Politikern ist Gewalt gegen Kinder nichts wert

Politikern ist Gewalt gegen Kinder nichts wertIn Anbetracht der Tatsache, das die ARD einen The­men­abend Häus­li­che Gewalt gegen Frauen ermöglicht und Frank Plasberg sich heute bei Hart aber Fair die Auf­ga­be gestellt hat, über “Der Feind in der Familie – wenn der Mann zum Schläger wird” zu diskutieren, möchte ich meine re­cher­chier­ten Fakten zu “Gewalt ge­gen Kin­der” noch be­kannt geben.

Als er­stes muss ich sagen, das ich es als Schande von Po­li­ti­kern und Medien em­pfinde, das diese das Thema Ge­walt ge­gen Kinder so gut wie gar nicht the­ma­ti­sie­ren. Le­dig­lich bei Kindstötungen, Kindsmorden und sexueller Missbrauch geht ein paar Ta­ge ein Aufschrei der Ent­rüs­tung durch die Me­dien. Wür­den diese das The­ma ge­nau­so offe­rie­ren, wie sie über angebliche Frauen­be­nach­tei­li­gun­gen und -quoten, so­wie gegen Frauengewalt schreiben, wür­de vielleicht schon einiges anders aus­se­hen. Es vergeht keine Woche, in der nicht über Ge­walt gegen Frauen geschrieben wird und die Re­dak­tion spricht von einem Tabu?

Zuletzt rege ich mich auch noch darüber auf, das bei Gewalt gegen Kindern bereits se­pa­riert und nur die Gewalt gegen Mädchen untersucht wird mit dem Ar­gu­ment, das Da­ten für Jungen fehlen würden.

Bevor ich weiteres zur Materie schreibe, stelle ich erst einmal eine Grafik zu Opfer schwe­­rer Ge­walt­hand­lun­gen in engen sozialen Beziehungen ein, die ich dem Wi­ki­MANN­ia-Artikel “Häusliche Gewalt” ent­nom­men habe.

gewalt-in-familien

Es gibt eine Kinderkommision im Bundestag, diese ist aber auch nur ein Un­ter­aus­schuss des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Was dieser Aus­schuss für Kinder erarbeitet, ist mir bis jetzt entgangen. Zwar gibt es ein Ar­beits­pro­gramm und das schaut auch richtig gut aus, nur im Bundestag bekommt man da­von nichts mit. Ich kann mich an keine Plenarsitzung in den letzten Jahren er­in­nern, in der alleine die erlebte Gewalt von Kindern eine Rolle gespielt hat. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren. Kinderkommission

Seit Oktober 2006 gibt eine eine UN-Studie zum Thema “Gewalt gegen Kinder”, die in der Öffentlichkeit so gut wie nicht bekannt ist. Weder die Bundesregierung, noch das BMFSFJ und schon gar nicht die Kinderkommission haben bis jetzt für eine Über­set­zung gesorgt. Anscheinend ist nur die von Frauen erlebte Gewalt von In­te­res­se, Kinder in­te­res­sie­ren da nicht. Unicef hat wenigstens eine Sonderseite zu Ge­walt gegen Kinder ein­ge­rich­tet. unicef

Seit dem 6. Mai 2009 gibt es eine UN-Sonderbeauftragte zu Gewalt gegen Kinder. Für diese wichtige Position wurde die Portugiesin Marta Santos Pais ernannt. Auf der Home­page des Familienministeriums findet man dazu nicht einen einzigen Ar­ti­kel.

Nachdem ich gerade bei Google zum Thema gesucht habe, fand ich einen erst 3 Tage alten Ar­ti­kel:

Gewalt gegen Kinder
Kinder sind immer schon die Schwachen dieser Erde. Aber noch nie hat die Erde einen solch massenhaften und organisierten Miss­brauch dieser Schwachen gesehen – und hingenommen. Die Mensch­heit kann es än­dern. Sie kann einen Maßstab setzen, statt nur die verlorenen zu be­kla­gen.

