Politik als Ersatzleben

Wer sich über andere identifiziert, wer Aufmerksamkeit von Leuten braucht, die er gar nicht kennt, wer die Anerkennung von vermeintlich höher Stehenden braucht, wer sich fremde Ziele geben lässt, und das im Alter jenseits der 50, dem ist nicht zu helfen.
Ich frage mich mit dem Abstand von fünf Jahren nach meinem FDP-Austritt inzwischen selbst, wie ich mal bereit sein konnte, vier oder so Abende in der Woche mit sogenannten Parteifreunden zu verbringen. Das kostete Zeit, Nerven, Handygebühren (damals teurer als heute) und Geld, dass man in den Stamm- und "Gründungs"kneipen dieses oder jenes Charlottenburger oder Wilmersdorfer Ortsvereins ließ.
Die Anzahl der Abende, an denen wir in großen Runden wirklich über die große Politik, den 11. September, die Bushkriege, die Hartz Gesetze, das abgestürzte Berlin diskutierten, kann ich an einer Hand abzählen. Im Orts- und Bezirksvorstand hatten wir dafür am wenigsten Zeit. Stattdessen ging es um Satzungen, Anträge und Kandidaturen.
Jeden Abend diese Kungelgespräche, getarnt als programmatische Vorstandsarbeit. Die meisten -nicht alle- an Politik ziemlich desinteressiert, mancher stattdessen aber von der letzten Abfahrt "Wirtschaftssenator" träumend. Damit die Motivation nicht abreißt, dazwischen immer wieder mal Prominentenmeetings. Mit Günter Rexrodt, Markus Löning. Dann mal Cornelia Schmalz-Jacobsen zu Gast im eigenen Ortsverband.
Und die Hartz Gesetze -bzw. das, wofür sie angeblich mal gedacht waren- habe ich erst nach einem Vortrag von Irmgard Schwaetzer verstanden gehabt. Ok, das hat man als Politikkonsument vor dem Fernseher nicht. Ich kann sagen: Live sind die meisten viel besser als sie im Fernsehen rüber kommen.
Ich glaube, Antriebe der meisten Politiker, bzw. Nachwuchspolitiker, sind die Aussicht auf Macht und Anerkennung durch die Menge und der Kontakt zu den Mächtigen, nicht der "Wille etwas zu gestalten", dabei lassen sie sich später sowieso von Lobbyisten lenken.
Man glaubt auch nicht, wie schnell Leute, die sich bürgerlich nennen, das gute Benehmen verlieren können. Angewulfft worden bin ich mehr als einmal. Nicht nur auf der Mailbox. Manchmal auch live. Wenn z.B. der Herr Sohn, der sich zum Schnöselliberalismus bekannte, den Max machte, weil er auf dem Parteiweg flügge werden wollte und nichts mehr fürchtete als den Kontrollverlust über sein gefühltes Lager.
"Du intrigantes Schwein", wulffte Frau Schwaetzer vor Jahrzehnten mal ihren Parteifreund Möllemann an. Ich kann inzwischen verstehen, wie einem so das Fass überlaufen kann.
Einige der soeben aus dem Berliner Abgeordnetenhaus geflogenen Liberalen hatte ich "damals" kennen, manche von ihnen auch schätzen gelernt. Ich habe bewundert, wie weit sie kamen, dass sich ihr unermüdlicher Einsatz tatsächlich auszuzahlen schien. Doch angekommen in den Mandaten hörte man leider nicht mehr viel von ihnen. Sie waren keine Schlechten, aber sie setzten wohl falsche Prioritäten und Politik gaben sie eine eher niedrige Priorität. Jetzt ist alles vorbei, was Partei angeht. Aber um die innerlich Gehärteten muss man sich keine Sorgen machen.
Es gab auch die langjährigen Abgeordneten aus Gewohnheit. Wenn ich bei denen ein verkehrs- oder wirtschaftspolitisches Thema anbringen wollte, musste ich dankbar sein, wenn sie sich die Zeit nahmen, sich mit Politik zu beschäftigen. Sie nahmen es auf und man hörte nie etwas davon.
Sorgen kann man sich eher um die, die die Politik und das Ruhmesversprechen wichtiger nehmen, als ihr eigentliches Leben. Wer nicht in der Lage ist zu erkennen, dass die zunehmende Anzahl von "Freunden" (Jackenziehern) vor allem mit dem eigenen Wachstum an Zugang und Einfluss zu tun hat, begibt sich in der Politik nicht nur in moralische, sondern auch emotionale Gefahr. Der stürzt ab, wenn das alles mal vorbei ist. Und vorbei ist es nach der Abwahl oder dem Rücktritt ganz schnell. Das Kameralicht wendet sich auf den Nachfolger, man selbst steht plötzlich im Dunkeln. Das ganze zum Quadrat hat vermutlich, wer sogar seinen Partner fürs Leben gefunden zu haben glaubt und nicht merkt, dass nicht er gemeint war, sondern sein betörender Glanz der Macht.
Die Erringung und Absicherung einer hohen Position in Partei oder Amt kostet permanente Aufmerksamkeit für seine Unterstützer. Das kostet unendlich viel Zeit. Kostbare Zeit, die nicht zurückkommt. Die man mit echten Freunden, Partnern, Leuten die sich für einen selbst interessieren, in der Natur statt in Hinterzimmern verbringen könnte.
Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, wie man zu solchen Opfern bereit sein kann. Ich bin sicher, das das auf Dauer krank macht, einen aus dem Gleichgewicht bringt und näher an den Zusammenbruch.

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