Private Schiedsgerichte sind verfassungswidrig

Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Dr. Siegfried Broß

Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Dr. Siegfried Broß

Private Schiedsgerichte sind verfassungswidrig

24. Februar 2015 / Nic Frank / 0 Comments

Private Schiedsgerichte, wie sie in den trans­at­lan­ti­schen Freihandelsabkommen vor­ge­se­hen sind, ver­sto­ßen gegen das Grundgesetz und kol­li­die­ren mit Prinzipien des Völkerrechts. Zu die­sem Ergebnis kommt der frü­here Verfassungsrichter Prof. Dr. Siegfried Broß in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geför­der­ten Expertise. Eine rechts­kon­forme Alternative könn­ten staat­lich besetzte Schiedsgerichte dar­stel­len.

Sie sind der umstrit­tenste Punkt in den geplan­ten Freihandelsabkommen zwi­schen der Europäischen Union und Kanada (CETA) bezie­hungs­weise mit den USA (TTIP): Schiedsgerichte, die über ver­meint­li­che Vertragsverletzungen urtei­len sol­len. Klagen kön­nen aus­schließ­lich Unternehmen – wenn sie ihre Investitionen auf der jeweils ande­ren Seite des Atlantiks ent­wer­tet sehen, bei­spiels­weise durch schär­fere Umwelt- oder Sozialgesetze. Verklagt wer­den Staaten, oft auf Schadenersatz in mehr­stel­li­ger Millionen- oder sogar Milliardenhöhe. Als „Richter“ fun­gie­ren Privatleute, meist Juristen aus gro­ßen inter­na­tio­na­len Anwaltskanzleien. Die Verhandlungen wer­den, anders als Prozesse vor ordent­li­chen staat­li­chen Gerichten, nicht grund­sätz­lich öffent­lich geführt. Eine Berufungsinstanz gibt es nicht.

Die Skepsis gegen­über sol­chen Privat-Gerichten ist ver­brei­tet – und berech­tigt, schreibt Prof. Dr. Siegfried Broß. Der pen­sio­nierte Richter und Honorarprofessor, der sowohl am Bundesgerichtshof als auch am Bundesverfassungsgericht Recht sprach, hat sich mit CETA und TTIP aus­ein­an­der­ge­setzt. Broß lehnt Freihandelsabkommen nicht grund­sätz­lich ab. Sein Befund lau­tet den­noch: „Diese Abkommen sind nach dem der­zei­ti­gen Stand mit den Klauseln über den Investorschutz zuguns­ten aus­län­di­scher Unternehmen und die Einrichtung pri­va­ter Schiedsgerichte ver­fas­sungs­wid­rig.“ Daran änder­ten auch die vie­len grund­sätz­lich ähn­lich gestrick­ten Freihandelsabkommen nichts, die ver­schie­dene Bundesregierungen seit 1959 abge­schlos­sen haben: „Auch wenn Deutschland eine sol­che ‚Tradition‘ begrün­det hat, liegt hierin noch keine Rechtfertigung dafür, hieran unver­brüch­lich fest­zu­hal­ten“, betont Broß.

Nach Analyse des Rechtswissenschaftlers kol­li­die­ren die geplan­ten Regelungen an meh­re­ren zen­tra­len Punkten mit Grundgesetz und Völkerrecht:

  • Wenn die Bundesrepublik CETA oder TTIP in der gegen­wär­ti­gen Form bei­trete, ver­letze dies das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, argu­men­tiert Broß. Denn nach deut­schem Verfassungsrecht seien allein ordent­li­che Gerichte die Instanzen, um über Klagen gegen Staaten zu ent­schei­den. Das schließe supra­na­tio­nale Gerichtshöfe, etwa im Rahmen der Vereinten Nationen oder EU, nicht aus, wohl aber pri­vate Schiedsgerichte.
  • In die glei­che Richtung wie das deut­sche Verfassungsrecht wir­ken nach Über­zeu­gung des Juristen die Grundregeln des Völkerrechts. Sie besa­gen: Privatpersonen und pri­vate Institutionen wie Unternehmen sind „nur mit­tel­bar über den jewei­li­gen ‚Heimatstaat‘ am Völkerrechtsverkehr betei­ligt oder betrof­fen“. Klagen von Unternehmen vor pri­va­ten Schiedsgerichten gegen Staaten pass­ten nicht in die­ses System.
  • Weiche man davon ab, könn­ten „par­la­men­ta­ri­sche Mitwirkung und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts“ durch Urteile von dazu nicht legi­ti­mier­ten Einrichtungen unter­lau­fen wer­den. So werde „auf dem Weg einer zwi­schen­staat­li­chen Vereinbarung über den Freihandel mate­ri­ell die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in einem Staatsorganisationsprinzip geän­dert“. Und das sei nicht ein­mal mit ver­fas­sungs­än­dern­der Mehrheit des Bundestages mög­lich.
  • Nicht akzep­ta­bel seien schließ­lich Prozesse hin­ter ver­schlos­se­nen Türen. Öffent­li­che Verhandlungen gehör­ten zu den ele­men­ta­ren Qualitäten rechts­staat­li­cher Gerichtsverfahren, so Broß. Zumal das Argument, es müss­ten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt wer­den, nicht über­zeuge. Die natio­na­len Prozessordnungen im Patent-, Wettbewerbs- oder Gesellschaftsrecht hät­ten dafür längst prak­ti­ka­ble Regeln gefun­den.

Im Verhältnis von EU, USA und Kanada, also Regionen mit funk­tio­nie­ren­den Rechtssystemen, spre­che ohne­hin wenig für über­staat­li­che Schiedsgerichte. Wolle man trotz­dem par­tout supra­na­tio­nale Strukturen schaf­fen, etwa um Standards für spä­tere Freihandelsabkommen mit ande­ren Ländern zu set­zen, lie­ßen sich diese allen­falls als „Staatsschiedsgerichte“ ver­wirk­li­chen, schreibt der Rechtswissenschaftler. Wenn „Vertreter der Vertragsstaaten mit Zustimmung der natio­na­len Parlamente“ als Richter beru­fen wür­den, sei das ver­fas­sungs­kon­form und biete noch einen Vorteil: Ein der­ma­ßen demo­kra­tisch legi­ti­mier­tes Staatsschiedsgericht habe die Kompetenz, spä­ter auf­tre­tende Lücken und Schwächen im Vertrag durch seine Urteile zu kor­ri­gie­ren.

Vgl. auch: Freihandelsabkommen, einige Anmerkungen zur Problematik der pri­va­ten Schiedsgerichtsbarkeit (PDF)

[Über­nahme von Pressenza]


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