Wer nämlich glaubt, der Mensch habe in seiner Geschichte schon alles be­gan­gen, wozu er als gewalttätiges Wesen fähig ist, der täuscht sich. Die wahr­schein­lich widerwärtigste aller Gewaltformen blieb unserer Ge­gen­wart vorbehalten:

  • Erst unsere Zeit schickt die Kinder massenhaft in die Bordelle,
  • erst unsere Zeit zwingt sie hunderttausendfach zu Pornografie,
  • erst unsere Zeit bildet sie zu blutdürstigen Kindersoldaten aus,
  • erst unsere Zeit schickt sie mit Sprengstoffgürteln in den Selbstmord,
  • erst unsere Zeit macht sie millionenfach zu Drogensüchtigen und häuft Reichtum an durch ihre Sucht.
  • Und damit ist noch nicht einmal ihre millionenfache Ausbeutung als Ar­beits­skla­ven benannt.
  • Und das alles nach den eineinhalb Millionen ermordeten Kindern im Ho­lo­caust!

Wenn die Erde ein Antlitz hätte, das den Zustand der “Menschenwürde ihrer Kinder” widerspiegelte, es wäre eine Fratze. RP Online

Es ist gut, das dieses Thema in den Medien mal wieder aufgegriffen wurde. So ganz einverstanden bin ich mit dem Artikel trotzdem nicht, da er suggeriert, das es Ge­walt in diesem Ausmaß gegen Kinder früher nicht gab. Ich erinnere in diesem Zu­sam­men­hang an die Spartaner, die neugeborene, kranke Kinder sofort töteten. Auch waren Griechen und Römer bekannt für ihre Knabenliebe, welches heute wohl unter se­xu­el­le Gewalt sub­su­miert wird. In diesem Zusammenhang fällt mir die vom Bun­des­mi­ni­ste­rium für Ge­sund­heit (BMG) finanzierte Studie des Robert-Koch-Institutes aus dem Jahr 2008 ein. Die Autoren hatten festgestellt, das es nicht ge­nü­gend Daten zu Ge­walt und sexuellem Missbrauch gegen Män­ner und Jungen gäbe und diese daher nicht berücksichtigt wer­den könnten. Im WGvdl.com-Forum steht dazu:

Als nicht rechtens sehe ich allerdings, das alleine auf Grund fehlender Da­ten­la­ge immerhin die Hälfte der Bevölkerung ignoriert bzw. mit ein paar Sätzen abgehandelt wird. Als nicht akzeptabel empfinde ich die Dar­stel­lung in der Stu­die über “Gesundheitliche Folgen von Gewalt an Frauen und Mäd­chen“. Für mich heißt das, selbst bei Kindern wird schon an­ge­fan­gen, er­lit­te­ne Ge­walt zu separieren. WGvdl.com-Forum

Dieser Titel wurde geändert und heißt nun: Gesundheitliche Folgen von Gewalt unter be­son­de­rer Berücksichtigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen. An­schei­nend ha­ben et­liche Menschen gegen die Fokussierung auf Gewalt gegen Mädchen pro­tes­tiert, so dass der Kopf der ersten Seite im Nachhinein revidiert wurde. An der Fak­ten­lage ändert diese Kor­rek­tur indes nichts. Nun folgen ein paar Auszüge aus der RKI-Studie:

Gesundheitliche Auswirkungen von Gewalt gegen männliche Jugendliche und erwachsene Männer in unterschiedlichen sozialen Kontexten stellen ein weit­ge­hend vernachlässigtes Forschungsgebiet dar. Die Ergebnisse der nicht repräsentativen deutschen Pilotstudie »Gewalt gegen Män­ner« [15] lassen jedoch erkennen, dass Jungen und Männer ins­ge­samt einem beträchtlichen Risiko körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewaltübergriffe unter an­de­rem im öffentlichen Raum und in in­sti­tu­tio­nel­len Settings (z. B. Schule, Ar­beits­platz, Haftanstalt etc.), aber auch in Partnerschaftsbeziehungen, aus­ge­setzt sind. Die Forschungslage zu Männern als Opfer von Gewalt, ins­be­son­de­re im sozialen Nahraum, ist jedoch bislang noch kaum entwickelt. Der Kenntnisstand über Ausmaß, Ursachen und Ausprägungen von Gewalt so­wie über Behandlungs- und Unterstützungsbedarf männlicher Gewaltopfer ist in Deutschland ent­spre­chend gering (vgl. [16, 17]). Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt des vorliegenden Themenheftes auf Frauen und Kindern als Be­trof­fe­nen­grup­pen. (Seite 8 der RKI-Studie)

Wenn man im PDF-Dokument nach dem Wort Jungen sucht, so ergeben sich 10 Tref­fer. Da Jungen im Kontext auch als spätere Täter benannt werden, kann man kaum davon sprechen, das Gewalt gegen diese besonders untersucht wurde.

