Polen 1918-1939 – Teil 3: Zwischen Konfrontation und Koexistenz

Polen 1918-1939 – Teil 3: Zwischen Konfrontation und Koexistenz

Treffen in Warschau am 15. Juni 1934 (von links): Deutscher Gesandter Hans von Moltke, Marschall Józef Piłsudski, Joseph Goebbels, polnischer Außenminister Józef Beck - Bild: Wikipedia | Deutsches Bundesarchiv

Berlin, 26. Januar 1934. Eine Sensation: Hitler-Deutschland und Polen vereinbaren einen Nichtangriffspakt. Während sich die Politiker der Weimarer Republik die Revision der “blutenden Grenze” (General Seeckt) auf ihre Fahnen geschrieben haben, machte Hitler eine überraschende Kehrtwende: Er reichte dem Nachbarn im Osten (vorerst) die Hand. Doch Marschall Józef Piłsudski, der Vater der polnischen Unabhängigkeit und Kopf des autoritären Sanacja-Regimes, blieb realistisch. Der polnische Staatsmann sprach von den “ungesunden Romanzen mit den Deutschen” (Hildebrand, Vergangenes Reich, S.589.). Seine Befürchtung: Der Friede mit Deutschland würde nur fünf Jahre dauern. Eine Zeitreise in die Zwischenkriegszeit…

Polens Außenpolitik 1918 bis 1933

Die Annäherung an Deutschland war in Warschau wohl überlegt. Sowohl Polen als auch das Deutsche Reich hatten keinen leichten Stand auf dem außenpolitischen Parkett. Deutschland war durch die Fesseln des Versailler Vertrages geschwächt. Polen, das 1918 wieder seine Unabhängigkeit erlang, hatte mit seinen Nachbarn zahlreiche Konfliktfelder.

Das Deutsche Reich verlor nach dem Ersten Weltkrieg an Polen – neben der mehrheitlich von Polen bewohnten Provinz Posen – das wirtschaftlich starke Ost-Oberschlesien und Westpreußen, die Verbindung zu Ostpreußen. Gleichzeitig deklarierten die Siegermächte Danzig zum autonomen Stadtstaat. Ein schwerwiegender Kompromiss: Da Danzig zu 90 % von Deutschen bewohnt war, würde die Stadt niemals für ein Zusammengehen mit Polen plädieren. So entschieden die Siegermächte, die Stadt aus dem Deutschen Reich herauszulösen und Polen gewisse Rechte zu billigen.

Auch das polnische-sowjetische Verhältnis war belastet. 1920 marschierte Piłsudski in die Ukraine ein, zu einer Zeit als Russland in den Wirren der Russischen Revolution versank. Das polnische Heer wurde aber zurückgeschlagen. In Riga schlossen Sowjetrussland und Polen Frieden: Auf Kosten sowjetischer Territorien verschob Polen die ursprünglich von Lord George Curzon festgelegte Grenze um 200 km nach Osten.

Das Verhältnis zu den Westmächten gestaltete sich einfacher, da Polen als ein Garant der Versailler Ordnung gesehen wurde. Frankreich war Polens wichtigster Verbündeter. Polen sollte Deutschland und das bolschewistische Russland in Schach halten (Stichwort: Cordon sanitaire). Paris unterstützte die Polen bei den Aufständen in Oberschlesien und beim Abwehrkampf gegen die Rote Armee. 1921 schlossen beide Staaten ein Bündnisvertrag und einen Militärvertrag. Das Verhältnis zu Großbritannien war nicht so eng. London scheute es, das Deutsche Reich weiter zu schwächen – und auf dieser Weise die Hegemonie Frankreichs in Europa zu stärken.

Im Ostmitteleuropa gelang es keine wirksame Defensivallianz gegen Deutschland bzw. die Sowjetunion aufzubauen. Ursache waren die Spannungen zwischen den neu entstandenen Staaten. Warschau und Prag beanspruchten das wirtschaftlich starke Olsa-Gebiet. Gleichzeitig konkurrierten beide Länder um die Gunst Frankreichs. Prag verhindertete, dass Warschau der Kleinen Entente (CSR, Jugoslawien und Rumänien) beitrat. Auch zu Litauen gestalteten sich die Verhältnisse schwierig. 1920 besetzte Polen die alte litauische Hauptstadt Wilna und das umliegende Gebiet (Mittel-Litauen). Litauen protestierte gegen die Annexion.

