Plädoyer für ein Tabu. #regrettingmotherhood

Von Nadine M Helmer
bernjuer/photocase.de

Ich habe die Untersuchung von Orna Donath gelesen. Die Quintessenz ist die Folgende:

 

I asked each of the participants in the study the following question: “If you could go back in time, with the knowledge and experience you have today, would you be a mother?”Several women said that in accordance with the public image of non-motherhood in Israel, they would have felt a sense of emptiness and loss if they did not have children, but only if they had not known what they currently know. Following their existing understanding and feelings, all of the participants answered in the negative, albeit in different ways. (353)

 

[Ich fragte jede der an der Studie teilnehmenden Frauen die folgende Frage: "Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du mit deinem Wissen und deiner Erfahrung von heute Mutter werden?" Einige Mütter antworteten, dass sie angesichts des gesellschaftlichen Images von kinderlosen Frauen in Israel eine Leere und einen Verlust spüren würden, wenn sie keine Kinder bekommen hätten, aber nur dann, wenn sie nicht gewusst hätten was sie jetzt wissen. Ihrem Verständnis und existierenden Gefühlen nach antworteten alle Teilnehmerinnen negativ, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise.] [meine Übersetzung]

 

Was ich darüber denke? Mir geht mal kurz der Hut hoch (so wie Anja hier in diesem großartigen Blogpost). Warum?

Aus verschiedenen Gründen.

 

Alle befragten Mütter haben während der Interviews immer wieder betont, dass sie ihre Kinder lieben - also eine Unterscheidung treffen und auch fühlen. Sie lieben ihre Kinder, aber hassen es, Mutter zu sein (355). Eine Mutter sagt "...it is simply to give up my life. It is giving up too much, as far as I’m concerned." [[das Gefühl] ist einfach, dass ich mein Leben aufgebe. Für mich ist das einfach zu viel, das ich aufgebe.]. Der Verlust von sich selbst, von Freiheit, Kontrolle, Zeit wird als der zentrale Punkt der Reue beschrieben - nicht nur von den Frauen mit kleinen Kindern, sondern auch von denen, die bereits Großmütter sind. Orna Donath zweifelt indes leise an dieser Unterscheidung zwischen Liebe für die Kinder und Hass auf die Mutterschaft (361). Zu groß, zu schwer würde die Aussage wiegen, dass man seine eigenen Kinder nicht liebt. Das Betonen, dass man sie liebt, hält einen als bereuende Mutter in der Gesellschaft und lässt sie nicht als unfeminin und unmoralisch dastehen.

 

Sein Kind nicht zu lieben ist das Schlimmste, was diesem angetan werden kann. Ich empfinde tiefes Mitleid für Mütter, die nach der Geburt kein Muttergefühl empfinden, obwohl sie es vielleicht gern hätten. Ich empfinde großen Respekt für Mütter, die ihre Kinder zur Adoption freigeben, weil sie sich selbst das Muttersein nicht zutrauen und trotzdem das Kind mit seinem Recht auf Zuneigung und ein Zuhause nicht aus den Augen verlieren. Das ist konsequent. Aber einem Kind gegenüber nur Reue zu empfinden, weil man als Eltern nun weniger Freiheit oder Zeit oder Geld oder sonstwas hat, finde ich schäbig. Warum?

Weil das Kind sich nicht wehren kann, es hilflos hineingeboren ist in eine Umgebung. Ein Kind ist das endgültigste, das einem im Leben passieren kann. Und niemand kann mir weismachen, dass ihm oder ihr das nicht vorher klar war.

Niemand sollte von seiner Mutter zu hören bekommen, dass er/sie nicht gewollt ist. Das ist grausam, unfair, unmenschlich. 

 

Mutter zu werden ist immer auch eine Entscheidung, zumindest hier bei uns. Eine Entscheidung, die für ZWEI Menschen prägend ist - und einer davon hat weder eine Stimme noch kann er sich wehren. Die Mutterrolle, wie man sie für sich selbst sieht und definiert und die Beziehung zum eigenen Kind können nicht getrennt gesehen werden. Wenn ich darauf pfeife, mich zu kümmern und permanent von den Anforderungen des Kinderhabens genervt bin, kann ich keine adäquate, liebende und verantwortungsvolle Elternposition einnehmen, geschweige denn eine vertrauensvolle, gute Beziehung zum Kind haben.

 

Natürlich schreien jetzt wieder alle Feministinnen auf und bei mir erhöht sich infolgedessen der Blutdruck. Lese ich sowas wie "das Leben mit Kind(ern) ist ein Leben im Käfig", hat man fast den Eindruck, die Damen da hätten sich einen Splitter eingetreten oder einen Bandwurm geholt. Oder die gehören zu den Menschen, die sich einen soooooo süüüüßen Welpen aus dem Tierheim holen, weil der ist so kuschelig und gehört ja irgendwie dazu, und die diesen dann auf dem Weg in den nächsten Urlaub an der Raststätte angebunden zurücklassen. Weil macht ja Umstände und Arbeit. Man kann ja dann gar nicht Bergsteigen gehen und im Büro ist er verboten.

Hallo?!?

Deine Entscheidung, liebe Feministin, ein Kind zu bekommen? Hat ja niemand behauptet, dass Kinder haben nicht mit Verzicht, mit Einschränkung und Erschöpfung zu tun hat. Und, by the way, hat das nichts mit Bioäpfeln auf dem Spielplatz zu tun. Bio, Pekip, Supermama, den Schuh des Idealmuttertums kann man sich anziehen, es aber genauso gut sein lassen.

 

Ich bin für dieses Tabu. Ich will nicht hören: "Liebes Kind, ich bereue, dass ich dich bekommen habe. Mein Leben mit Dir macht mich unglücklich."

Und weil es immer heisst, ja die Gesellschaft hat so hohe Erwartungen an die Mütter, die sind ja total überfordert, sage ich: gut so. Wir MÜSSEN Anforderungen an Mütter, an Eltern haben! Hätten wir keine, täten mir alle Kinder ziemlich leid. Wir haben doch Konsens, dass alle Kinder ein gutes und liebevolles Zuhause haben sollten, respektiert, betreut, ein wenig gefördert und anerkannt werden. Oder nicht? Und das erwarte ich auch von jedem, der ein Kind bekommt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.