Pop, Aktion und Überlegenheitskult

Was den aufrührerischen Mösen widerfahren ist, kann man natürlich moralisch nicht akzeptieren. Zwei Jahre Straflager für ein Vergehen, das doch relativ belanglos erscheint, sind nicht nur übertrieben, sondern normal für eine politisch motivierte Justiz – nicht das Strafmaß ist demnach unerträglich, sondern der Umstand, dass es von einem unfreien Gericht beschlossen wurde. Überhöht scheint es dennoch. Gleichwohl ist der Aufruhr, den Pussy Riot weltweit erregte, an popkulturellem Einheitsbrei und ritualisierter Anteilnahme kaum zu übertreffen.
Die Unterstützer geben sich popkulturell...
Richtig ist, dass das Gerichtsurteil nicht unabhängig gefällt wurde und dass das Strafmaß in keiner Relation zur Tat stand. Richtig ist es natürlich durchaus auch, dass man sich solidarisch zeigt und eine solche Praxis verurteilt. Warum aber nur Verurteilungen gen Moskau? Solidaritätsbekundungen nach Sibirien? Wieso nicht nach London, wo man erwägt, eine Botschaft zu stürmen? Wo haben sich einst junge Männer solidarische Bärte stehen lassen, um auf die politische (Selbst-)Justiz einer USA zu verweisen, die islamische Männer ohne Prozess für Jahre in einem Straflager verschwinden läßt? Rund um die Welt setzen sich Menschen nun Kapuzen auf; solidarischer Mummenschanz, der massenkompatibel aufgezogen wird, der Eventcharakter birgt, der einfach gut ankommt, weil er spaßig wirkt, originell und verspielt – das ist vieles, sicherlich aber nicht kritisch oder hochgradig politisiert, wohl aber Popkultur, mit all ihren konformistischen Attributen. Sie gestaltet sich schrill, schräg und bunt – und ist somit prädestiniert für einen Geschmack, der die Breite trifft.Wie die Kulturindustrie, frei nach Adorno und Horkheimer, eine Popkultur, Popliteratur, Popkino schafft, so verankert sie auch pop politics, installiert sie Popsolidarisierungen. Das sind relativ entpolitisierte, inhaltslose, dafür aber ästhetisch konzipierte Solidaritätsbezeugungen, die einen konformistischen Zwang zur Ästhetik und zu Schlagworten, die ja nichts anderes sind als verbale Harmonisierungen, nicht aber auf inhaltliche Bereicherung und Einbringung neuer Aspekte und Sichtweisen, ausüben.
Dass selbst Leute wie Westerwelle und Merkel den Namen Pussy Riot in den Mund nehmen, verdeutlicht mit welcher populärkultureller Verbrämung, ja mit welchem Populismus hier hantiert wird – glaubt man ernsthaft, eine deutsche Band nennte sich Mösen in Aufruhr, man würde den Namen aus Politikermund hören? Eher rümpften sie sich die Nasen, wenn sie überhaupt irgendwas dazu sagten. Man würde sie eine Anarchoband nennen, ohne konkrete Namensnennung, und man würde verurteilen, dass sie im St.-Paulus-Dom zu Münster gotteslästerliche Texte anstimmten. Und just in dem Moment, da diese Zeilen hier formuliert werden, kommt zu Ohren, dass Nachahmer im Kölner Dom ein Happening starteten und dafür verhaftet wurden. Hatten die zwei Männer und die Frau zu Köln keinen Namen? Sie sind nur einige Nachahmer. Wäre es denkbar, dass sich Westerwelle für eine fiktive Band stark machte, die sich Regensburger Domfotzen nennte, die in eben diesem Dom ein provokantes Happening abhielten? Wie oft käme ihm der Name über die Lippen?
... die Band baute auf Happening und Aktionismus...
Von mancher Seite vernahm man, dass künstlerische Freiheit nicht vor Gericht gehörte - auch Westerwelle diktierte das so in ein Mikrofon. Das ist nicht falsch, hat aber mit den aufrührerischen Mösen wenig zu tun. Gleich dazu mehr; zuerst aber: Was die Frauen in Moskau taten erinnerte an Happening, an die Aktionskunst, wie sie vor fünfzig Jahren Wiener Künstler begingen. Daher auch der Name Wiener Aktionismus - neu ist also Pussy Riots Auftritt nicht; und besonders radikal war er auch nicht. Oswald Wiener, Vater einer heute bekannten Fernsehköchin, verrichtete im Gegensatz dazu beispielsweise im Hörsaal der Wiener Universität seine Notdurft, masturbierte und schmierte sich mit Scheiße ein und trällerte dabei die österreichische Nationalhymne - all das auf einer ausgebreiteten Nationalflagge Österreichs. Kunst und Revolution nannte sich die Aktion. Wiener wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt, ein Verfahren wegen Gotteslästerung war anhängig, als er aus Österreich floh.
