Präzise wie ein Uhrwerk mit sieben Fingern

Von European-Cultural-News

Sie sind neun auf der Bühne, aber sie nennen sich „Les 7 doigts de la main“ – „die 7 Finger einer Hand“. Sie stammen aus Kanada und sprechen Französisch, Englisch und Spanisch. Im Festspielhaus in St. Pölten rockten sie den großen Saal und ließen sich nach ihrem Auftritt vom Publikum frenetisch feiern.

Ein außergewöhnliches und zugleich funktionales Bühnenbild

„Cuisine et confessions“ – „Küche und Bekenntnisse“ nennt sich die Show der franko-kanadischen Akrobatentruppe. Der französische Ausdruck bezeichnet ein reibungsloses Ineinandergreifen eines Ablaufes, wie bei einem funktionierenden Uhrwerk. Tatsächlich beeindruckten die Künstlerinnen und Künstler mit ihrer Präzision, ohne die der Abend nicht funktionieren würde. Ihr Bühnenbild besteht aus einer überdimensionalen, großen Küche mit einem riesigen, offenen Wandregal, einem großen Arbeitsblock und einem Tisch, an dem alle gemeinsam Platz haben. Wer meint, diese Kulisse sei funktionslos, irrt. In ihr kann wirklich gekocht werden! Am Ende der Show wird dem Publikum eine Pasta sowie Bananenbrot, frisch aus dem Ofen serviert. Zubereitet nebenher, als ob Akrobatik alleine nicht schon ausreichend wäre.

Les 7 doigts de la main (c) Alexandre Galliez

Der Begriff Zirkus, der in Zusammenhang mit „Les 7 doigts de la main“ immer wieder fällt, ist irreführend. Denn zwar könnten die einzelnen Nummern, die gezeigt werden, auch in einem Zirkus präsentiert werden. Im großen Saal des Festspielhauses in St. Pölten durfte man jedoch erleben, dass dieses Umfeld für die Show überaus geeignet ist. Dabei wurde auch das Publikum kräftig miteinbezogen. So wurden einzelne Personen auf die Bühne geholt, um dort mitzukochen oder Texte vorzulesen. Andere wiederum durften täuschend echte Plastikeier werfen und fangen, oder ein frisch zubereitetes Omelett verspeisen.

Akrobatik in neuem Gewand

Währenddessen gab es keinen Augenblick, in dem es auf der Bühne nicht lebendig zuging. Da wurde getanzt, gesungen, Flic-Flacs quer über die Bühne gesprungen. Da wurden einfache Holzrahmen zu Hilfsmitteln, durch welche zwei der jungen Männer auf jede noch so erdenkliche Weise sprangen. Mit und ohne Anlauf, vor- und rückwärts, mit oder ohne Salto. Schneebesen und Salatschüsseln verwandelten sich in Jonglierwerkzeuge, eine rasante Diabolo-Nummer wurde vom Küchenblock aus vorgeführt.

Les 7 doigts de la main (c) Alexandre Galliez

Ein überdimensionales rot-weiß-kariertes Tischtuch hob eine der jungen Frauen hoch in die Lüfte. Die Vertikaltuchakrobatik, die sie damit zeigte, war nicht nur höchst ästhetisch, sondern atemberaubend zugleich. Alles, was an diesem Abend präsentiert wurde, kam in einem lockeren lässigen Ablauf daher – so als ob nichts davon etwas Außergewöhnliches wäre. Eingebunden in eine ständig fließende Choreografie, schafften es die sympathischen Damen und Herren auch noch, von ihren kulinarischen Erlebnissen zu berichten. Von ihren ersten Erinnerungen in der Küche, ihrer Liebe zu Schokolade, den gemeinsamen Essen mit den Familien. Bis jener Kollege aus Argentinien an der Reihe war, der von seinem Vater zu erzählen begann. Als er selbst 8 Monate alt war wurde dieser, Intellektueller und Gegner der Junta, von zuhause abgeholt und kam nie mehr zurück. „Was könnte sein letztes Essen gewesen sein? Hat er gewusst, dass es sein letztes Essen ist? Wie wäre es gewesen, wenn er es im Kreis seiner Familie zu sich genommen hätte?“ All diese Fragen kippten die Fröhlichkeit und warfen einen gänzlich anderen Blick auf das, was bisher über gemeinsame Tischerlebnisse erzählt wurde.

Klüger kann man Emotionen nicht vermitteln

Wie aus dem Nichts wurde der junge Mann plötzlich vom Anrichtetisch von zwei seiner Kollegen in die Höhe katapultiert und landete zielsicher im obersten Teil der Metallstange. Als er nach wenigen Augenblicken kopfüber wie im freien Fall bis kurz vor dem Boden dieser entlang nach unten rutschte, hörte man im Saal einen kollektiven Aufschrei. Selten wurde eine tragische Textsituation dramaturgisch derart gut durchdacht in Szene gesetzt. Das, was den jungen Mann im Innersten bedrückt, die Angst, die er und seine Familie ausstehen mussten, all das wurde für wenige Augenblicke vom Publikum körperlich erfahren. Shana Carroll (Konzept und Bühne), Mitbegründerin der Gruppe, legte in „Cuisine et confessions“ eine unglaublich ausgeklügelte, artistisch hoch anspruchsvolle und abwechslungsreiche Choreografie vor.

Les 7 doigts de la main (c) Alexandre Galliez

Eine sehr kluge, musikalische Begleitung vom Band – Coverversionen von aktuellen Hits, aber auch eine wunderbare a capella Version von Ravels Bolero, trugen dazu bei, dass der Abend extrem kurzweilig wahrgenommen wurde. Die Mischung aus zeitgenössischem Tanz, verbunden mit akrobatischen Elementen und solchen aus dem Kunsteislauf, faszinierte von Beginn bis zum Schluss. Man wurde nicht müde, dem Schwingen, Heben, Werfen, Stoßen, Balancieren, Drehen und Springen zuzusehen.

Das Publikum in St.Pölten bedankte sich für die Vorstellung mit Bravo-Rufen und frenetischem Applaus. Zu Recht.