Leicht und anmutig, dabei tiefsinnig und voller Erkenntnis beschreibt Karl Krolow sein staunendes Beobachten und Erleben der Natur, beispielsweise über den „Sommerwald“, ein „Kurzes Unwetter“ oder herbstlichen „Abgesang“, über eine „Auffliegende Taube“, „Fische“, „Salamander“, über „Steine“ und schwerköpfige „Sonnenblumen“.
Der Rhythmus seiner Reime verleiht dem Erlebten Spannung, haucht den Versen Lebendigkeit ein. Selbst im Gedicht „Der Kranke“ ist von Schwermut nichts zu spüren, übernehmen Blüten, Vögel und Bäume die Rollen der Tröstenden. Wie klug! Denn genau so ist es doch, merken wie immer deutlicher, je mehr uns die ursprüngliche Natur abhanden kommt.
Bio-Balkone, Waldbaden und Permakultur-Garten am Haus heißen deshalb die neuesten Trends, die uns die Natur wieder näher bringen sollen. Und während Naturgedichte zeitweise belächelt, ignoriert oder gar als rückständig bezeichnet wurden, sind sie spätestens jetzt wieder beliebt und salonfähig. Das beobachte ich auch bei den Bändchen, die ich mit einem Dichterpaar heraus gebe.
Dennoch ist es erhellend zu wissen – und fast paradox -, vor welchem Hintergrund Karl Krolow seine Gedichte geschrieben hat: Das geschmackvoll ausgestattete dünne Hardcoverbuch ist die erweiterte Neuausgabe von Krolows erstem selbständigem Gedichtband, den der Dichter noch unterm Eindruck des NS-Regimes nach Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht hat.
Mit diesem Wissen erkennt der Leser in manchen Passagen auch das fassungslose Entsetzen, die regelrecht überlebensnotwendige Zuwendung zur sich ewig erneuernden Natur, denen Karl Krolow mit seinen Gedichten Ausdruck verleiht. „Seine Gedichte beginnen, wo sonst das Schweigen beginnt, hinter den Bildern und zwischen den Dingen und im Inneren des Augenblicks“, schreibt denn auch Kurt Drawert in seinem Nachruf.
„Es gibt eine Frequenz in den Sätzen, die höher ist als ihr Ton und tiefer als ihr Sinn, eine Fühlbarkeit, die so weit ausschwingt, daß noch der kälteste Stoff einen Puls und eine Atmung bekommt.“ Ein Gedicht muss sofort gelingen, soll Krolow gesagt haben. Vermutlich war ihm nicht bewusst, dass er damit seinen eigenen Genius offenbarte.
Und Karl Krolow hat sich ganz und gar der Sprache verschrieben, reagierte fast reflexartig-lyrisch auf die „Zumutungen“ der Welt, war zahlreichen Stilen und Genrevertretern die nach ihm kamen auf eine selbstverstndliche Art voraus.
Er hielt sich nicht an lyrische Strömungen, wenn sie nicht aus ihm selbst flossen, bürstete sie teilweise einfach gegen den Strich. Er war vielseitig, experimentell, reflektiert, begabt, eindrücklich, authentisch und deshalb einer, der immer noch wirkt. Und dessen Werke bleiben werden.
Karl Krolow „Gedichte“, 64 Seiten, Hardcover, 12 Euro, Südverlag