Gerhard Czermak, promovierter Jurist -Staatskirchenrechtler- im Ruhestand, hat zu Beginn des Jahres 2014 sein neues Buch vorgelegt. Er nennt es kurz und bündig “Problemfall Religion”. Und nach dessen Lektüre kann der Rezensent feststellen, dass der Autor seinem eigenen Anspruch – formuliert im Untertitel – voll und ganz gerecht worden ist.
Dieses “Kompendium der Religions- und Kirchenkritik” ist ein tatsächlich kurz gefasstes Nachschlagewerk, das dennoch eine Fülle von Informationen und Bewertungen bietet. Czermaks Kompendium sollte daher in keinem Bücherregal von Laizisten fehlen. Zumal es im Vergleich mit Deschners zehnbändiger “Kriminalgeschichte des Christentums” für jedermann erschwinglich ist und über Deschner noch hinausgeht.
“Wissenschaftler wissen, dass sie nur vorläufig (bis zur Erlangung besserer Erkenntnisse etwas ‘glauben’ (d.h. aktuell etwas für wahr bzw. wahrscheinlich halten), während Theologen glauben, etwas zu wissen. Theologie ist der Versuch, durch Verknüpfung von Glaubensinhalten, also von nicht konkret nachprüfbaren ideellen Tatsachenbehauptungen, Zusammenhänge in Form von Systemen herzustellen (…) Dazu benutzen sie gelehrt klingende Begriffe und schaffen mit ihnen ein schwer verständliches und nicht direkt widerlegbares Wortgeklingel. Vorzugsweise christliche Theologen geben sie dann als Wissenschaft aus und sind beleidigt, wenn man der Theologie den Wissenschaftscharakter abspricht.” (S. 326)
Mit diesen wenigen Worten hat Czermak eigentlich schon den Problemfall Religion komplex dargelegt. Bereits im Vorspruch geht er auf den Terminus “Glauben” ein und präzisiert damit seine Arbeits- und Herangehensweise an das Thema:
“Der wissenschaftlich-vernünftige Denkende, kennt nur vorläufige, manchmal sehr unsichere Überzeugungen, die aber immerhin auf akzeptablen Gründen beruhen. Diese Überzeugungen ebenfalls ’Glauben` zu nennen, ist sprachlich unsauber und wird von religiösen Interessenvertretern im Meinungskampf unseriös eingesetzt.” (S. 5)
Doch Czermak belässt es nicht bei solch treffender Analyse und Schlussfolgerung. So setzt er sprachlich sauber den Begriff Gott in der Regel in Anführungszeichen. Und er macht deutlich, dass es den ‘religiösen Interessenvertretern’, sprich einer Priesterkaste, im Meinungskampf zuallererst um deren ureigene Machtinteressen geht. Macht über Mensch, Gesellschaft und Staat und Erhalt ihrer eigenen immensen wirtschaftlichen Macht.
Durchaus sehr konkret auf bundesdeutsche Verhältnisse bezogen – obwohl er im Grundsatz universell formuliert, schreibt Czermak im Vorwort:
“Zu denken sollte dabei geben, wie sehr die Religionen den ideologischen Zugriff auf die Menschen von klein auf betreiben, wobei ihre Führungspersonen fast ausschließlich eigene Interessen verfolgen und das selbständige Denken behindern. Vielfach genügt den Religionsführern schon, wenn nach dem Erwachsenwerden wenigstens eine psychologische Affinität zu den Religionen/Kirchen bleibt. Das hat in Deutschland mit seinem ungewöhnlichen System des staatlichen Kirchensteuereinzugs besondere Auswirkungen. Die anderswo unbekannte Formalisierung der Kirchenmitgliedschaft hat im Verein mit großen Teil des führenden Journalismus dazu geführt, dass die Kirchen trotz großer Erosion des individuellen Glaubens nach wie vor großen Einfluss auf Gesellschaft und Politik ausüben.” (S. 8)
Und wer an diesem klerikalen Anspruch rüttelt, der hat mit Folgen zu rechnen. So, wenn z.B. der Ratzinger-Papst religionsfreien Menschen Moral und Menschlichkeit abspricht. Oder wenn dann freidenkenden Menschen mit Inbrunst “Hass entgegenschlägt, wie es schon zahllose Kritiker der ‘Religion der Liebe’ erleben mussten.” (S. 9)
Auf Zitate aus den sechs Kapiteln dieses Kompendiums wird in dieser Rezension bewusst weitestgehend verzichtet. Das würde nicht nur den Rahmen sprengen, sondern dieser Verzicht soll auch sehr direkt zur eigenen Lektüre des Buches einladen.
