Poetry Slam

Gestern Abend also mein erster Poetry Slam. Schon als ich EINE STUNDE vor Veranstaltungsbeginn in die Lagerhalle komme, sind dort sicherlich bereits 300 Leute im Publikum. Wahnsinn, Wahnsinn. Ich habe die Lagerhalle noch nie so aus allen Nähten platzen sehen.

Die Stimmung, des eher intellektuell geprägten Publikums ist angenehm abwartend. 21h, es geht los. Mit dem Startplatz 4 gehe ich ins Rennen. Als ich schlussendlich zu meinem Auftritt auf die Bühne gerufen werde, wusle ich mich unter freundlichem Applaus auf die Bühne. Ok, ruff uffs Pferd. Ich stehe. Ich zittere (seltsam, bei keiner Lesung bin ich aufgeregt, doch hier fliegt mir vor Aufregung fast ein Ei aus der Hose).

Ich beginne meinen Text zu lesen:

Liegst vor mir, unschuldig, unbenutzt und versprichst alles zu verstehen, wozu ich zu denken im Stande bin. Weiß, rein, unbefleckt.

Ich bin aufgeregt, weiß nicht, wie ich beginnen soll. Kann ich mit der Reinheit deines Wesens auch nur im Geringsten konkurrieren, oder nehme ich mit meiner Unvollkommenheit deiner Unantastbarkeit den Atem?

Bin aufgelöst, finde das erste Wort nicht. Meine Hand schwebt  und tanzt den Reigen der Jungfräulichkeit mit dir, IN MIR. Fasse dich, rücke dich und mir den Kopf zurecht, straffe mich, ermahne mich, bestärke mich, erhöre mich, verfluche dich, nehme meinen Stift und beginne mit dem ersten Schwung. Aus Buchstaben erwachsen Empfindungen. Aus Empfindungen  wachsen Meinungen und eh ich mich versehe spricht meine Seele in einer Sprache, deren Bedeutung und Hoffnungslosigkeit nur du zu verstehen vermagst.

Meine Hand fliegt über dich hinweg, verharrt sekundenlang  in einer kurzen Frequenz der Widersprüchlichkeit meiner eigenen Gedanken und Obsessionen. Fast ist es so, als würde ich dich streicheln. Meine Berührung streift dich und tastet sanft, ohne es zu ahnen, den Übergang zwischen dir und meinem Innersten.

Kaum bin ich mir dessen bewusst, was in mir vorgeht, nachdem sich Worte mit meiner sogenannten „Intellektualität“  um Sinn und Unsinn streiten, gibst du wieder, dokumentierst und führst Protokoll.

WORTE IN MIR – WORTE IN MIR

Denke JA und schreie NEIN.

Muss mich konzentrieren ohne Gedanken zu verlieren oder zu riskieren mich zu blamieren. Es wäre eine Schande, wenn die Bande meiner Hände nur die Spende einer Blende wäre.

Liegst vor mir. Provozierend und herausfordernd. Willst mich zur Höchstleistung peitschen indem du mir verächtlich auf die Finger schaust. Mit jeder Faser deines Seins drückst du mein Unvermögen aus, das, gebeutelt durch dein sinnraubendes weiß nur noch imposanter und unverrückbarer wird.

Unverrückbar, verrückt-bar, verrückt???

Ist es das, was du mir sagen willst? Wie kannst du wagen mich zu degradieren, mir Sinn und Verstand zu nehmen indem du wortlos beleidigst, was ich zu sagen habe? Welch Arroganz schlummert in dir, wenn du voraussetzt, mein Wort würde die Reinheit deines Antlitzes nur beleidigen, statt  es aufzuwerten? Wer bist du, dass du dich über mich erhebst, mich stumm anschreist ich solle wachsen um mit dir auf Augenhöhe zu sein?

Wütend knülle ich meine Aggression in dein hämisches Ich, als mir bewusst wird, dass du mich nur prüfen willst. Ist es das Wort, das sich wünscht zu gefallen oder bin ich es, der es gefallen würde deinen Wunsch zu erfüllen?

Ich konzentriere mich, lege Last und Zweifel ab und öffne mich der Spielwiese, die sich Phantasie nennt.

Ein Wort, ein Satz, ein Sinn, doch kein Verstand?

Stell dir vor, wir würden sprechen, von den Dingen, die uns schwächen. Stell dir vor, wir würden reimen, über Gefühle, die großen und die kleinen. Stell dir vor, wir wären mutig, ohne Anlauf einfach gierig auf die Wahrheit, groß und blutig, zart zur Seele, ihrer würdig. Stell dir vor wir würden sprechen, nicht wie ein Feigling ohne Fäustling, der den Fiesling macht zum Schwächling und den Liebling macht zum Lüstling.

Stell dir vor, wir wären mutig. Ohne Netz, ohne Boden, ohne Angst.

Ich traue mich, versinke in meinen Gedanken, die einen wundervollen Reigen mit jeder deiner Fasern tanzen. Beginne, führe fort und vollende, was ich begonnen, jedoch nie zu Ende gewagt habe.

Stolz hebe ich dich hoch, betrachte dich und danke dir dafür, dass du mich gefordert hast. Kein Wort wolltest du lesen, nein, du zaubertest ein Gedicht zutage. Keine Litanei sollte dein weißes Selbst besudeln, nein, eine Hommage sollte es ehren.  Polemik gar wiesest du harsch von dir, und erstrahlst nun in kostbarer, von Zauberhand geformter Poesie.

Ich verneige mich innerlich vor deiner Größe, die aus meinen bescheidenen kleinen Allerweltsgedanken Worte mit Gewicht macht.

Wieder einmal stelle ich fest, dass ich dir verfallen bin. Der Sucht dich zu begreifen, zu ergründen, zu verstehen, zu vervollständigen.

Was wäre meine Welt ohne die Möglichkeit mich dir zu erklären? Wo sollte ich all die Worte lassen, die Stund um Stund ihre Daseinsberechtigung in meinen Kopf brüllen? Was bliebe mir, wenn nicht dein distanziertes Weiß mein Wortfindungsfieber herunterkühlen würde?

Mich dir hinzugeben, ist, als wäre ich der einzige Gast in meinem ganz privaten Kopfkino. Du bestimmst den Film und steuerst meine Emotionen. Du prägst die Handlung, die Thematik, den Verlauf. Du forderst Pointen und lieferst Erkenntnisse.

Was wäre ich ohne dich? Mein heißgeliebtes, von Unschuld geprägtes, in Intellektualität gebettetes Stück Papier?“

 

Es ist totenstill im Publikum. Nachdem ich meinen Text sinken lasse, brandet ohrenbetäubender Applaus auf. Geschafft. Uff!

Als ich mir meinen Weg zurück zum Tisch bahne, lächeln mich die Leute freundlich an und raunen mir zu: „Gut gemacht.“, „Ganz toller Text!“ und „Hat mir super gefallen!“.

Puh, es ist geschafft. Es hat riesig Spaß gemacht und eines ist sicher: das will ich wieder. Am 10. Februar geht es für mich wieder in die Lagerhalle! Yeeeeeeeeees!



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