Polizei außer Kontrolle

Artikel ursrpünglich erschienen auf Deliberation Daily.
In der Kleinstadt Ferguson, Missouri, wurde kürzlich ein unbewaffneter 18jähriger Afroamerikaner, Michael Brown, von der Polizei erschossen. Ferguson war in den letzten Tagen Schauplatz von Protesten, vor allem gegen die katastrophale wirtschaftliche Situation (das Durchschnitteinskommen in Ferguson liegt bei 37.000 Dollar, der Durchschnitt in Missouri bei 47.000 Dollar). Aber der Mord an Brown hat die Situation völlig verändert. Tausende protestieren nun gegen exzessive Polizeigewalt, und das völlig zu Recht. Denn was in Ferguson passiert ist, ist kein Fall von Einzeltätern, sondern von strukturellen Anreizen - ebenso wie beim Mord an Trayvon Martin vor einiger Zeit oder, um hier im Lande zu bleiben, bei Benno Ohnesorgs Tod 1967. In allen Fällen handelt es sich selbstverständlich legal nicht um Mord. Doch die strukturellen Ursachen können nicht ignoriert werden.
Um was geht es? Mehrere Faktoren führten zur Eskalation in Ferguson. Der erste ist die militärische Aufrüstung der amerikanischen Polizei seit den 1990er Jahren. Der zweite ist der der Gesellschaft inhärente Rassismus und die den USA immer noch inhärente Rassenjustiz. Der dritte ist die katastrophale wirtschaftliche Lage. Die Polizei nicht nur in Ferguson, sondern in praktisch jeder amerikanischen Stadt vom 2000-Seelen-Nest bis zu Metropolen wie New York City hat Zugang zu militärischem Equipment. Dieser Zugang kommt von der Abrüstung der Armee. Seit die US Army ihr Personal reduziert und sich aus internationalen Konflikten mehr heraushält als früher, ist massenhaft Equipment überflüssig geworden. Schützenpanzer, Handfeuerwaffen, Rüstungen, Schalldämpfer, Nachtsichtgeräte und vieles mehr vermodert in den Magazinen der Army. Die Behörden verteilen es daher an die Polizei, die infolgedessen eine beispiellose Aufrüstung vorgenommen hat. Granatwerfer, M-16 Sturmgewehre und Ganzkörperpanzer gehören zur Standardkleidung; vom Militär unterscheiden sie sich nur noch durch den Schriftzug "Police" auf der Brust. Sie fahren nicht mehr in Vans oder PKW herum, sondern in Schützenpanzern.
Police have moved tank and repositioned to face protesters on sidewalk across the street. #ferguson pic.twitter.com/JRGhIErZAb — Conetta (@BmoreConetta) 13. August 2014
Nun könnte man argumentieren, dass durch die Verbreitung privaten Schusswaffenbesitzes und die generell höhere Verbrechensrate in den USA die Notwendigkeit für solches Gerät höher ist. Das mag sogar sein. Nur wurde die Polizei in Ferguson explizit zur "crowd control" eingesetzt, also dazu zu verhindern, dass die Demonstrationen aus dem Ruder laufen. Diese waren übrigens bislang nicht aus dem Ruder gelaufen, sondern halbwegs friedlich abgelaufen (so friedlich Massendemonstrationen wütender Menschen halt sein können). Sachschaden o.ä. gab es nicht. Trotzdem hatte irgendjemand offensichtlich die Idee, die beste Methode zur Kontrolle seien nicht Plexiglasstöcke und Knüppel, vielleicht sogar Pfefferspray, sondern Granatwerfer und M-16 im Anschlag.
