Porno statt Erotik in der Programmierung

Die brand eins titelt gerade mit “Das Erotische setzt das Geheimnis voraus. Wo es ganz verschwindet, beginnt die Pornografie.” (Byung-Chul Han, Ausgabe 7/2011)

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Das bezieht sich im Heft auf das gesellschaftliche Top-Thema Transparenz. Aber mich hat der Ausspruch zum Nachdenken über Softwareentwicklung angeregt. Die kommt mir in der Praxis vieler Projekte nämlich wie die Kunst der Verhüllung vor: wie Erotik.

Zwei aktuelle Beispiele ganz unterschiedlicher Art: Zuerst ein Codeausschnitt aus der dotnetpro 7/2011:1

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Ein, wie ich finde, sehr erotisches Stück Code. Der Autor verhüllt mit Geschick die Funktionsweise. Was tut der Code? Wie tut der Code das? Sprachkonstrukte, Whitespace und Namensgebung kommen kunstvoll zum Einsatz zur Komposition eines geheimnisvollen Ganzen.2

Ganz anders und doch ebenfalls hocherotisch dieser Code aus einem Blog:3

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Hier ist die Intention zwar viel deutlicher – doch das kompensiert der Autor mit technologischer Rafinesse. Ein Meister des lambda-Schleiertanzes legt er alles in wenigen Zeilen offen – und verwehrt dem Leser doch einen schnellen Durchblick. Das Verständnis der Lösung, warum sie tatsächlich tut, was sie verspricht, will erarbeitet sein. Eleganz als höhere Form der Erotik.

Doch während Erotik in der Kunst einen hohen Stellenwert hat und von Geschmack zeugt, da ziehe ich für den Broterwerb durch Softwareentwicklung weniger davon vor.

“Auf der Arbeit” brauche ich kein Geheimnis. Geheimnis – gewollt oder ungewollt – ist kontraproduktiv. Geheimnisse machen Mühe, wie jeder weiß, der Krimis liest. Es dauert, bis man sie entschlüsselt hat. Und am Ende ist man womöglich gar nicht sicher, ob man das vollständig geschafft hat.

Wenn Erotik für Geheimnis steht und Porno für Geheimnislosigkeit, Unverhülltheit, Klarheit, Direktheit, dann bin ich für mehr Porno in der Softwareentwicklung. Gerne Erotik, wenn ich Zeit dafür habe. Gerne auch “höhere Erotik”: Eleganz. Im Zweifelsfall jedoch bitte krasse Nackheit.

Ich will mit Code umgehen, der sich nicht verhüllt. Enthüllen ist etwas für Journalisten. Auspacken ist etwas für Weihnachten. Geheimnisse lüften überlasse ich gern den Drei Fragezeichen.

Code hingegen soll alles zeigen. Da will ich schnellstmöglich zur Sache kommen. Programmiervorspiel, nein danke!

Ich mag pornografischen Code. Er soll zum Beispiel “intention revealing” sein:

A design in which the names of classes, methods, and other elements convey both the original developer's purpose in creating them and their value to a client developer.

Und Code soll sich mir attraktiv aus unterschiedlichen Entfernungen darstellen. Aus der Ferne soll er eine wohlgestalte Erscheinung abgeben. Bin ich näher an ihm dran, zeigt er mir mehr Details, die mir Spaß machen. Bis ich zum Schluss ganz nah in der IDE handgreiflich werde, um seine Strukturen leicht an neue Anforderungen anzupassen.

In der Erotik zählt Geschwindigkeit nicht. Da steht die Kunst im Vordergrund.

In der täglichen Arbeit jedoch, halte ich es mit der Königin in Hamlet (2. Akt, 2. Szene):

POLONIUS
So wäre dies Geschäft nun wohl vollbracht.
Mein Fürst und gnädge Frau, hier zu erörtern,
Was Majestät ist, was Ergebenheit,
Warum Tag Tag; Nacht Nacht; die Zeit die Zeit:
Das hieße, Nacht und Tag und Zeit verschwenden.
Weil Kürze denn des Witzes Seele ist,
Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat:
Faß ich mich kurz. Eur edler Sohn ist toll,
Toll nenn ichs: denn worin besteht die Tollheit,
Als daß man gar nichts anders ist als toll?
Doch das mag sein.

KÖNIGIN
   Mehr Inhalt, weniger Kunst!

Ich wünsche mir mehr Inhalt, Inhalt in Form klarer Funktionsweise, klarer Struktur.

Denn solange nicht nackte Klarheit unser Hauptziel ist bei der Codierung, haben wir ein Verständnisproblem. Kompaktheit oder Eleganz sind zweitrangig. Was zählt, sind Effizienz und Effektivität bei der Lektüre von Code.

Also: Mehr Porno, weniger Erotik in der Programmierung.

Fußnoten

1 Wenn Sie den Code auch in der Vergrößerung nicht entziffern können, macht das nichts. Er würde auch in Originalgröße sein Geheimnis nicht leicht preisgeben. Ich habe deshalb eine bidlich längere Darstellung einer besser lesbaren vorgezogen.

2 Tut mir leid, Andreas, ich kann mir die Ironie angesichts deines Codes nicht verkneifen. Bitte nimm es nicht persönlich. Ich spendiere ein Bier, wenn wir uns mal wieder sehen.

3 Sergej, auch für dich ein Bier bei der nächsten Begegnung.


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