Prioritäten aus Fleisch und Blut

Von Robertodelapuente @adsinistram
oder Die Kantine als Knast?
Manchem Griechen fehlt das Geld für sein tägliches Brot. Für dieses dem Spardiktat geschuldete Phänomen erhält die Kanzlerin gemeinhin viel Lob. Den Deutschen ist eine wöchentlich "verordnete" Gemüsefrikadelle schon zu viel - oder besser gesagt: zu wenig. Mit der Veggie Day-Empörung zeigt dieses Land, was ihm wirklich wichtig ist.
Natürlich ist der Vorschlag der Grünen unsinnig. Der typische Versuch bürgerlicher Damen und Herren, ihren Typus anderen aufzunötigen. Aber ein Generallangriff auf die Freiheit, zu dem man diesen Vorschlag erhöht, ist das beileibe nicht.

Denn wie hat man sich denn deutsche Kantinen vorzustellen? Sitzen die Angestellten dort etwa eingepfercht
und angekettet an Tischen und müssen essen, was man ihnen vorsetzt? Der Großteil der vom etwaigen vegetarischen Tag betroffenen Angestellten hätte sicherlich die Möglichkeit, auf einen benachbarten Metzger auszuweichen. Esst ihr mal schön vegetarisch!, könnte ein freiheitlicher Fleischesser ja durchaus sagen. Tut er aber nicht. Lieber ist es ihm, dass sein Journalismus für ihn wettert und die Grünen als Freiheitsfeinde tituliert, als Despoten und Umerzieher. Und in der anonymen Masse shitstormt er sich in Rage. Dass er einfach aufsteht und sich sein Essen woanders besorgt oder gar mitbringt, dafür fehlt ihm dann doch die Phantasie. Seine Kantine verkommt ihm zum Knast.
Das ist nicht neu. Es gab schon öfter verordnete Fleischlosigkeit in der Geschichte. Das hat manchen Kantinenmönch dazu angestachelt, die Maultasche als Fleischversteck zu erfinden. Was ich sagen will: Es gab immer Auswege - und die gibt es auch heute.
Was zeigt die Aufregung um das vorenthaltene Fleisch in Kantinen? Nur zwei Dinge: Nämlich dass wir als Gesellschaft endgültig in der inhaltlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden sind, Prioritäten setzen, die zu anderen Zeiten noch Bagatelle genannt wurden. Und zweitens, dass man in Fragen des Verzichts die Empörung hierzulande nur noch kennt, wenn sie am eigenen Leib erfahren wird.
Der europäischen Peripherie diktiert man gnadenlos die Lebensweise und letztlich auch die Essgewohnheiten vor. Aber ein Tag fleischlose Kantine "im Inland" empfindet man schon gleich als Knast. Wer jetzt noch auf das griechische Elend aufmerksam macht, der bekommt zu hören: "Und wir, müssen wir etwa nicht leiden, wenn uns die Kantine vorenthält, was uns zusteht?" Aber das ist natürlich nicht Selbstgerechtigkeit, sondern das ist der Shitstorm des in Not geratenen deutschen Sendungsbewußtseins.
Das eigene Schnitzel ist einem immer näher, als das harte Brot der anderen. Der Idealismus, der da protestiert, er starrt nur gerade auf den Teller, der vor einem steht. Welch gravierenden Sorgen hat dieses Europa in dieser sorgenvollen Welt: Aber nichts davon entfesselt die Empörung so stark, als dass das System ins Schlingern gerät.
Man muss diese Empfehlung der Grünen nicht gut finden, doch die Reaktionen darauf sind nicht minder lächerlich.