Piraten und das Unverständnis der Eltern

Als ich heute Nachmittag mit einem guten Freund einen Kaffee trinken war – es gab wie immer einen doppelten Espresso + Bitter Lemon – kamen wir unter anderem auf die aktuelle politische Situation zu sprechen. Zuerst lachten wir uns beide schlapp, dass Feldmann nun in Frankfurter neuer Oberbürgermeister ist und dann lachten wir uns noch „schlapper“, dass die Piraten im Saarland mehr als sieben und die FDP weniger als zwei Prozent geholt hat. Politik kann doch echt lustig sein, wenn man gelernt hat, es mit Humor zu nehmen. Ganz im Sinne von: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“. Als ich dann später am Abend die Weiten des Internets unsicher machte, bin ich auf einen Artikel gestoßen, der mich nachdenklich gemacht hat. Der Titel: „Liebe Generation meiner Eltern“.

Wie es der Titel meines Blog-Posts vermuten lässt, geht es in dem „Liebe Generation meiner Eltern“-Artikel um die Piraten und deren Wahlerfolg im Saarland, mehr noch soll es eine Art Erklärung für die Eltern-Generation der nun Mittdreißiger sein. Um es beim Namen zu nennen, ich fand den Artikel amüsant geschrieben und es steckt auch der eine oder andere Funke Wahrheit drin allerdings hat die Autorin – meiner bescheidenen Meinung nach – den Casus Knacktus verfehlt. Ich bitte darum den Artikel zu lesen, ansonsten machen meine Ausführungen hier vermutlich wenig Sinn. Nun, vielleicht machen sie auch wenig Sinn, wenn man den Artikel gelesen hat, aber ich hoffe das Beste und befürchte das Schlimmste.

Im Prinzip kann man den Artikel von Nessy, so der Name der Autorin, auf zwei Dinge herunterbrechen:

  • Die etablierten Politiker und deren Wähler (also die Generation unserer Eltern) trauen den Piraten nicht. In erster Linie deshalb weil sie sie nicht verstehen. Für sie ist die Freiheit ein unberechenbarer Faktor und die Piraten stehen für die Freiheit unserer Generation, für das Internet und für all den Nippon-Kruschel mit dem wir so unsere Zeit verbringen und eben das wir Möglichkeiten haben, die sie nicht hatten.
  • Die Piraten werden von den vermeintlich jungen Menschen gewählt, weil sie für den Zeitgeist stehen: große Freiheit aber auch genauso große Unsicherheit. Weil sie sich für die Dinge engagieren, die den jungen Menschen wichtig sind und weil sie eine etwas andere Politik machen.

Ich denke Nessy bringt es in diesem Fall auf den Punkt. Tatsächlich werden die Piraten unter anderem aus den oben genannten Gründen gewählt und vermutlich sind sie auch der älteren Generation aus genau diesen Gründen ein wenig suspekt. Nichts für ungut, Nessy, sofern Du hier reinlesen solltest. Ich mag Deine Schreibe und wie Du Dich mit Themen auseinandersetzt aber ich bin der Überzeugung, dass beide Punkte ausgemachter Unsinn sind.

Ich selbst bin Ende 30 und falle somit zwar nicht mehr ganz in die Zielgruppe die Nessy spezifiziert hat, denke aber das ich nahe genug an dem Thema dran bin, um beide Seiten zu verstehen. Wenn ich also davon ausgehe, dass ich auch ein potenzieller Wähler der Piraten sein könnte, so frage ich mich, warum ich sie auf Bundesebene nicht wähle? Und an dieser Stelle lasse ich den Umstand einer möglichen Protestwahl mal Außen vor.

Wirft man einen genaueren Blick auf das Grundsatzprogramm der Piraten, so wird man – selbst nach oberflächlicher Lektüre – feststellen, dass mehr als die Hälfte des Programms direkt oder indirekt mit dem „Digitalen Leben“ zusammenhängt. Dabei ist „Digitales Leben“ ein Begriff, den die Piraten selbst benutzen und den ich mir an dieser Stelle nicht etwas aus den Fingern gesogen habe. Liebe Piraten, digitales Leben ist ein Widerspruch. Leben kann nicht digital sein! Das Leben ist gekennzeichnet durch die Entstehung aus einem anderen Lebewesen, durch Wachstum, Fortpflanzung, Krankheit, Altern und am Ende auch durch das Sterben. Nichts davon ist digital oder wird es jemals sein. Ja, ich bin an dieser Stelle kategorisch und ich hoffe ich schränke dadurch eure hochgeschätzte Freiheit nicht allzu sehr ein. Im Übrigen können echte Lebewesen auch den Einsatz von Sarkasmus und Ironie wohl dosieren. Bis dato hat mir noch kein Computer einen Witz erzählt, über den ich lachen konnte aber wer weiß, vielleicht kommt das noch.