Im ersten Kapitel geht der Autor auf allgemeine und übergreifende Themen ein. Also auf Grundfragen der Religions- und Kirchenkritik, ebenso wie auf den Religionsbegriff und die Entstehung, Arten und Funktion von Religion(en). Nun mag man über Czermaks Religionsbegriff aus kulturwissenschaftlicher Sicht durchaus streiten und sich auch fragen, wozu der Religionsbegriff überhaupt taugt, wenn es um konkrete Religionen geht. Aber das soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, zumal das ja durchaus entsprechende Debatten befördern kann. Weitere Stichpunkte des Kompendiums sind in diesem Komplex der Gottesglaube und der A-Theismus, die Geschichte des Unglaubens oder Ausführungen zu Glaube, Wissenschaft und Vernunft. Der Autor geht quellenbasiert auf die sogenannten Heiligen Schriften von Judentum, Christentum und Islam ein und widmet sich den Selbstbehauptungen und der Wirklichkeit religiöser Ethik. Besonders fragwürdig wird die hehre und zumeist nicht hinterfragte “religiöse Ethik” in vielen Aspekten globaler religiöser Praxis (Gebet und Menschenopfer). Und dann kommt Czermak zum notwendigen Kern jeglicher Religions- und Kirchenkritik: dem untrennbaren Zusammenhang von Religion, Politik und Macht, dem daraus resultierenden religiösen Fundamentalismus und Extremismus. Der Autor scheut sich nicht, hier Ross und Reiter zu benennen, und er denkt weiter.
So sieht er den Weltfrieden gefährdet, wenn religiös verbrämte Politik die Oberhand gewinnen sollte. Czermak lässt sich hier keine Scheuklappen anlegen, wenn er ganz konkret auf Bush-Krieger und landraubende Siedler im sogenannten Heiligen Land zu sprechen. Ein weiteres Stichwort lautet deshalb Religion, Gewalt und Krieg. Beleuchtet werden ferner die Religions- und Kirchenstatistik sowie die Kirchensoziologie. Nicht zuletzt wirft Czermak die Frage auf, ob Religionen, wie unisono von Klerikern, Politik und Medien behauptet, Integrationsfaktor sind bzw. es sein können. Sein Urteil, an jahrtausendealter Praxis festgemacht, fällt vernichtend aus: Nur ein weltanschaulich und religiös neutrales Staatswesen, also ein laizistisches, das nicht auf religiös verbrämten Rechtsgrundlagen, sondern auf den universellen Menschenrechten beruht, kann Menschen dauerhaft integrieren.
Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über die Geschichte des Christentums, und dies nicht an Legenden festgemacht, sondern an wissenschaftlichen Erkenntnissen (Archäologie, kritische Bibelforschung, belegte Urkunden…). Czermak benennt die Hauptinhalte des Christentums und die sich darauf beziehende Fundamentalkritik an dieser Religion. Im Zusammenhang damit geht er auf die Geschichte des Christentums ein, zutreffend überschrieben mit “Anfänge und Schnelldurchgang”. Kurz und bündig geschrieben, aber faktenreich, hinterfragend und sehr aussagekräftig.
Den Hauptteil dieses Nachschlagewerkes bildet das dritte Kapitel, das Czermak mit “Besondere Kapitel des Christentums” überschrieben hat. Stichworte sind hier u.a.: die religiöse Judenfeindschaft; “Das Böse und der freie Wille. Sünde, Gott und Teufel, Hirnforschung”; das Papsttum; der Marienkult; Frauen und Sexualität im Allgemeinen; Priesterzölibat; Inquisition und Hexenverfolgung; Sklaverei; Kirchen und Juden zu Zeiten faschistischer Diktaturen – insbesondere während des deutschen NS-Staates.
Aber die Verbrechen klerikaler Macht und klerikaler Machtanspruch liegen nicht nur in ferner Vergangenheit, sie sind nach wie vor aktuell und stehen somit nicht bloß in Büchern geschrieben, sondern jeder Mensch, der mit offenen Augen durch die Welt geht, kann sie selbst sehen. Daher hat Czermak diesem Komplex ein eigenes Unterkapitel “Katholische Kirche und moderne Diktaturen” gewidmet. Mit den Stichworten “Kirche als Diktatur”; Faschistische Diktaturen; Ustascha-Regime in Kroatien – Exzesse der Grausamkeit; südamerikanische Diktaturen. Es schließt sich ein Unterkapitel zum “Völkermord in Ruanda und katholische Kirche” an.
Es folgen diese Stichworte: Heiligenverehrung und Kirchenpolitik – insbesondere seit 1900; Reformation und Protestantismus; Bibel, Bibelwissenschaft und Bibelpraxis; Religiöse Erziehung und ihr Missbrauch; Kirche, Wahrheit und Wissenschaft; Theologie, Amtskirche, Machterhalt und der Umgang der Kirchen mit Andersdenkenden. Czermak geht auch auf solche Fragen ein, wie: “Christliche Ethik?” oder “Verhalten sich religiöse Menschen besser?” Besonders lesenswert sind die Ausführungen zu Selig- und Heiligsprechungen. Wer wurde wann und vor allem weshalb von welchen Päpsten selig- bzw. heilig gesprochen? Hervorgetan haben sich da insbesondere der Wojtyla- und der Ratzinger-Papst. Relativ ausführlich hat der Autor hierfür eine Liste der päpstlich Geehrten aufgestellt.
