Plädoyer für die Menschlichkeit

n den letzten Wochen und Monaten wurde viel über Immigranten, Sozialsysteme, Integration und Religion gesprochen. In diesem Zusammenhang fiel oft das Wort Islam und die damit augenscheinlich verbundene „Integrationsunwilligkeit“. Ganz nah dran ist hier die so genannte Islamophobie, für mich einer der heißesten Kandidaten für das Unwort des Jahres 2010. Nicht weil es so abwegig ist, sondern weil es den Nerv der Zeit so sehr trifft. Durch unsere Gesellschaft ging eine Welle der Empörung, losgetreten von einem Autor, der sein Buch promotete. Großes Lob an die ihn beratende Werbeagentur, er führte das schöne neue virale Marketing ad absurdum. Viele sprechen über seine Thesen, wenige über die explodierenden Verkaufszahlen seines Buches. Gerade der in diversen Diskussionen immer wiederkehrende Verweis Sarrazins auf sein Buch könnte ihm schon fast als unlautere Werbung angeprangert werden.
Aber einmal abgesehen von diesem Herrn und der Diskussion rund um seine Figur herum, ist es mir doch wichtig einiges über den Streit über Integration und Islamophobie loszuwerden.
Islamo- Christophobie
So konnte man wahrscheinlich zur Zeit der ersten Kreuzzüge in vielen Ländern des Nahen Ostens von einer „Christophobie“ sprechen, in Tibet könnte auch heute noch von einer „Maophobie“ die Rede sein. Es wird immer wieder gerne verallgemeinert, ich will mich selbst nicht davon frei sprechen , nur durch Verallgemeinern ist es überhaupt möglich diese so vielfältige und unglaublich bunte Welt zu verstehen und in ihr zu leben. Würde man alles für sich sehen, dann wäre es gar nicht möglich zu überleben. Jedoch sollte man sich bei Dingen, die einen sehr beschäftigen vielleicht mal einen genaueren Blick auf das werfen, was hintern dem steckt, dessen man da zustimmt oder ablehnt.
Armutszeugnis für die Gesellschaft
Angst vor Kulturen ist einerseits ein Armutszeugnis einer Gesellschaft(die ja bekanntlich niemals aus nur einer Kultur besteht), wobei ich hier ungern Gesellschaft mit „allen Staatsbürgern“ gleichsetzen will. Andererseits ist es völlig normal Angst vor dem fremden und dunklen Unbekannten zu haben.
In Deutschland ist es aber meiner Ansicht nach, nicht mehr die Angst vor dem Unbekannten, sondern eine getriebene Angst, von Vorurteilen, Medienhetze und schlechten Beispielen. Ich bin sicher, dass zu jedem schlechten Beispiel eines pöbelnden Ausländers, genauso gut eins gefunden werden kann, dass einen hart arbeitenden Ausländer zeigt, der in Sozialkassen einzahlt und Steuern abtritt. Eins der grundlegenden Probleme der gesamten Psyche des Menschen kommt hier zum Tragen, Murphys Gesetz.
Wir erinnern uns, evolutionstechnisch bedingt, besser ans schlechte als an gute Dinge. Jeder wird sich an die paar Mal erinnern, in denen die Dusche verrückt gespielt hat, und anstatt heißen, eiskaltes Wasser durch den Duschkopf geschossen kam. Aber an die restlichen dreißig Duschen ohne jegliche Probleme, werden wir keinen Gedanken verschwenden.
Und so ist es leider auch mit den Vorurteilen über Ausländer, in letzter Zeit eigentlich fast nur muslimisch gläubige Ausländer. Dazu kommen noch schlecht geschriebene Artikel in großen Zeitungen, wo das radikale Wort „Islamisten“ mit „Muslimen“ gleichgesetzt wird, und das Feingefühl für Sprache mit Füßen getreten wird. Und wenn mich jetzt einer „Gutmensch“ nennen will, bitteschön.
Ich habe schon den Eindruck, massentauglich ist, was dumm und plump daherkommt(hier kann man auch schön auf die Sarrazins These zur Vererbung von Intelligenz verweisen).