Um zurück auf den Punkt zu kommen: Das Grundsatzprogramm der Piraten ist mir zu eingleisig, zu realitätsfremd und zu sehr von Wünschen getrieben, die ich nicht teilen kann. Ich erinnere mich sehr gut an eine Diskussion, die ich mit einem Piraten hier in Frankfurt hatte, als die Wahl zum Oberbürgermeister in vollem Gange war. Ein junger Mann, an dieser Stelle sei mir verziehen, dass ich mich nicht mehr an den Namen erinnern kann, drückte mir einen Flyer in die Hand. Darauf kamen wir ins Gespräch. Ich fragte ihn wie denn die Piraten zu der Gentrifizierung in den sozial schwachen Stadtteilen stehen und wie dagegen angekämpft werden kann. Ich erntete einen fragenden Blick. Ich fragte ihn wie Herbert (der OB-Kandidat der Piraten) denn gedenkt die von Petra Roth versprochene Etaterhöhung für die Kita-Plätze zu garantieren, nachdem der Stadtkämmerer gerade in diesem Resort Einsparungen vornehmen will. Wieder nur Gebrabbel und Schulterzucken. Wozu er mir eine Menge sagen konnte, war ACTA, als ich dann aber an dieser Stelle vollkommen anderer Meinung war, ließ er von mir ab und wendete sich „verständnisvolleren“ Menschen zu.

Zum Thema Urheberrecht haben die Piraten und ich einen Standpunkt der nicht weiter voneinander entfernt sein könnte. Das mag auch daran liegen, das ich, wenn sich ihre Vorstellungen durchsetzen würden, vollends am Hungertuch nagen würde aber das ist ein anderes Fass, das ich zu einer anderen Zeit aufmachen werde.

Nessy sagt in ihrem Artikel, dass die „ältere“ Generation die Freiheit als Bedrohung empfindet und unter anderem deswegen die Piraten nicht wählen und deren Wähler nicht verstehen. Ich kann diese Einschätzung schlicht und ergreifend nicht teilen. Selbstverständlich sind die älteren Semester anders aufgewachsen als wir es sind. Selbstverständlich haben sie unter Umständen Dinge erlebt, die wir nicht nachvollziehen können. Daraus aber zu schließen, dass es ihnen nicht möglich ist zu verstehen was heute vor sich geht und was das tagesaktuelle Geschehen ausmacht, halte ich nicht nur für Unzutreffend, sondern beinahe schon für eine Beleidigung. Vielleicht fehlt ihnen das grundlegende Verständnis des sogenannten „digitalen Lebens“ aber liebe Piraten, vielleicht ist das auch so, weil sie noch nicht komplett von dem digitalen Gedöns assimiliert worden sind. Vielleicht erkennen sie das ihr auf dem Holzweg seid, indem ihr technikrelevante Themen über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens stellt. Vielleicht liegen sie richtig und ihr falsch? Nehmt euch die Freiheit darüber nachzudenken!

Ich habe es früher gesagt und ich sage es wieder: Für mich sind die Piraten noch keine ernst zu nehmende Partei. Im Moment sind sie das, was die FDP gerne sein möchte und die Grünen kurz nach ihrer Gründung für eine Weile waren. Für mich kann aus den Piraten was werden, wirklich. Aber das braucht Zeit und passiert nicht mit der Geschwindigkeit, in der man den „Like“ Button drückt oder eine Email verschickt. Politik, besonders wenn sie in der Realität angekommen ist, ist ein langwieriges und ermüdendes Geschäft. Wenn es euch in zehn Jahren noch geben sollte, setze ich mich wieder mit eurem Grundsatzprogramm auseinander. Bis dahin: LMFAO!


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