Zum Welttag der Poesie:
Meine Philosophie der Poesie begründet sich - wie könnte es anders sein - im eigentlichen Wortstamm selbst: 'Poiesis' bezeichnet in der Antike ursprünglich das freie Schöpfertum und bedeutet eigentlich „Erschaffung, Tun, Handlung, Schöpfung, Herstellung, Hervorbringung". Poesie ist also ein durch und durch aktiver Prozess. Im Unterschied zur nachahmenden Mimesis, nachbildenden Imitatio, ist die Poiesis die schöpfende Kreation. Die Berufsbezeichnung 'Poet' kennt man schon seit dem 13. Jahrhundert, aber erst im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Wort 'Poesie' zum Sinn der „Dichtung in Versen oder gebundenen Reden". Ich stütze mich in meiner Philosophie der Poesie ebenfalls auf die Theorie Roman Ossipowitsch Jakobsons (1896-1982), bei welcher die Poesie nicht (bloß) unter Aspekten der Poetik oder der Poetologie angesehen werden kann:
Es geht allein um die potentielle 'Poetizität'.
Von der Poetizität geht eine sich der Sprache entziehende Synästhesie, von Poesie eine sich dem Alltag und der Alltagssprache entziehende Wirkung aus. Die Poesie hat viele Ausdrucksformen, aber nur eine davon ist die Sprache selbst. So zählt nicht nur die geschriebene, die gelesene oder die gehörte Poesie allein, sondern der aktive Prozess der Poesie. Die Poesie in die Wirklichkeit zu tragen, die Verbindung zwischen der Vergänglichkeit, der Dichtung in Versen, den gebundenen Reden und dem Tun, dem Handeln und der Schöpfung herzustellen, an den Grenzen der Sprache zu arbeiten, der Poesie eine flüchtige Gestalt, eine vergängliche Form und einen geheimnisvollen Körper zu verleihen; das sind die Aufgaben des Poeten, meine Aufgaben.