I counted 70+ SWAT officers. Guns trained on crowds. Insanity. pic.twitter.com/stev2G6v4b — Ryan J. Reilly (@ryanjreilly) 13. August 2014
Dies ist eine direkte Folge der Ausgabe von Militärgerät an die Polizei. Bereits bei der gewaltigen Verbreitung so genannter "nicht tödlicher Waffen" wie Taser und Pfefferspray hat sich gezeigt, dass eine zunehmende Verbreitung eben auch zu einem zunehmenden Einsatz führt. Der Pfefferspray-Cop bei den Occupy-Protesten war da nur das Aushängeschild dieser fatalen Entwicklung. Wenn man nun Polizei mit militärischem Gerät ausstattet, das schwerer ist als das, was das Militär selbst zu Patrouillen in Bagdad und Bosnien verwendet, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Polizei sich bald benimmt, als sei sie Besatzer in einem Kriegsgebiet. Wer jemals eine Waffe in der Hand hatte weiß, wie sehr das die Wahrnehmung verändert. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Michael Brown Afroamerikaner war, genausowenig wie Rodney King 1992 oder Trayvon Martin 2012. "Verdachtsunabhängige Personenkontrollen" treffen überwiegend Schwarze (New York hatte dies eine zeitlang mit "Frisk&Search" sogar zur offiziellen Politik gemacht), die Opfer von Polizeimorden sind überwiegend schwarz, die Insassen von Gefängnissen sind überwiegend schwarz. Schwarzen werden leichter kriminelle Neigungen unterstellt, man traut ihnen schneller Böses zu, und sie werden generell benachteiligt. In Ferguson ist die Bevölkerung zu 67% schwarz. Bürgermeister und Polizeichef sind beide weiß. 94% der Polizisten sind weiß. 87% des Stadtrats sind weiß. 87% der Schulaufsicht sind weiß. Aber keine Bange: 86% aller Verkehrskontrollen betrafen Schwarze, und 92% aller Verhafteten waren schwarz. Das ist umso verwunderlicher, als dass in den seltenen Fällen, in denen doch einmal Weiße gestoppt und durchsucht werden, in 30% der Fälle etwas gefunden wird, bei Schwarzen nur in 20% der Fälle. Insgesamt leben 24% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze; unter den Schwarzen sind es sogar 28%. Wundert es irgendjemanden, dass bei einer solchen Schieflage in der Repräsentation von Stadtverwaltung und Polizei eine systemische Benachteiligung von Schwarzen entsteht? Dass unter der Polizei eine "Wir gegen Die"-Mentalität entsteht? Dass es niemanden gibt, der die Sprache der Menschen spricht, die die Polizei eigentlich "protect and serve" soll? (Zahlen hier und hier) Fügt man diesem Bild die militärische Ausrüstung hinzu, so ist klar, dass daraus - in den Worten des früheren Staatsanwalts Jerryl Christmas - ein Pulverfass von Rassenspannungen entstehen muss, das früher oder später explodiert. Bislang macht die Polizei keine Anstalten, ihre Politik zu ändern. Noch immer sind schwer bewaffnete Polizisten auf den Straßen unterwegs. Im Großraum St. Louis ist ein sprunghafter Anstieg an Waffenkäufen durch die weiße Bevölkerung festzustellen. Dies ist ein weiteres Pulverfass, das nur auf die Explosion wartet. Was ist das für eine Mentalität, in der Bürger einer Großstadt der Überzeugung sind, sich bald - legitimerweise - mit der Waffe in der Hand gegen die schwarze Unterschicht verteidigen zu müssen? Das Second Ammendment, das den Amerikanern den Besitz und das Tragen von Waffen erlaubt, gilt effektiv nur für Weiße, wie ein Artikel der Huffington Post beschreibt. Die Polizei hat allein dieses Jahr bereits mehrere unbewaffnete Schwarze erschossen, während Weiße mit Sturmgewehren in Schulen oder Kinos gehen und um sich feuern. Der gesellschaftlich inhärente Rassismus aber, der zusammen mit den segregierten Verhältnissen und dem militärischen Auftreten eine "Wir gegen Sie"-Mentalität entstehen lassen muss, verhindert, dass die Vernunft noch irgendeinen Erfolg hat. Die Schuld für die Geschehnisse liegt an mehreren Stellen, aber nirgends so deutlich wie in den staatlichen Verwaltungsstellen. Sie sind es, die die Polizei mit militärischem Equipment aufrüsten. Sie sind es, die mordende oder exzessive Gewalt anwendende Polizisten decken. Sie sind es, die als Exekutive die originäre Aufgabe haben, solche Exzesse zu verhindern und, so sie doch geschehen, für ihre Verfolgung zu sorgen. All das geschieht nicht. Dazu kommt eine falsch verstandene Kultur der Verteidigung der eigenen Freiheit, die sich im Mord an Trayvon Martin ebenso niederschlägt wie in den panischen Waffenkäufen von St. Louis. Als Martin 2012 erschossen wurde, erklärte Obama in einer seltenen Äußerung zu seiner Hautfarbe: "Hätte ich einen Sohn, er sähe aus wie Trayvon Martin." Seitdem hat sich wenig geändert. Dieser Teil der amerikanischen Kultur ist pures Gift, und es fordert Jahr um Jahr seine Opfer.

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