Die größte Gefahr unserer Zeit, derer viele von uns sich wahrscheinlich nur unterbewusst klar sind, liegt meiner Ansicht nach nicht in den Händen irgendwelcher Terrororganisation aus irgendwelchen Höhlen im Nahen Osten, sondern direkt bei uns vor der Haustür. Kultur verliert immer mehr an Bedeutung, auch wenn halb Deutschland noch auf die abendländischen Wurzeln unseres Landes beharrt. Ich stelle jetzt mal die Behauptung auf, das ein Großteil der christlichen Bevölkerung dieses Landes Feiertage eher als Freien Tag mit Bezahlung sieht, als den geschichtlich-religiösen Grund dahinter zu kennen, wissen zu wollen, oder ihn gar zu zelebrieren. Und wenn genau diese Menschen, die vielleicht gar nicht mehr in die Kirche gehen, oder wenn überhaupt nur zur Feier von Kommunion oder Konfirmation erscheinen, über die zunehmende „Islamisierung“ Deutschlands schimpfen und den Niedergang anprangern, dann ist das für mich schon fast Ironie in Reinform.
Die Macht und die Medien 
Und ein gutes Beispiel für die gewaltige Macht von Medien, denn worauf Bild und Co. ihr mächtiges Auge werfen, da wird Feuer brennen. Alles andere, alles was subtiler, feiner ist als die „harte offenkundige Wahrheit“, dass fällt unter den großen Tisch.
 Doch nicht nur die Medien haben Macht, deren Macht ist vielleicht die, die noch am ehesten auffällt. Die großen Global Player unserer Welt bestimmen unseren Alltag wie sonst niemand. Niemand merkt es nur. Durch Werbung werden wir ganz unterbewusst in ihre Märkte geleitet, wenn wir den Geruch von Burgern und Pommes in der Nähe einer Goldenen Möwe riechen, läuft dem ein oder anderen ganz ungewollt schon das Wasser im Mund zusammen und wenn es darum geht Stil zu definieren, haben Äpfel momentan Hochkonjunktur. Das Ganze drückt sich im Kleinen, genauso wie im Großen aus. Da wird dann die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängert, ein Durchgangsbahnhof gegen den Willen der Bevölkerung gebaut, oder die Steuern für Hotels fallen, weil Hoteliers das sagen. Hierbei handelt es sich gerademal nur um nationale Phänomene.
Blickt man ein Stückchen gen Osten zum Werkbänkchen der Welt, nach China und die Tigerstaaten, da wird die Geschichte erst richtig heftig. Menschen schuften sich für Hungerlöhne unter gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen zu Tode, um die Industrieländern damit zu versorgen, was hier als gut und teuer in den Regalen liegt. Am Horn von Afrika sorgen Soldaten einer internationalen Gemeinschaft dafür, dass der Konsumhunger der westlichen (und zunehmend auch östlichen) Gesellschaft gestillt wird. Da stehen dann auch Bundeswehrsoldaten auf Booten, die im eigentlichen Sinne zur „Verteidigung der Bundesrepublik“ verpflichtet sind. Aber dieser eigentliche Sinn hat sich gewandelt, Verteidigung heißt im 21. Jahrhundert eben auch Wahrung deutscher wirtschaftlicher Interessen. Diktiert von Großkonzernen, unterstützt von gewählten Politikern. Dazu kommen noch so viele Aspekte, die hier den Rahmen sprengen würden. Gerade Umweltschutz und humane Lebensbedingung sind noch große Themen. Leider ist es nun mal so, dass wir mit den Produkten dieser Konzerne leben(müssen?), anders geht es auch nicht, fast wie mit den zu Beginn genannte Verallgemeinerungen. Auch dieser Text wurde auf einer Tastatur getippt, wahrscheinlich von weit unter unterbezahlten Arbeitern in einer chinesischen Fabrik gefertigt. Wir können diesen Produkten nicht entkommen, wenn auch eine erste Gegenbewegung der Green IT und den Bio- und Fairtradeprodukten auf dem Vormarsch ist. Und wir streiten uns um Einwanderer.
Ich schrieb diesen Text rein aus eigenem Willen, nicht um der Propaganda für eine bestimmte Richtung, ob jetzt links, rechts oder geradeaus. Ich halte von diesem ganzen Schubladendenken gern Abstand.
Ich überlasse es jedem selbst, seine Einschätzung zu finden, ob diese jetzt positiv oder negativ ausfällt, ist einerlei. Genau das macht unseren Rechtsstaat aus, jeder darf seine eigene Meinung vertreten und sollte dafür nicht geächtet oder sogar verletzt werden. Ich fordere aber gleichzeitig auch dazu auf sich mit dem Thema(ob nun Religion, oder die Macht der Konzerne) über das man eine Meinung fällt auseinanderzusetzen und sich nicht von BILD oder Politkermeinungen geistig bevormunden zu lassen! Denn genau dann geht das verloren, wonach immer wieder geschrien wird: Selbstbestimmung.
Ein Gastbeitrag von Tim Hermes

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