Mit dem Abschluss des Locarno-Vertrages 1925 bekam Polen einen außenpolitischen Dämpfer. Deutschland bestätigte die Unverletztbarkeit der Grenzen zu Frankreich und Belgien. Gegenüber Polen lehnte Berlin die Anerkennung der Grenze ab. Es blieb beim Gewaltverzicht. Da Frankreich nun mehr Sicherheit im Westen gewann, war das Verhältnis zu Warschau nicht mehr so eng.

Seit 1926 stand der charismatische Militär Józef Piłsudski an der Spitze des polnischen Staates. Mit Hilfe eines Putsches gelang Piłsudski an die Macht. Es waren unter anderem die außenpolitischen Schwierigkeiten wie der deutsch-polnische Zollkrieg 1925 – Berlin erhöhte die Einfuhrzölle auf polnische Kohle, um so Warschau zu einer Grenzrevision zu zwingen – und der Locarno-Vertrag, die die Macht der legitimen Regierung untergruben.

Piłsudski setzte auf Verständigung. Zwar blieb die Grenzfrage offen, aber der Marschall konnte sich 1927 mit den deutschen Außenminister Gustav Stresemann zum Beispiel in Zollfragen einigen. Auch bei der Sowjetunion erreichte Piłsudski eine Annäherung. Eigentlich sah der Marschall in dem östlichen Nachbarn den eigentlichen Gegner Polens. Um so wichtiger war es ihm, die Spannungen abzubauen. 1932 unterzeichneten Warschau und Moskau einen Nichtangriffspakt.

Polens Annäherung an das Dritte Reich

1933 übernahm Hitler die Macht in Berlin. Der außenpolitische Kurs Deutschlands schien unverändert: Revision des Versailler Vertrages und der Ostgrenzen. Der national-konservative Außenminister von Neurath betonte am 7. April 1933: “Eine Verständigung mit Polen ist weder möglich noch erwünscht.” (Hildebrand, Das vergangene Reich, S.587.). Im März 1933 besetzten polnische Einheiten die Westerplatte und verletzten somit die Souveränität der Freien Stadt Danzig. Polen war zum Krieg bereit. Noch stand Polen militärisch besser da: Der östliche Nachbar verfügte über ein 300.000 Mann-Heer, während die Reichswehr auf 100.000 Mann begrenzt war.

Piłsudski ging sogar weiter. In Paris fragte der Marschall an, ob die Franzosen im Bunde mit den Polen einen Präventivschlag gegen das Nazi-Deutschland durchführen. Doch der nun auf Defensive beharrende westliche Verbündete lehnte den Vorschlag ab. Wie einst Bismarck in der Krieg-in-Sicht-Krise spürte Piłsudski die Isolierung seines Landes. Statt auf Konfrontation zu setzen, wählte Warschau den Weg der Verständigung.

Im Januar 1934 überraschten beide Staaten die Welt mit einem Abkommen: Für 10 Jahre verpflichteten sich Deutschland und Polen, “in den ihre gegenseitigen Beziehungen betreffenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen, unmittelbar zu verständigen” und “unter keinen Umständen … zur Anwendung von Gewalt (zu) schreiten.” (Hildebrand, Vergangenes Reich, S. 586.). So erreichten Deutschland und Polen ihre ungünstige außenpolitische Lage zu verbessern. Beim genauen Hinsehen überraschte das Abkommen nicht: Hitler teilte die anti-polnischen Ressentiments seiner preußischen Generäle nicht. Der Führer sollte auch den alten polnischen Marschall bewundert haben. Für Piłsudski bedeutete das Abkommen Zeitgewinn. Ein Konflikt zwischen Deutschland und Polen war in seinen Augen unausweichlich.

Das Ende von Versailles: 1935 bis 1939

Nach dem Tode Piłsudskis 1935 ging Warschau zu einer aktiven, sogar aggresiven Außenpolitik über. Der ehrgeizige Außenminister Polens, Oberst Józef Beck, der bereits seit Anfang der 30er Jahre den außenpolitischen Kurs bestimmte, wollte Polens Position in Ostmitteleuropa ausbauen. Die Folgen: Eine Schaukelpolitik zwischen dem Deutschen Reich und den Westmächten. Gleichzeitig machte Polen mit bei der Zerstörung der Pariser Friedensordnung.

