spiele reinzupacken und sich in der Kreativität regelrecht zu verstricken.

Generell gilt bei der Spieleauswahl: Lieber einige wenige klug ausgewählte, wenige Methoden und dafür intensiv damit „gespielt“ (gearbeitet), als die Leute zu bombardieren, durchzuhetzen oder viel zu sehr an der Oberfläche zu bleiben*.

Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass klug geplante Nutzerworkshops extrem nützliche Ergebnisse bringen, wenn man ergebnisoffen rangeht. Dann wird aus dem Ganzen auch kein Desaster, das verschämt in der Schublade landet, sondern Sie haben handfeste und aussagekräftige Resultate, die wertvoll für den weiteren Verlauf der Produktentwicklung sind.

*Da die gute Planung eines Nutzerworkshops ein komplexes Thema ist, greife ich das später in einem separaten Artikel auf


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