Mit Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, Valeria Golino u.a.
Drehbuch und Regie: Céline Sciamma
Genre: Drama
Dauer: 115 min
Farbe: Color
Ein von der Kritik gehypter Film wie der vorliegende ist mir automatisch verdächtig. Wenn dieser dann auch noch mit Zeitgeistthemen aufgeladen ist, wird meine Skepsis massiv. Ein Film hat dann nur eine Chance: Er muss wirklich gut sein.
Portrait de la jeunne fille en feu erfüllt all die Misstrauen erweckenden Kriterien – und er ist wirklich gut!
Regisseurin und Autorin Céline Sciamma (Tomboy) gelingt mit einfachsten Mitteln das seltene Kunststück, bezüglich der Hauptfiguren eine Atmosphäre der fortdauernden Spannung zu kreieren – sowohl zwischen ihnen als auch in der Binnenentwicklung der einzelnen Protagonistinnen. Sie nimmt sich viel Zeit für einzelne Sequenzen, in welchen sie ihre Figuren langsam und schrittchenweise zur Entdeckung freigibt. Sie enthüllen sich in der Beziehung zueinander. Dabei verraten Blicke und Gesten das Meiste, Gesagt wird nicht viel.
Es gehört viel inszenatorisches Geschick und noch mehr Feingefühl dazu, so etwas nicht sperrig, krampfig und langweilig aussehen zu lassen. Beides bringt Frau Sciamma mit und der schwierige Gestaltungsakt verwandelt sich für den Zuschauer in eine Geschichte, die an schwebender Leichtigkeit seinesgleichen sucht. Ihre Figuren verweilen für eine kurze Zeit zwischen Abgrund und Glück, der Sturz ist vorprogrammiert, doch auch dieser kommt behutsam und leicht.
Erzählt wird eine Geschichte aus dem achtzehnten Jahrhundert. Die Malerin Marianne (Noémie Merlant) erhält von einer Comtesse (Valeria Golino) den Auftrag, ein Portrait ihrer Tochter Héloïse (Adèle Haenel) zu malen, allerdings ohne dass diese es bemerkt. Die frisch aus dem Konvent ausgetretene Héloïse soll nämlich in Mailand verheiratet werden – das Portrait soll den Bräutigam in spe von der geplanten Verbindung überzeugen. Héloïse sperrt sich gegen diese Verbindung, deshalb soll das Bild im Geheimen gemalt werden. Marianne gibt sich als Gesellschafterin aus und beobachtet ihr Objekt während zahlreicher Ausflüge scharf.
Langsam kommen die beiden Frauen sich näher, in Marianne erwachsen Gewissensbisse über ihr Vorgehen. Doch da wächst noch etwas anderes…
Wer Langsamkeit verbunden mit Tiefe in Filmen genauso schätzt wie ich, sollte sich Frau Sciammas neustes Werk unbedingt ansehen. Hier entstand ein Hype, der mir gerechtfertigt erscheint.
Portrait de la jeunne fille en feu ist ein europäischer Film – ganz ohne Symbolik geht es da scheinbar nicht. Hier wird die Orpheus-Sage bemüht, allerdings erwächst daraus eine sehr schöne Reflexion über die Beziehung von Poesie und Erinnerung als Manifestationen von Liebe.
Ein Kritikpunkt bleibt allerdings. Nachdem der Film so überaus geschickt mit dem Verborgenen spielt und Blicke alles sagen lässt, verlässt er diesen Weg gegen Ende und wird unangenehm explizit im Zurschau-Stellen der körperlichen Liebe. Das wirkt in diesem bis dahin so verhaltenen Film wie ein Fremdkörper.
Das Drehbuch: 10 / 10
Die Regie: 9 / 10
Die Schauspieler: 9 / 10
Gesamtnote: 9 / 10
Veröffentlichung / Verfügbarkeit:
Der Film ist soeben sowohl als DVD als auch als Blu-ray erschienen. Auch im Stream ist der Film seit Kurzem im deutschsprachigen Raum zu finden – hier eine Liste der Streaming-Dienste, die ihn im Angebot haben.