Piroshka
„Brickbat“
(Bella Union)
Das Rotkäppchen also. Was wissenschaftlich unter dem staubtrockenen und etwas fragwürdigen Kennzeichen ATU 333 katalogisiert ist, könnte aus gesellschaftspolitischer Sicht kaum mehr Sprengstoff enthalten. Wir vergegenwärtigen uns kurz: Da wird ein kleines Mädchen dereinst allein (!) von seiner Mutter in den Wald (!!) zur kranken Großmutter geschickt, um ihr um der Genesung willen einen Korb mit Kuchen und Wein (!!!) zu überbringen. Leider kommt der rotmützige Teenager vom Weg ab und begegnet einem furchterregenden Wolf (spätestens hier: Aufschrei!), der sie dann natürlich postwendend und mittels arglistiger Täuschung verschlingt und nur der Umsicht des treusorgenden Jägersmannes ist es zu verdanken, dass Mädchen und Großmutter überleben und das böse Tier zur Strecke gebracht werden kann. Soweit, so gruselig. Klar, dass auch Miki Berenyi (Lush), KJ McKillop (Moose), Mick Conroy (Modern English) und Justin Welsh (Elastica) dem schaurigen Reiz des Grimmschen Märchens erlegen sind, warum sie allerdings die ungarische Titelversion für ihre Band gewählt haben, ist nicht so ganz klar (hierzulande tauchen ja bei Erwähnung sofort Bilder der blondbezopften Greta aka. Lilo Pulver auf und geben der Sache eine leicht spießige Nachkriegs-Patina, aber das ist wieder eine andere Geschichte).
Der neu gegründeten Formation geht es natürlich weniger um Artenschutz, Pflegenotstand oder den sachgerechten Umgang Heranwachsender mit Alkoholika. Für Piroshka steht der Wolf eher für das heraufdämmernde Ungemach aus Nationalismus, Abbau des Sozialstaates und Entfremdung der Menschen von ihrem natürlichen Habitat. Und die Songs des Albums geben ihnen die Möglichkeit, Unmut, Zorn und Enttäuschung in Worte und Noten zu fassen, eine Standpauke allerersten Ranges also für die Gesellschaft. So faßt „What’s Next“ gleich mehrere Themen wie die Geschichte des aktiven Widerstandes, Feminismus, Fakenews, Hatespeech und mediale Überforderung in knapp vier Minuten zusammen, „Village Of The Damned“, das wohl gelungenste Stück auf der Platte, handelt von Amokläufen an Schulen und der Ohnmacht, die solch ein Ereignis in jedem einzelnen auslöst. Natürlich kommt der drohende Brexit zur Sprache („This Must Be Bedlam“), die Verrohung der Sprache („Hated By The Powers That Be“) und die Maßlosigkeit unserer Gesellschaft, von der sich keiner freisprechen kann.
Der Sound ist ein Clash mehrerer Stile – hier der Shoegazing-Pop der langjährigen Weggefährten Lush und Moose, unterstrichen durch den noch immer betörenden Gesang Berenyis (die ja ihre Hoffung auf eine dauerhafte Lush-Reunion nach der feinen EP „Blind Spot“ wieder drangeben mußte), dort der harsche Alternativ-Rock von Elastica, der das Programm immer wieder recht ungestüm aufmischt. Mit „Blameless“ haben die vier sogar eine waschechte Ballade dabei, in ihren besten Momenten allerdings klingen Piroshka nach straightem Northern Soul, dann werden Erinnerungen an Belle And Sebastian wach. Über die komplette Spieldauer läßt sich die Spannung dann aber doch nicht halten, es gibt durchaus mittelmäßige Momente auf dem Album, in denen das gesammelte Know-How der Mitglieder nicht auszureichen scheint und Rotkäppchen sich eine kurze Kreativpause gönnt. Ein gutes Ende nimmt das Märchen trotzdem, hoffen wir, dass dies auch für die Anliegen der Briten gilt – es wäre ganz und gar in unserem Sinne.
