„Wenn ich endlich den Vertrag hab‘, dann werd‘ ich mir mal ‘nen schönen Schal kaufen,“ sagte ich letzten Freitag zu meiner Kollegin Judith, als wir uns die Auslage eines Klamottenladens anschauten. Wir waren nach der Mittagspause unterwegs zurück Richtung Arbeitsraum und nahmen die Route durch die Einkaufstraße, bisschen Sonnenbrillen spazieren tragen und Schaufenster gucken. Meinen schönsten Schal hatte ich ein paar Wochen zuvor verloren. So einen Lieblingsschal, der zu allem passt. In schönen Farben – meine Schwester hatte ihn mir geschenkt. Wie schade, dass der weg war.
Ich schaute mir die fluffigen Sommerschals an. Naja. Bald. Gibt Schlimmeres. Für eine Weile musste ich eben auf ein paar Sachen verzichten, war seit Wochen knapp dran mit dem blöden Geld. Langsam aber sicher wurde ich nervöser, wusste nicht wie es genau weitergehen würde.
Wir setzten unseren Rückweg in den Arbeitsraum fort und arbeiteten noch ein paar Stunden, bis ich mich in den Zug Richtung Heimat setzte. Elternbesuch. In Frankfurt musste ich umsteigen und mir ein neues Ticket ziehen.
Am Automaten in der Bahnhofshalle mühte sich neben mir ein Mann ziemlich hektisch mit dem Ticketkauf ab und tippte etwas verzweifelt auf dem Bildschirm rum. Eine junge Frau half ihm dabei, seine Daten einzugeben. Ich lächelte die beiden an, nette Szene. Er: Amerikaner, so um die sechzig, kaum Deutschkenntnisse. Sie: so um die dreißig, eben ungefähr in meinem Alter, holpriges Englisch. Fast hatten sie es geschafft – bis der Automat den Fünfzig-Euro-Schein des Amerikaners ablehnte. Die Frau kramte kurz in ihrem Geldbeutel, musste aber schnell zu ihrem Zug. Der Mann schaute mich an. Ich schüttelte bedauernd den Kopf. Fünfzig Wechseleuro hatte ich nun wirklich nicht in der Tasche. Ich zeigte auf ein paar Geschäfte und Kioske und riet ihm, dort nach Wechselgeld zu fragen. Wenn die nicht wechseln könnte er sich ja zur Not nen Schokoriegel kaufen.
Dann drehte ich mich um und kümmerte mich wieder um meine eigene Fahrkarte. Gerade war ich fertig, als mich jemand von der Seite antippte. „Here!“ Der hektische Amerikaner von eben. Er drückte mir eine Plastiktüte in die Hand: „That’s for you.“ Ich guckte verblüfft auf die Tüte, hob meinen Kopf und setzte zu einer Frage an: „Äh…“ doch bevor ich irgendetwas sagen oder fragen konnte, hatte er sich schon aus dem Staub gemacht. Schwuppdiwupp war er weg. Wie so ein Drogenkurier im Film. Komisches Gefühl. Was war das denn bitte gerade?
Da stand ich nun, Reisetasche über der Schulter, Plastiktüte in der Hand. Vorsichtig schaute ich in die kleine beige Tüte. Darin steckte ein Päckchen in ganz dünnem Packpapier. Skeptisch schaute ich auf das eingewickelte Etwas. Ich blickte auf. Eine Frau hatte die Szene mitbekommen und schaute mich gespannt an. Ich guckte fragend. Die Frau zuckte mit den Schultern. Wir waren wohl beide ziemlich neugierig.
Ich zog das Päckchen heraus.
Vorsichtig legte ich das Ding auf meine Hand. Weich war es. Was sollte es schon sein? Ich überlegte nur kurz, dann wickelte ich es aus.
Es war ein Schal. Ein hübscher Sommerschal.