Polen. Jetzt erst recht.

Von Qohelet17

Wohnst du noch oder lebst du schon? Ich muss hier wohnen.

Es ist Samstag. Heute vor zwei Wochen bin ich von Budapest aufgebrochen, um für das Auschwitz Jewish Center zu arbeiten. Noch jetzt bereitet mir allein der Gedanke an die Fahrt unbehagen. Normalerweise reise ich sehr gerne, aber mit einem Gepäcküberschuss um 5 Uhr morgens kann ich mich wirklich nicht anfreunden… Glücklicherweise bin ich jetzt untergekommen. Die Wohnsituation hier als „gut“ zu bezeichnen wäre übertrieben, aber ich habe mein Domizil und bin recht glücklich damit.

Das AJC hat mich aus einem bestimmten Grund interessiert: Die Führungen, die ich dort machen darf. Was mir in Yad Vashem verwehrt wurde und im European Roma Rights Center unmöglich war ist jetzt endlich meine offizielle Aufgabe.

Zugegeben: Das Jüdische Zentrum in Oswiecim ist nicht gerade das, was man als Großraummuseum bezeichnen würde, aber es zeigt einem eine Geschichte, wie man sie weder kennt, noch irgendwie erwarten würde. Und ich… Meine Aufgabe ist es, genau das den Besuchern zu zeigen.

Eine gute Führung will auch gut durchdacht sein

Diese Woche hatte ich nach gewisser Vorbereitungszeit, die aus der Teilnahme an Führungen und Selbststudium bestand endlich die Prüfung zum Führer über deutsche Gruppen. Hin und wieder auch Englische.

"This is a badge. It contains the names of some Gabbaim I don't know"

Nur… derzeit ist es nicht so, dass wir uns nicht vor dem anhaltenden Strom an Besuchern wehren können – Oswiecim ist im Winter alles Andere als gut besucht und die Touristen, die kommen interessiert meist nur das Lager. An und für sich ist das merkwürdig – es wäre fast so, als würde man nach New York fahren, die Freiheitsstatue anschauen und weiterreisen… Ohne zu bemerken, dass man in so einer Art Stadt gelandet ist.

Zugegeben: Der Vergleich hinkt. Auf beiden Beinen. Symbolisch dargestellt hätte der Mensch wahrscheinlich nicht einmal Extremitäten… Aber ein Vergleich ist es und der Zweck heiligt bekanntlich alle Mittel

Aber zurück zu Oswiecim. Die Stadt hat etwa 40.000 Einwohner, das ist nicht zu viel, das ist aber auch nicht so wenig. Lienz – meine Heimatstadt hat zum Vergleich etwa 13.000 Seelen, Villach etwa 60.000. Da ich in leicht überschaubaren Kleinstädten aufgewachsen bin erleichtert dies die Einpassung ungemein, zudem ist die Luft (manchmal) etwas besser als in Budapest.

Kommende Woche beginnt auch mein Polnisch-Sprachkurs. Geplant wäre diese Woche gewesen, aber allein die Tatsache der Planung ist ein Zugeständnis dafür, das im Leben nur recht selten etwas so läuft, wie man es gerne hätte ohne sich groß darüber Gedanken zu machen.

Mit dem Hebräischen konnte ich mich abfinden, mit dem Ungarischen anfreunden, aber Polnisch… Hm, mir scheint es fast so, als läge der Vorteil der Sprache darin, dass man den Mund beim Sprechen nicht aufmachen muss, da sie so wenige Vokale besitzt. Einzig das Slowakische, welches im Zug gehört habe offenbart seine Eigenheit noch stärker. Es kann, wie ich mir vorstellen kann auch mit vollständig geschlossenem Mund gesprochen werden.

In der HTL habe ich mich damals für einen Russischkurs eingeschrieben und sogar einiges gelernt, das ich noch heute weiß. Hin und wieder bemerke ich die Parallelen zwischen dem Polnischen und dem Russischen, sodass ich bestimmte wichtige Wörter gleich verwenden kann. Nur manchmal trifft das nur fast zu.

