Politologieprofessor schlägt Sarrazin mit eigenen Waffen

Wer selbst auf blogsport bloggt, hat es wohl schon gelesen: der Blog The Dishwasher hat auf einen Artikel des Politikwissenschaftlers Volker Eichener aufmerksam gemacht, der mit bewunderswerter Akribie das Buch „Deutschland schafft sich selbst ab“ von Thilo Sarrazin zerpflückt. Anscheinend wimmelt es in diesem Machwerk nur so von wissenschaftlichen Anfängerfehlern, die Sarrazins Anspruch, „unideologisch“ und „auf Fakten gestützt“ zu argumentieren ziemlich konterkarieren. Selbst an den Standards empirischer Sozialforschung gemessen scheint dieser Bestseller, von dem sich laut wikipedia bereits 650.000 Exemplare verkauften, eine ziemliche Luftnummer zu sein. Eine Lektüre lohnt dieser Artikel also allemal. Nicht einmal die einfachsten Anforderungen an eine stringente Argumentation werden erfüllt: so werden wiederholt Statistiken als Belege herangezogen, die die behaupteten Daten überhaupt nicht enthalten. Man fragt sich, ob dieses Buch überhaupt jemals lektoriert worden ist. Naja, dem Verlag ist bei diesen Verkaufszahlen wohl alles recht.
Man erfährt u.a. auch, dass einer der großen Vorbilder Sarrazins explizit der britische Eugeniker Francis Galton ist, der u.a. der Ansicht war, dass „es eine größtenteils völlig unvernünftige Sentimentalität gegenüber der schrittweisen Auslöschung einer niederen Rasse gibt“ (wiki).

Begrüßenswert ist, dass Eichener die moralische Ebene verlässt und versucht, Sarrazin auf der Basis von reinen Tatsachen auszuhebeln. Denn das scheint ja der O-ton der meisten Sarrazin-Kritiker zu sein: „In der Sache hat er ja recht, aber so darf man das natürlich nicht sagen.“ Freilich ist auch hier Vorsicht geboten: man könnte schließlich zu entgegengesetzten Schluss kommen: „Wenn Sarrazins Tatsachenbehauptungen zutreffen würden, würde ich sein politisches Programm absolut unterstützen.“ Beides ist eine fragwürdige Position.

Die ganze Diskussion zeigt wieder einmal, dass grundsätzlich misstrauen gegenüber denen geboten ist, die von sich selbst behaupten „völlig ideologiefrei“ zu argumentieren: diese Art von Ideologiefreiheit ist selbst die größte Ideologie. Es ist ja gut und schön, dass die zahlreichen Sarrazin-Fans anscheinend wert auf große Wissenschaftlichkeit legen. Doch im heutigen Zeitalter des „Fakten“-Fetischismus ist es wohl nicht sehr gewagt, den Ausspruch zu tätigen: „Stelle irgendeine obskure Behauptung auf und ich ergoogle dir eine empirische Studie, die sie belegt.“ Oder – falls selbst das nicht fruchtet: interpretier an der Studie einfach was du willst, merkt eh keiner. Geht es um rein begriffliche Argumentation, kann man sich immerhin noch auf seinen logischen Spürsinn – sofern ausgebildet – verlassen, um Scharlatene zu durchschauen. Doch je mehr sich eine Argumentationskette nur auf empirische Belege stützt, ist Betrug Tür und Tor geöffnet. Wer macht sich schon die Mühe und prüft die zitierten Quellen eines Buches – zumindest nicht der, der mit der Konklusion der Argumente ohnehin einigermaßen zufrieden ist (wie wohl ein Großteil der Sarrazin-Fans). Ein an sich aufgeklärtes Bedürfnis nach logischer Stringenz und empirischer Stichhaltigkeit schlägt so um in einen absolut voraufgeklärten Glauben an wissenschaftliche Autoritäten („amerikanische Wissenschaftler haben in einer neuen Studie herausgefunden …“ – ein Satz wie ein Warnschild).
Oder, um mit einem bedeutenden deutschen Dichter zu sprechen:

Schüler:

Fast möcht ich nun Soziologie studieren.

Weiser Mann:

Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzenei ist’s kaum zu unterscheiden.
Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
Im ganzen- haltet Euch an Worte!
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.

Schüler:

Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.

Weiser Mann:

Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Fakt zur rechten Zeit sich ein.
Mit Fakten läßt sich trefflich streiten,
Mit Fakten ein System bereiten,
An Fakten läßt sich trefflich glauben,
Von einem Fakt läßt sich kein Jota rauben.

PS: Verwiesen sei an dieser Stelle auch auf den Apell „Nein zur Ausgrenzung“, unterzeichnet u.a. von zahlreichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Professoren. Ich find den Aufruf zwar auch nicht richtig gut, die Kommentarspalte ist aber durchaus einen Blick wert, zumal es meinen Artikel eigentlich nur bestätigt.
So schreibt „Hans Lotus“:

Auch durch ständige Wiederholung wird es nicht wahrer:

Es geht nicht um DIE Migranten, es geht um einen nicht unerheblichen Teil der muslimischen Migranten. Und nein, der ganze Artikel ist Unsinn, weil er wieder Deutschland die Schuld für eine vermeintliche Diskrimierung von Ausländern zuschieben will.

„Komisch“ ist nur, dass trotz dieser ach so schlechten Zustände es ALLE anderen Migranten-Gruppen schaffen, ja die Vietnamnesen z. B. in unseren Schulen erfolgreichere Kinder als die Deutschen haben, hier auf die Beine zu kommen – nur die muslimischen Zuwanderer zu großen Teilen nicht.

Auf diesen Punkt weist Herr Dr. Sarrazin in seinem Buch auch ausdrücklich hin, aber das ist sicher für die übliche Argumentation wie in diesem Aufruf nur viel zu störend. Man sollte sich eben einfach nicht so viel mit Fakten belasten …

Lachhafter Aufruf bar jeder intellektuellen Substanz einer nervös werdenden „Multi-Kulti-“Clique, die Angst um ihre bequemen Arbeitsplätze in der Migrations-Industrie bekommt.

Ah ja, das musste wohl nochmal betont werden, dass Sarrazin auch zwei Buchstaben vor seinem Namen tragen darf (übrigens in einer „soft-skill-Wissenschaft“). Ansonsten von wegen „Fakten“ – siehe oben.

„Realist“ meint:

Soweit ich sehen kann, kein einziger Nettosteuerzahler dabei. Dafür jede Menge Absolventen der in Deutschland überaus beliebten soft skill-Studiengänge.

Das Juste milieu bangt und träumt im eigenen Utopistenkeller…nur weiter so….das große Erwachen wird kommen…

Da kann man eigentlich nur noch die beste Band der Welt zitieren: „Der sogenannte Realismus fällt nicht weiter ins Gewicht.“


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