Populäre Mythen: Die Reichen schaffen Arbeitsplätze

Von Modesty

Zu den Mythen zeitgenössischer Wirtschaftspolitik gehört, dass man die Steuern und Abgaben gerade für die Reichen senken müsse, weil diese doch die Arbeitsplätze schaffen, die es den weniger Reichen ermöglichen, zu Lohn und Brot und eventuell gar einem Eigenheim zu kommen. Nun steht gerade zum Thema Steuern nichts Konkretes im Koalitionsvertrag – der in den Medien präsentierte kleinste gemeinsame Nenner ist derzeit, dass die Steuern nicht erhöht werden sollten. Was angesichts der sonstigen Vorhaben der GroKo völlig unrealistisch ist. Das bedeutet aber vor allem, dass die vor der Wahl mal angedachte Korrektur der kalten Progression und eine Abflachung des so genannten Mittelstandsbauchs jetzt auch sang- und klanglos in der Mülltonne leerer Versprechen verschwinden werden.

Die kalte Progression ist eine Art automatischer Steuererhöhung, die Lohnzuwächse zuverlässig aufzehrt, weil ja mit jedem Prozent mehr Bruttolohn auch höhere Steuern gezahlt werden müssen. Wenn es gut läuft, bleibt gerade mal ein Inflationsausgleich übrig, so dass die Lohnerhöhung dafür sorgt, dass der Arbeitnehmer zumindest nicht an Kaufkraft verliert. Nur wer bereits den Spitzensteuersatz von offiziell 42 Prozent zahlt, kann sich über eine Lohnerhöhung tatsächlich freuen, denn hier wird die Belastung prozentual nicht mehr höher.

I need a Riot – Aufkleber gesehen in Berlin-Mitte.

Der Mittelstandsbauch beschreibt den Umstand, dass der progressive Steuertarif nicht gleichmäßig ansteigt, sondern bei niedrigeren Einkommen sehr steil, um dann immer mehr abzuflachen, bis der Spitzensteuersatz erreicht wird. Das bedeutet, dass niedrige und mittlere Einkommen proportional höher belastet werden als hohe Einkommen. Weil es sehr viel mehr Normal- als Spitzenverdiener gibt, lohnt es sich offenbar, den vielen Nicht-so-gut-Verdienern relativ mehr abzuknöpfen als den Besserverdienern. Denn die Besserverdiener sind ja angeblich die, die die Jobs für die Wenig- und Normalverdiener schaffen. Was natürlich Unsinn ist. Was werden denn für Jobs geschaffen, wenn einer wie Frank-Walter Steinmeier vor anderen Spitzenverdienern einen 20-000-Euro-Vortrag hält?

Der Chefredakteur von Business Insider, einem renommierten US-amerikanischen Wirtschaftsblog, hat vor einigen Tagen einen interessanten Artikel dazu geschrieben. Henry Blodget war, bevor er zum Journalismus wechselte, mal so etwas wie ein Star Analyst bei Merryll Lynch – er ist also tatsächlich ein Business Insider. Insofern argumentiert er auch rein ökonomisch, wenn er schreibt: Sorry Folks, Rich People Actually Don’t „Create The Jobs“.

Dann beschreibt Blodget die derzeitige Situation in den USA, die mit einer Ungleichheit der Einkommen zu kämpfen hat, wie seit den 1920er Jahren nicht mehr. Er stellt fest, dass die Reichen ohnehin schon historisch niedrige Steuern zahlen, ohne dass dadurch irgendwelche Jobs geschaffen würden. Denn Jobs, erklärt er, würden durch ein gesundes Wirtschaftssystem mit entsprechender Nachfrage und Kaufkraft für Produkte geschaffen, und eben nicht durch ein paar stinkreiche Unternehmer. Im Gegenteil, je mehr Kaufkraft sich bei einzelnen Spitzenverdienern konzentriert, desto schlechter für die Wirtschaft. Denn die Käufer für die Produkte der stinkreichen Unternehmer seien nun mal die vielen Millionen, die der Mittelschicht angehören, die in den vergangenen Jahren durch den technischen Fortschritt, die Globalisierung und das Steuersystem besonders gebeutelt wurde. Während die US-Unternehmen derzeit Renditen in Rekordhöhe erwirtschaften würden, seien die Löhne so niedrig wie noch nie.

Aber wenn ein Spitzenmanager im Jahr 9 Millionen „verdient“ kauft der sich und seiner Familie nie im Leben soviel Zeug, wie 9000 Normalverdiener, die jeweils 1000 Dollar zusätzlich bekommen. Mit dem, was die 9000 von den 1000 Extra-Dollar kaufen würden, könnten sehr viel mehr Jobs geschaffen werden. Die derzeitige Krise verstärkt sich immer mehr, weil die arbeitende Bevölkerung einen immer kleineren Anteil am Gesamteinkommen abbekommt – die Kaufkraft sinkt und damit auch die Nachfrage für Produkte, mit deren Produktion Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.

Und das ist nicht nur in den USA so. In Deutschland wird die sinkende Binnennachfrage mit Exportüberschüssen ausgeglichen, was ja auch für reichlich Kritik sorgt, es ist seit Jahren von einem „pathologischen Exportboom“ der Deutschen die Rede, der nicht nur den Standort Deutschland selbst, sondern die Stabilität der Weltwirtschaft gefährde. Wobei die „Stabilität der Weltwirtschaft“ ja auch nur eine Fiktion ist, aber das ist auch schon wieder eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.