Polen 1918-1939 – Teil 3: Zwischen Konfrontation und Koexistenz

Juli 1935 Ausfahrt Hermann Görings mit dem polnischen Aussenminister Beck - Bild: Wikipedia | Deutsches Bundesarchiv

Angesichts des deutschen Einmarsches in das entmilitarisierte Rheinland näherte sich Polen aus Angst vor einem deutschen Erstarken wieder Frankreich an. Den Anti-Komintern-Pakt zwischen Deutschland und Japan (1936), der sich gegen die Sowjetunion richtete, bewertete Warschau positiv. Auch Polen ließ es sich nicht nehmen, seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Im Frühjahr 1938 drohte Warschau Litauen in einem Ultimatum mit dem Krieg. Kaunas wurde gezwungen, diplomatische Beziehungen mit Polen aufzunehmen – und somit die Zugehörigkeit Wilnas zum polnischen Staat anzuerkennen.

Für das internationale Ansehen schädigend war auch die Beteiligung Polens an der Zerstückelung der Tschechoslowakei. Nachdem Prag die sudetendeutschen Gebiete verloren hatte, erzwang Warschau die Abtretung des umstrittenen Olsa-Gebietes. Im Oktober 1938 marschierten polnische Soldaten in das lang begehrte Gebiet ein. Um so böser war das Erwachen im Frühjahr 1939. Das Deutsche Reich annektierte die Resttschechei – und brach somit das Münchner Abkommen. Die Slowakei wurde unabhängig und in einen deutschen Satelliten verwandelt. Polen war in fast allen Himmelsrichtungen vom deutschen Machtbereich umzingelt.

Die Forderungen des Deutschen Reiches an Polen waren auf dem ersten Blick bescheiden: Berlin bestand auf den Anschluss Danzigs an Deutschland, eine exterritoriale Verbindung durch den Korridor und den Beitritt Polens zum Anti-Komintern-Pakt. Warschau lehnte ab. Der Verlust Danzigs war nicht nur aus Prestigegründen undenkbar. Polen würde auch den Zugang zur Ostsee verlieren und somit seiner wirtschaftlichen Lebensader beraubt werden. Die polnische Regierung befürchtete bei einem Nachgeben früher oder später ein Satellit Deutschlands zu werden.

Angesichts der deutschen Ansprüche und der Verletzung des Münchner Abkommens zogen die Briten ein Schlussstrich unter ihre Appeasement-Politik. London und Paris versicherten Beck die Integrität Polens zu. Für Hitler ein willkommener Anlass den Nichtangriffspakt von 1934 und das deutsch-britische Flottenabkommen von 1935 zu kündigen.

Eine Beistandsabkommen zwischen Polen und der Sowjetunion kam nicht zustande. Die Sowjets verlangten freies Durchmarschrecht für die Rote Armee durch Polen. Warschau befürchtete, mit der Roten Armee würde auch der Kommunismus mit ins Land kommen (was sich auch 1944/45 in den europäischen Staaten bewahrheiten sollte, die die Rote Armee “befreite”). Und längst hatte Stalin die Zusammenarbeit mit den Westmächten in außenpolitischen Fragen aufgegeben. Stattdessen begann er um die Gunst der Deutschen zu werben.

Erneut überraschte Hitler die Welt: Im Moskau unterzeichneten NS-Außenminister Ribbentrop und sein sowjetischer Amtskollege Molotow am 23. August 1939 den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Die beiden – verfeindeten – Ideologien fanden auf Kosten ihrer Nachbarn zusammen. In einem geheimen Zusammprotokoll legten das Deutsche Reich und die Sowjetunion ihre Einflusszonen im östlichen Europa fest. Die Tage Polens waren gezählt: Das Land sollte erneut geteilt werden.

Als am 1. September 1939 deutsche Truppen den östlichen Nachbarn überfielen, entsandte London keine Kriegsschiffe zur Befreiung Danzigs und die Franzosen zogen sich hinter die Maginot-Linie zurück. Trotz der englischen und französischen Garantien stand Polen dem Agressor alleine gegenüber. Wenige Monate zuvor – am 4. Mai 1939 – fragte der französische Luftfahrt-Minister Marcel Déat: “Mourir pour Dantzig? – Für Danzig sterben?” Nein, die Franzosen sahen keinen Sinn für Polen zu kämpfen, geschweige denn zu sterben. Das Land im Osten Europas wurde seinem Schicksal überlassen. “In Europa, wie es in der Zwischenkriegszeit existierte”, so der polnische Historiker Jerzy Holzer, “gab es für Polen keinen gesicherten Platz.” (Holzer, Polen und Europa, S.43.)


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