Pogromstimmung in Tschechien

Junge Welt, 03.07.2013
Neonazis schüren Spannungen zwischen Mehrheitsbevölkerung und Roma-Minderheit

Am vergangenen Samstag wurde die südböhmische Stadt Ceské Budejovice (Budweis) von schweren rassistischen Ausschreitungen erschüttert. Angespornt von ganz gewöhnlichen Bürgern, versuchten Hunderte Neonazis ein Pogrom an rund 350 Roma in der knapp 100 000 Einwohner zählenden Stadt zu entfachen. Die Angriffe der Nazis seien von »Gejohle und Beifall« anwesender Stadteinwohner begleitet worden, hieß es in Presseberichten. Im Gefolge der heftigen Zusammenstöße zwischen den faschistischen Angreifern und den Sicherheitskräften wurden zehn Menschen verletzt, die Polizei meldete 40 Festnahmen.
Die rechtsextremen Schlägertruppen nahmen zuvor an einer im Stadtzentrum organisierten Kundgebung teil, die sich gegen »unangepaßte Mitbürger« richtete und an der auch viele Einwohner der Stadt teilnehmen. Wie schon in vielen anderen Fällen, reichte ein kleiner Vorfall, nach dem sich die in der Region zunehmenden antiziganischen Ressentiments in einem Pogromversuch entluden. Die Anti-Roma-Kundgebung wurde vermittels sozialer Netzwerke organisiert, nachdem Roma und Tschechen auf einem Spielplatz in Streit gerieten und es hierbei zu tätlichen Auseinandersetzungen kam. Eine Woche lang dauerten die Vorbereitungen zu der offiziell angemeldeten Kundgebung, bei der sich rund 800 Rassisten in Facebook-Guppen organisierten, meldete das Roma-Newsportal Romea.

Nach den Ausschreitungen machte Juraj Thom, der Bürgermeister von Ceské Budejovice, auch die Polizeiführung für die Eskalation am Samstag verantwortlich. Thom hatte sich zuvor geweigert, auf der Zusammenrottung zu sprechen. Die Polizeikräfte hätten viel früher eingreifen sollen: Da die Nazis »Heil Hitler« riefen und den rechten Arm zum Nazigruß streckten, hätte die Polizei sie schon im Stadtzentrum festsetzen sollen, so Thom. Statt dessen konnten die Schlägerbanden bis an die Wohnquartiere der Roma vordringen, wo mehrere Roma eine Gegenkundgebung abhielten.

Nach einem ähnlichen Muster verliefen die Unruhen am 22. Juni in der nordböhmischen Stadt Duchov, wo rund 1000 Nazis und Bürger gegen die dortige Roma-Minderheit demonstrierten. Nach der Kundgebung fanden ebenfalls Versuche faschistischer Schlägertruppen statt, die Wohnquartiere der Roma anzugreifen. Die Polizeikräfte konfiszierten bei 22 Festnahmen rund drei Dutzend Waffen, darunter Baseballschläger und Messer. Auch in Duchov reichte ein kleiner Vorfall, eine Schlägerei zwischen Tschechen und Roma, um die rassistische Mobilisierung zu entfachen. Zumeist handelt es sich bei den Provokateuren um Mitglieder der Nazipartei DSSS (Tschechische Arbeiterpartei der Sozialen Gerechtigkeit).

Meistens bilden die sozialen Brennpunkte, in denen überdurchschnittlich viele Roma leben, das konkrete Angriffsziel für die DSSS. Dabei stellen diese Gettos häufig ein neuartiges Phänomen dar. Sie bildeten sich aufgrund der Verdrängung marginalisierter Bevölkerungsschichten aus »besseren« Wohngegenden erst in den vergangenen Jahren aus. Die Gettoisierung der stark marginalisierten und diskriminierten Roma ist somit Folge der zunehmenden sozialen Spaltung in Tschechien, die in Regionen mit einer größeren Roma-Minderheit eine rassistische antiziganische Verlaufsform erhielt.

Miroslav Mareš, Experte für Rechtsextremismus an der Universität Brno, konstatierte im Gespräch mit Radio Prag eine allgemeine »Zunahme ethnischer Spannungen« in der gesamten Tschechischen Republik. Es gebe ein »beständiges Fortschreiten« dieser pogromartigen Vorfälle, die zuerst »in Nordböhmen 2008« auftraten. Diese ethnischen Unruhen, »bei denen normale Bürger gemeinsam mit Rechtsextremisten protestieren«, stellten folglich in Tschechien eigentlich kein neues Phänomen dar, so Mareš. Das neuartige Moment sei »eine Ausbreitung dieser ethnischen Unruhen von Nordböhmen aus in andere Teile der Tschechischen Republik«.


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