#PofallaBeendetDinge - oder: Wie steht es mit der politischen Debatte in Deutschland?

#PofallaBeendetDinge - oder: Wie steht es mit der politischen Debatte in Deutschland?
Alles wird gut. Nein: Ist gut. Wir können beruhigt schlafen gehen.  "Gute Nacht, Deutschland!" Ronald Pofalla teilt uns mit, die Angelegenheiten seien "vom Tisch". Es gibt keine millionenfache Ausspähung der Deutschen. 
Tabula rasa - das politische Täfelchen ist wieder rein. Verunreinigt wurde es vom Whistleblower Ed Snowden. Aber wie gut, dass wir Pofalla haben. Ihn schrieb die NSA an. Und wenn die NSA sagt, es sei alles gut, dann nicken wir. 
Es ist wie die beruhigende Rede einer Mutter: "Es ist alles gut". Ganz fatal wird es allerdings vor dem Zahnarztbesuch, sollte sie sagen "es tut nicht weh!". Sie meint es wohlwollend. Doch das Vertrauen in die Mutter ist dann fort, sollte es anders werden. Snowden hat uns gesagt: "Zahnärzte bohren. Sie ziehen auch Zähne. Das tut weh". Und er nannte Fakten.
Es geht also um Glaubwürdigkeit - eines der Ziele einer PR-Strategie. Sei es, eine Grundlage zu schaffen, sie zu stärken oder sie nicht zu verlieren. Es geht mir nicht darum, ob Pofalla und Merkel uns jetzt die Wahrheit sagen. Darüber können wir nur Vermutungen anstellen. Abwägen. Es ist eher unwahrscheinlich - und das liegt am Thema.
Darum beleuchte ich zunächst kurz, warum ich in Sachen "Geheimdienste" nicht an wahrheitsgemäße Darstellungen glaube, auch wenn sie nötig wären - und ja, ich fordere sie, nur halte ich meine Erwartungen flach. Dann reflektiere ich in diesem Post, wie wir mit den Texten, Reden und all derlei umgehen können, die uns in der nächsten Zeit angeboten werden. Texte, die uns ohne Nennung von Fakten, sondern nur anhand von Statements ruhig halten sollen. Solchen Statements wie denen von Pofalla und Merkel der letzten Tage zu Prism, Tempora und Echelon. 
Die Welt der Geheimdienste ist eine, wo das Bilden von Legenden sogar erlaubt ist. Ich meine, das ist der Fachbegriff im deutschen Gesetzbuch. Ich bin kein Jurist. Meines Wissens meint dieses, dass Agenten zu ihrer eigenen Sicherheit eine andere Identität annehmen dürfen. Das bedeutet, ihnen ist ein mehr oder minder geregeltes Maß an Unwahrheit erlaubt. Und der  Kanzleramtsminister Ronald Pofalla ist der Koordinator der Geheimdienste. Ich habe keine Ahnung, wieviel Unwahrheit ihm freisteht als eine Art oberster Leader oder Manager der Schlapphüte. Denn wenn alle Unwahrheiten sagen, wie kann er dann die Wahrheit verlautbaren? Vielleicht ist er sogar die Spitze des Eisbergs? Zum Schutze seiner "Beschäftigten" (Merkel) - wohlgemerkt. Oder des Staates. Oder Wasauchimmer - es muss nur gewichtig klingen.
Eine andere Sicht: Was weiß ich, ob er überhaupt über alle Unwahrheiten informiert ist, die derzeit durch seine Mitarbeiter in Gebrauch sind. Wenn dem so wäre, wäre es einerseits wünschenswert, denn er könnte dann kompetent dem Parlament Rede und Antwort stehen so wie es Merkels neue Ankündigung von Transparenz nahe legt - allerdings wäre er dann andererseits auch eine Sicherheitslücke. Denn dann würde ich als fremder Geheimdienst genau diese Leitungen anzapfen, die ihn informiert halten. Aber geschieht das nicht eh?
Kurzum: Von Pofalla können wir qua Amt beziehungsweise Aufgabe keine Wahrheit erwarten. Es wird immer taktische Rede sein. Er ist nicht der Whistleblower seiner eigenen Abteilungen. Er hat Gegenteiliges im Sinn. Und Öffentlichkeitsarbeiter waren Geheimdienste nie, was die sprachliche Darlegung ihrer Unternehmungen angeht. Darüber schweigen sie eher. 