Aktionskunst richtet sich in seiner politischen Spielart provokativ und bewusst übertrieben gegen gesellschaftliche Zustände, die als erdrückend und autoritär verstanden werden. Sie sucht die Konfrontation. Betont unflätige Ausdrucksweisen und Tabuverletzungen sollen gesellschaftliche Zusammenhänge blanklegen und perverse Entwicklungen entlarven. Aktionskunst will schocken und versteht sich als Impulsgeber eines heilsamen Schocks; Aktionskunst ist Avantgarde, dass sie im aktuellen Fall popkulturell flankiert wird von ihren Unterstützern rund um die Welt, ist eher kurios. Oswald Wiener war seinerzeit nicht ganz konsequent, sollte zynisch angemerkt werden. Denn die Bestrafung und die juristische Zurschaustellung der Aktionskünstler ist ja für die Aktionisten selbst keine Überraschung, auch gar nicht so sehr ungewollt. Gerade ein überhöhtes, ein lächerlich übertriebenes, von lächerlichen Systemvertretern angestrebtes Urteil zeigt ja auf, dass die angebrachte Kritik, die im Happening lag, nicht herbeiphantasiert war, sondern realistisch eingeschätzt wurde. Wer auf die Nationalflagge scheißt, um die nationalistischen Impulse zu veralbern, und hernach für die Verletzung nationaler Symbole verurteilt wird, bestätigt nur, dass er richtig lag. Wer Putin einen Gott nennt und die Orthodoxie der Nähe zur politischen Macht bezichtigt, danach wegen Gotteslästerung verurteilt wird, der unterstreicht, dass er mit seiner Einschätzung nicht so ganz falsch gelegen haben muß. Gerichtliche Konsequenzen sind damit nicht Angriff auf die künstlerische Freiheit, wie eben unter anderem jener Westerwelle meinte, sondern gehören der Aktionskunst an – gerade das Urteil soll ja aufzeigen, soll bekräftigen, soll attestieren. Insofern ist die Aktion gelungen - und sieht man den jungen Frauen ins Gesicht, auch diesem Gatten einer dieser Frauen, der durch Interviews und westliche Reportagen gereicht wird, so meint man durchaus, eine gewisse Zufriedenheit erkennen zu können. Dass das Strafmaß unter formalen Gesichtspunkten überzogen ist, dass eine Geldstrafe ausgereicht hätte, ist natürlich eine andere Geschichte.
... und der Westen setzt auf kulturelle Überlegenheit.
Pussy Riot wird zweifellos instrumentalisiert; die jungen Frauen sind die nützlichen Idiotinnen eines Westens, der vorlaut davon selbstüberzeugt ist, die altertümlichen Rituale einer Diktatur, die Atavismen der Willkürherrschaft, schon vor langer Zeit gänzlich abgelegt zu haben. Aber grundsätzlich unschuldig sind sie nicht, grundsätzlich als Mädchenstreich, wie das namhafte Politiker hierzulande runterspielten, war die Aktion nicht gemeint. Wer das als Streich abtut, tut den Frauen auch keinen Dienst, denn er entkräftet damit die Ernsthaftigkeit, die hinter dem Happening stand; aberkennt den künstlerischen Impetus der Aktion. Natürlich war die Aktion eine provokante politische Manifestation, natürlich wurde beleidigt, natürlich hat man die Ausübung von Religion gestört und religiöse Gemüter erschüttert und gekränkt. Für all das geht man auch in der Kultur der Überlegenheit, im Westen, zumindest theoretisch, in den Bau. So schlimm, dass jemand in ein Straflager muß, war die Aktion freilich nicht - aber unjustiziabel ist sie eben auch nicht. Und wie erläutert, darf sie gar nicht sein, wenn sie als ernsthafte Manifestation begriffen sein will.
Die Anhänger von Pussy Riot plädieren ganz pop culture für Straffreiheit. Auch sie tasten damit das Werk an; nebenher stützen sie die These, dass der Westen kulturell überlegen sei. Die Strafe ist qua vorhandener Gesetze aber nicht einfach zu erlassen. Solche Gesetze kann man richtig oder falsch finden - sie finden sich aber nicht nur im Putins Rußland. Die Form, wie man verurteilte, das ist der Skandal - nicht, dass es eine Strafe gab. Sie ist gesetzlich vorgesehen und soll vor Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen abschrecken - was nicht ganz unvernünftig ist, denn dieser Schutz ist auch ein Aspekt der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Nicht nur, dass man zu keiner Religion gezwungen werden kann, steht dort auf der Agenda, sondern eben auch, dass man Religionsausübung respektieren muß. Dass nicht alles respektlos ist, was religiöse Menschen und Glaubensgemeinschaften so alles meinen, versteht sich natürlich von alleine. Und letztlich ist die Bestrafung nicht das bittere Ende eines Happenings, sie ist die Vollendung - sie schafft Märtyrer, sie macht sichtbar, was man schon vorher wusste. Die Bestrafung außer Kraft setzen zu wollen bedeutet unter künstlerischen Gesichtspunkten auch, die Aktion der drei Frauen gar nicht vollumfänglich begriffen zu haben - wenn Aktionskunst mit pop culture beantwortet wird, dann ist so eine Unbegreiflichkeit vermutlich folgerichtig.
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