Das Kompendium wäre nicht vollständig, hätte sich Czermak in einem vierten Kapitel nicht auch den “wichtigsten nicht-christlichen Religionen” zugewendet. Obwohl nur sehr kurz gehalten, erfährt der Leser jedoch sehr fundierte Informationen und Bewertungen – und immer im Vergleich mit dem Christentum – über Judentum, Islam, hinduistische Religionen und Buddhismus. Gerade in diesem Kapitel wird dem deutschen Durchschnittsbürger sehr viel Neues vermittelt, es wird auch mit Vorurteilen über “die Anderen” und mit Illusionen (Dalai-Lama-Kult im “Westen”) aufgeräumt.
Im fünften Kapitel wird eine sehr kurz gefasste, dafür aber eine um so prägnantere “Gesamtbilanz des religiösen Denkens und Handelns” gezogen. Diese fällt für keine einzige der genannten Religionen positiv aus.
Dennoch stellt Czermak im letzten Kapitel die Frage aller Fragen: “Wo bleibt denn das Positive?”
Der Autor ist Wissenschaftler durch und durch, so dass er zwar die Religionen kritisiert und auch an den Religionsführern kaum ein gutes Haar lässt. Aber als ein der Aufklärung und dem Humanismus verpflichteter Wissenschaftler weiß Czermak, dass menschliche Individuen durchaus des Religiösen oder der Religion bedürfen können. Er weiß auch, das nicht wenige religiöse Würdenträger, vor allem an der Basis, versuchen, ihren geglaubten ethischen Idealen zu entsprechen und dies auch zu vorzuleben. Ihnen spricht der Autor seine Hochachtung aus, verurteilt keinen “Gläubigen” an sich. Dass aber Glauben und Handeln solcher Menschen immer wieder vom hohen Klerus missbraucht und für eigene Machtinteressen verfälscht wird, weiß Czermak ebenfalls. So wenn er bereits im zweiten Kapitel auf S. 218 über Westdeutsches nach dem 8. Mai 1945 schreibt:
“Es ist nicht übertrieben, die Reaktionen beider Kirchen in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit ihren unverfrorenen Geschichtslügen (aus dem Widerstand weniger Einzelner wurde der Widerstand der Kirchen) als unappetitlich zu bezeichnen.”
Ja, wo bleibt denn das Positive? Gibt es überhaupt etwas Positives?
Czermak geht an diese Frage ganz praxisbezogen, ganz universell, heran, wenn er die Religionen und insbesondere die christlichen Kirchen als Organisation daran misst, wie sie sich verhalten haben und wie sie sich (meist notgedrungen) noch verhalten zu diesen elementaren Aspekten menschlichen Zusammenlebens: Toleranz und Menschenrechte sowie Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Positives war und ist auch hier so gut wie nichts zu finden.
Auf die vielbeschworene christliche Nächstenliebe, angeblich höchster Wert dieser Religion, geht Czermak schon an anderer Stelle ein. Nicht Sonntagspredigten lässt er gelten, sondern tatsächliches Handeln. Was die christliche Priesterkaste unter Nächstenliebe wohl wirklich versteht, das sprach während des zweiten Weltkrieges der katholische Priester-Präsident des nazideutschen Vasallenstaates Slowakei, Monsignore Jozef Tiso, unverblümt aus und rechtfertigte damit den Massenmord an den Juden auch seines Landes:
“Ich frage so: Ist es christlich, wenn die Slowaken sich von ihren ewigen Feinden, den Juden, befreien wollen? Die Liebe zu unserem Nächsten ist Gottes Gebot. Seine Liebe macht es mir zu Pflicht, alles zu beseitigen, was meinem Nächsten Böses antun will.” (S. 231)
An diesem Beispiel wird sehr deutlich, was Christenführer unter dem schwammigen Begriff “Nächster” wirklich verstehen. Und auch, was es mit der angeblich ebenfalls christlich gebotenen Feindesliebe auf sich hat… Es gibt sie einfach nicht!
Abschließend wendet sich Czermak in diesem Kapitel auf gut zwölf Seiten noch dem Thema “Humanismus und weltliche Ethik” zu. Seinem diesbezüglichen Resümee ist voll zuzustimmen:
“Ein psychologisches Problem der rational begründeten säkular-humanistischen Werte ist freilich, dass sie kein Charisma aufweisen und das Gemüt nicht befriedigen. Wenn Religionen entzaubert sind, bleibt bei manchem doch etwas Sehnsucht. Wer also etwas ‘Höheres’ fürs Gemüt braucht, mag es unbehelligt in irgendeiner Religion finden. Aber er soll andere damit in Ruhe lassen. Es ist sicher auch nicht Aufgabe des pluralistischen Staates, die Suche nach einer Religion zu unterstützen oder gar das Ergebnis einseitig, auf Kosten anderer, zu privilegieren.” (S. 409/410)
Ein umfangreicher Anhang mit Anmerkungen, Quellenangaben und Hinweisen auf weiterführende Literatur rundet Czermaks überaus empfehlenswertes Kompendium ab.
Siegfried R. Krebs
Gerhard Czermak: Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik. 480 S. Hardcover. Tectum-Verlag. Marburg 2014. 24,95 Euro. ISBN 978–3–8288–3285–5Das Buch ist auch im denkladen verfügbar