Ein Beispiel dafür ist „Auf Wiedersehen“:

Auf Russisch: До свидания! (Gesprochen: Do swidanja bzw. swidanje)
Auf Polnisch: Do widzenia! (Gesprochen: Do widsennja)

So schlecht können meine Sprachkenntnisse gar nicht sein, dass es mir nicht gelingt etwas zum Essen zu bestellen - hier: einen Obwarzanek

Da mir für das Polnische voererst das Sprachgefühl komplett fehlt erscheine ich lieber als Unwissend als Unhöflich und verabschiede mich mit der russischen Variante, da ich diese bereits beherrsche.

Jedoch kann man unschwer erkennen, dass ich kein Russe bin. Wenn man jetzt noch dazurechnet, dass ich deutschsprachig und somit wahrscheinlich Deutscher (falsch, aber naheliegend) bin, kommt man auf eine Mischung, die in Polen allgemein gut ankommt:

Ein Deutscher, der die Russen lieber mag als die Polen.

(Für diejenigen, bei denen Geschichte schon etwas länger her ist: Im 19. Jahrhundert wurde Polen zwischen Preußen (, Österreich) und Russland so oft aufgeteilt, bis nichts mehr übrig geblieben ist. Nach der neuerlichen Ausrufung der Existenz Polens 1918 waren es nur eine Frage der Zeit, bis Polen im Zuge des Hitler-Stalin Paktes (wieder einmal) von Russen und Deutschen gefressen wurde).

Diese Häuser wurden unter Deutscher Herrschaft erbaut. Näheres in den nächsten Malen

Doch zurück zum Museum. Diese Woche wurde ich also als offizieller, nützlicher Mitarbeiter vereidigt und hatte wenige Stunden nach der Prüfungsführung eine echte. Diese offenbarte sogleich, dass die Monate hier interessant werden dürften. Es handelte sich um zwei Lehrer aus der (liegt bei Münster in Deutschland). In Saerbeck wohnt eine meiner vielen Lieblingsleserinnen und ich habe die Delegation sofort auf sie angesprochen. Gekannt haben die beiden sie zwar nicht, aber es war trotzdem ein nettes Gespräch.

Manche Gruppen die das Zentrum besuchen sind „self guided“, was bedeutet, dass sie ihre eigenen Leute mitnehmen, die ihnen Oswiecim und das Museum erklären. Ob das aus mangelnden Vertrauen uns gegenüber oder aufgrund des Verständnisses der Institutionen gemacht wird ist nicht bekannt – ich werde der Sache aber nachgehen. Bei solcherlei Gruppen ist meine Aufgabe jedoch umso spannender: Ich durfte den jüdischen Friedhof für sie aufsperren. Aber nicht nur das! Ich durfte ihn auch wieder zusperren! Die Zeit dazwischen wollte ich ursprünglich damit verbringen den mitgebrachten Lehrkörpern zu lauschen, jedoch musste ich feststellen, dass die meisten Gruppenleiter nicht mehr sagen konnten, als ich bereits wusste, was mich dazu brachte mir den Friedhof etwas genauer anzuschauen. Eine andere Kollegin von mir, die ebenfalls Stadtführungen leitet hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Friedhof über einige interessante Grabsteinsymbole verfügt. Der Tag war wirklich schön, was mich dazu verleitet hat, ein paar Kunstfotos zu schießen. Mit diesen möchte ich den heutigen Artikel abschließen.

Zerstörter Grabstein

Eine interessante Symbolik: Vögel und Trauben. Vögel deuten auf eine Frau, die Trauben darauf, dass diese Person viel geleistet hat und am Ende ihres Lebens eine große "Ernte" vorzuweisen hatte

Dieser Herr ist übrigens Rabbi Marcus. Ich habe noch ein paar Fragen an ihn – auf Wunsch kann ich sie gerne hier im Blog mit den Antworten niederschreiben.

Rabbi Marcus


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