Hinzu kommt, dass die in der Tradition der Frauengesundheitsforschung ste­hen­de Untersuchung der gesundheitlichen Folgen von Gewalt bislang vor­wie­gend Frauen und Mädchen als Gewaltopfer in den Blick nimmt. Dem­­ge­­gen­­über werden Jungen und Männer, z. B. als Betroffene von se­xu­el­lem Miss­brauch und häuslicher wie außerhäuslicher Gewalt, erst seit wenigen Jahren überhaupt als eine relevante Opfergruppe wahr­ge­nom­men und als Ziel­grup­pe gendersensibler Gesundheitsforschung und -ver­sor­gung definiert [36]. (Seite 39 der RKI-Studie)

Mädchen ergaben im PDF-Dokument hingegen 29 Treffer, wobei diese sehr oft als (spätere) Opfer präsentiert wurden.

Mädchen und Frauen mit geistigen Behinderungen wurden laut dieser Studie drei- bis viermal so häufig sexuell missbraucht wie Jungen und Männer mit entsprechenden Behinderungen.

Ich frage mich, wie man so diese Behauptung aufstellen kann, wenn aufgrund feh­len­der Datenlage eine Aussage gar nicht möglich ist.

Auf der Homepage des BMFSFJ habe ich tatsächlich eine Seite gefunden, die zum Thema Gewalt gegen Kinder auch Daten von Jungen berücksichtigt.

Genderdatenreport 10.3.3 Gewalt gegen Mädchen und Jungen
In der 1992 durchgeführten KFN-Untersuchung (Wetzels 1997) zeigte sich – wie auch in anderen nationalen und internationalen Studien -, dass Jungen gegenüber Mädchen zu einem etwas höheren Anteil von el­ter­li­cher kör­per­li­cher Gewalt be­trof­fen waren und dass auch die Fre­quenz er­leb­ter Gewalt bei Jungen höher war. So gaben 78 Prozent der männ­li­chen und 72 Prozent der weiblichen Befragten an, el­ter­liche kör­per­li­che Ge­walt erlebt zu haben; 43 Prozent der männlichen ge­gen­über 35 Pro­zent der weib­li­chen Befragten hatten diese häufiger als selten er­lebt. In Be­zug auf die Schwere der Gewalt zeigten sich keine statistisch signifikanten Un­ter­schie­de zwischen den Ge­schlech­tern. 12 Prozent der Männer und 10 Pro­zent der Frauen gaben in der KFN-Studie Formen elterlicher Miss­hand­lung an (ebd.).

Die meisten Studien der Familiengewaltforschung kommen zu dem Er­geb­nis, dass Mütter in gleich hohem oder höherem wie Väter Ausmaß el­ter­li­che körperliche Ge­walt gegenüber ihren Kindern ausüben. Auch eine ge­schlechts­spe­zi­fi­sche Aus­wer­tung von Bussmann (2002) zeigt für Deutsch­land ein durchweg leicht höheres Sank­tions­ni­veau auf Seiten der Mütter auf; bei schwereren Gewaltformen gleichen sich die Er­zie­hungs­sti­le zwi­schen den Geschlechtern allerdings an. Dieser Befund ist auch vor dem Hin­ter­grund der stärkeren Einbindung von Frauen in Er­zie­hungs­auf­ga­ben zu in­ter­pre­tie­ren. BMFSFJ

Ja klar, aber Frauen sind trotzdem besonders betroffen ;-)

Zum Schluß möchte ich dann noch auf einen Spot im Rahmen der bundesweiten Prä­ven­tions­kam­pag­ne “Du kannst immer entscheiden” aufmerksam machen. Na­tür­lich ist auch hier der vermeintliche Täter ein Mann. Youtube

Links
Frauengewalt gegen Kinder
Hamburger Abendblatt: Millionen Kinder ohne Schutz und Liebe
SZ: Kindesmissbrauch – “Ich habe mir gewünscht, ich wäre tot”
FemokratieBlog: Bund soll Frauenhäuser finanzieren
Homepage von “Gewalt gegen Kinder”



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