Ronald Pofalla beendet die Debatte. Das ist eine Geste. Er hätte ebenso sagen können "und jetzt haltet die Schnauze!" - so wirkt er auf mich. Auf uns. Die Bevölkerung. Die Wähler. Hätte er es so auf Facebook oder Twitter geschrieben wie er es sagte, hätte er wohl einen Shitstorm hervorgerufen. So aber schuf er ungewollt ein neues Meme, Hashtag "PofallaBeendetDinge. Gunnar Sohn zeigt heute anhand von Markus Gabriels Thesen, dass Debatten nicht beendet werden können Mir geht es darum: Wie können wir mit solchen Texten, Reden, Statements, Videos und dergleichen umgehen, von denen wir von vornherein Unwahrheit vermuten? Wie oben dargelegt, liegt es auch am Thema. 
Dass die Vorgehensweise von Pofalla rhetorisch ungeschickt ist, brauche ich nicht näher zu belegen. Das beweist geradezu die Aufregung darum. Sonst wäre nicht so blitzschnell ein neues Meme entstanden.
Meine These: Wenn die erzählte Welt in den Politikerreden nicht mehr anstrebt, unsere Wirklichkeit nur ansatzweise abzubilden, dann sind es Fiktionen. Wir haben es nur noch mit diegetischen Texten zu tun. Diegese - das meint die erzählte Welt in Fiktionen. Sie kann sogar kartografiert werden als gäbe es sie wie in Utopia des Thomas Morus oder Techniken enthalten wie das Beamen in Science Fiction. Beamen gibt es nicht, ist aber ein Teil unserer Vorstellungswelt geworden. Unseres Alltags gewissermaßen, aber nicht wirklich. Diesen Status haben die Politikerreden der letzten Tage, was die NSA betrifft - so erscheint es mir zumindest.
Wikipedia.de sagt über Diegese:
Laut Genette ist „die Diegese (...) eher ein ganzes Universum als eine Verknüpfung von Handlungen. Sie ist mithin nicht die Geschichte, sondern das Universum, in dem sie spielt“. [1] Für Souriau beinhaltet sie „alles, was sich laut der (...) präsentierten Fiktion ereignet und was sie impliziert, wenn man sie als wahr ansähe.“ [2]
Das Universum, in dem die Erzählungen uns präsentiert werden, nenne ich das Politische. Meinetwegen politisches Theater.  Es ist mehr als die Summe der medialen Kundgebungen (Reden, Texte, Videos, Bilder) unserer Politiker. Darum ist es müßig, alle aufzählen zu wollen. Der gesamte Rahmen ist Fiktion.
Die bekannten Whistleblower der jüngsten Zeit benennen uns mehr als nur die Eckdaten, in dem das Politische geschieht. Erst durch sie  wissen wir, wie wir die diegetischen Texte der politischen Fiktionen der jüngsten Zeit einordnen können. Ohne sie könnten wir die Landschaft nicht kartografieren, in der wirklich alles geschieht. Sie zeigen uns, wo die Matrix langläuft.
Wenn einerseits etwas erzählt wird und sich mehr in der Vorstellung des Rezipienten abspielt, so spricht Souriau von spektatoriell. Das scheint dann der Fall zu sein, wenn Pofalla und Merkel beispielsweise betonen, was alles nicht auf deutschem Boden stattfindet - der deutsche Boden allein aber nicht der einzige Ort des Spähens ist oder sein muss, an dem Deutsche ausspioniert werden. Sie verschweigen dann - möglicherweise! -, dass die Server von Facebook, Amazon, Apple und Google vorwiegend in den USA stehen und unter US-amerikanischem Gesetz. Kurzum: Die Server sind an einem anderen Ort als der, von dem sie uns erzählen. Von dem sie uns versichern, dass sich dort keine Spionage ereigne. Über ein Ausspähen am nichterwähnten fernen Ort von deutschen Bürgern wird nichts gesagt. Ob absichtlich oder nicht - darüber kann ich nichts sagen.
Und wie definieren, wo ein transnationales Kabel beginnt und wo es endet - bzw. wo es abgehört werden könnte? Oder die Luft bei kabellosen Verbindungen? Die Worte Pofallas und Merkel klingen als sei alles geklärt. Sieht man genauer hin, so merkt man dass jedes schnelle Hören im Hörer eine andere Welt suggerieren kann als die, die erzählt wird. Juristen wird es freuen: haben ihre Mandanten nichts Verwerfliches gesagt.  Und ich sage auch nicht, dass Pofalla und Merkel dieses im Sinn haben. Aber das Politische, wie ich es definiere, ist eben das Universum, in dem solche doppelten Bedeutungen ihren Platz haben.
[1] Gérard Genette: Die Erzählung, Fink Verlag, München 1998, S. 201f.
[2] Etienne Souriau: Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie in: Montage/AV, 6/2/1997, S. 156

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