27.04. Berlin, Privatklub
„Brickbat“
(Bella Union)
Das Rotkäppchen also. Was wissenschaftlich unter dem staubtrockenen und etwas fragwürdigen Kennzeichen ATU 333 katalogisiert ist, könnte aus gesellschaftspolitischer Sicht kaum mehr Sprengstoff enthalten. Wir vergegenwärtigen uns kurz: Da wird ein kleines Mädchen dereinst allein (!) von seiner Mutter in den Wald (!!) zur kranken Großmutter geschickt, um ihr um der Genesung willen einen Korb mit Kuchen und Wein (!!!) zu überbringen. Leider kommt der rotmützige Teenager vom Weg ab und begegnet einem furchterregenden Wolf (spätestens hier: Aufschrei!), der sie dann natürlich postwendend und mittels arglistiger Täuschung verschlingt und nur der Umsicht des treusorgenden Jägersmannes ist es zu verdanken, dass Mädchen und Großmutter überleben und das böse Tier zur Strecke gebracht werden kann. Soweit, so gruselig. Klar, dass auch Miki Berenyi (Lush), KJ McKillop (Moose), Mick Conroy (Modern English) und Justin Welsh (Elastica) dem schaurigen Reiz des Grimmschen Märchens erlegen sind, warum sie allerdings die ungarische Titelversion für ihre Band gewählt haben, ist nicht so ganz klar (hierzulande tauchen ja bei Erwähnung sofort Bilder der blondbezopften Greta aka. Lilo Pulver auf und geben der Sache eine leicht spießige Nachkriegs-Patina, aber das ist wieder eine andere Geschichte).
Der neu gegründeten Formation geht es natürlich weniger um Artenschutz, Pflegenotstand oder den sachgerechten Umgang Heranwachsender mit Alkoholika. Für Piroshka steht der Wolf eher für das heraufdämmernde Ungemach aus Nationalismus, Abbau des Sozialstaates und Entfremdung der Menschen von ihrem natürlichen Habitat. Und die Songs des Albums geben ihnen die Möglichkeit, Unmut, Zorn und Enttäuschung in Worte und Noten zu fassen, eine Standpauke allerersten Ranges also für die Gesellschaft. So faßt „What’s Next“ gleich mehrere Themen wie die Geschichte des aktiven Widerstandes, Feminismus, Fakenews, Hatespeech und mediale Überforderung in knapp vier Minuten zusammen, „Village Of The Damned“, das wohl gelungenste Stück auf der Platte, handelt von Amokläufen an Schulen und der Ohnmacht, die solch ein Ereignis in jedem einzelnen auslöst. Natürlich kommt der drohende Brexit zur Sprache („This Must Be Bedlam“), die Verrohung der Sprache („Hated By The Powers That Be“) und die Maßlosigkeit unserer Gesellschaft, von der sich keiner freisprechen kann.
Der Sound ist ein Clash mehrerer Stile – hier der Shoegazing-Pop der langjährigen Weggefährten Lush und Moose, unterstrichen durch den noch immer betörenden Gesang Berenyis (die ja ihre Hoffung auf eine dauerhafte Lush-Reunion nach der feinen EP „Blind Spot“ wieder drangeben mußte), dort der harsche Alternativ-Rock von Elastica, der das Programm immer wieder recht ungestüm aufmischt. Mit „Blameless“ haben die vier sogar eine waschechte Ballade dabei, in ihren besten Momenten allerdings klingen Piroshka nach straightem Northern Soul, dann werden Erinnerungen an Belle And Sebastian wach. Über die komplette Spieldauer läßt sich die Spannung dann aber doch nicht halten, es gibt durchaus mittelmäßige Momente auf dem Album, in denen das gesammelte Know-How der Mitglieder nicht auszureichen scheint und Rotkäppchen sich eine kurze Kreativpause gönnt. Ein gutes Ende nimmt das Märchen trotzdem, hoffen wir, dass dies auch für die Anliegen der Briten gilt – es wäre ganz und gar in unserem Sinne.
27.04. Berlin, Privatklub