Mit Lars von Triers groß angelegten Zweiteiler Nymphomaniac, dessen Schreibweise das mittig befindliche o durch eine ( ) Klammersymbolik zum weiblichen Geschlechtsorgan umfunktionierte und somit nicht nur ins Kino, sondern gleich auch zum Geschlechtsverkehr mit dem Film aufforderte (das Kino als Freudenhaus ist dann aber auch eine gar nicht so weit entfernte Metapher), hat für eine moderne Auseinandersetzung mit dem Porno als Kunstobjekt gesorgt. Obgleich Nymphomaniac weit entfernt ist von dem klassischen Sexfilmchen, das mit weitaus härteren Bildern und weniger Handlung daher kommt, sahen den Film einige doch als Untat für die Kinoleinwand.
Hier sieht man, dass der Begriff Porno irgendwie noch nicht ganz im alltagstauglichen Wortschatz aufgenommen wurde, geschweige denn dass man sich mit dem Porno als filmischem Genre auseinander setzen möchte. Der Porno scheint nur für entladende oder stimmungsmachende Erfahrungen gut zu sein, nur selten für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik.
Hier treten nun zahlreiche Autoren hervor, die mit der essayhaft angelegten Publikation Explizit! Neue Perspektiven zu Pornografie und Gesellschaft eben diese Brücke schlagen möchten. Und ja, es gibt Bilder in dem Büchlein, das im Verlag Bertz+Fischer in der Reihe Deep Focus erschienen ist, wo es auch schon Sex und Subversion. Pornofilme jenseits des Mainstreams oder aber eine Veröffentlichung zu Lars von Trier gab.
In Explizit entfalten die Autoren und Autorinnen ein breites Spektrum an wissenschaftlich-pornografischen Auseinandersetzungen. Über das Verhältnis von Pornografie und moderner Sexualität schreibt der promovierte Soziologe Sven Lewandowski, ein Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift für Sexualforschung. Quantitativ setzen sich Clarissa Smith, Martin Barker und Feona Attwood mit der Auswertung der Ergebnisse des pornresearch.org-Fragebogens auseinander, in dem es um das Verhältnis von jungen Menschen mit der Pornografie ging.
In gleich mehreren Beiträgen werden die alten Medien ausgeblendet und die Pornografie in ihrem Online-Umfeld betrachtet, wo sie sich wohl erst so richtig entblößen konnte: Internetpornografie und personalisierte Ermächtigung von Jan Distelmeyer, Navigieren durch’s Pornoland. Kategorien und Adressierbarkeit auf pornografischen Websites von Till Claassen. Matteo Pasquinelli, promovierter Philosoph, wirft über die Heterosexualität hinaus einen Blick auf Queere Pornografie und die hohe Kunst des Paradoxen. Daran anschließend hat die Diplom-Pädagogin Andrea Schmidt ihren Beitrag Ja, Nein, Sowohl als auch? Pornografie, Feminismus und Heteronormativität verfasst.
Laut der pornresearch.org-Studie befinden sich die meisten Porno-Rezipienten übrigens in der Altersgruppe der 18 bis 25jährigen. Sehr dicht gefolgt von den 26 bis 35jährigen. Vielleicht ist also die Alterspanne zwischen Volljährigkeit und Beginn der Midlife-Crisis die absolut richtige Zielgruppe für dieses Buch.
Explizit! Neue Perspektiven zu Pornografie und Gesellschaft bei Bertz+Fischer