16 Listenplatz-1-Kandidaten, 16 Landesvorsitzende, vier Fraktionsvorsitzende sowie vier Bundesvorstandsmitglieder fordern Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem offenen Brief auf, die Vorgänge um den NSA-Skandal vollständig aufzuklären und die Öffentlichkeit nicht länger hinzuhalten.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Bundesminister, seit der Präsenz der Überwachungsskandale um PRISM und Tempora in den Medien wird der Öffentlichkeit bewusst, dass Sie und Ihre Bundesregierung Ihrer Pflicht, den Schutz der Grundrechte der Bürger im Sinne des Rechtsstaats zu garantieren, nicht nachgekommen sind. Sie haben durch Mitwissen oder durch schuldhaftes Nichtwissen zu deren Aushöhlung und zur Ausspähung der Privatsphäre aller Bürger beigetragen, die auf Ihren Schutz vertraut hatten. Nicht nur gestatten Sie der NSA, in Wiesbaden ein neues »Consolidated Intelligence Center« zu errichten, sondern auch dem Innenminister 100 Millionen Euro dafür auszugeben, via BND die Internetüberwachung zu erhöhen. Das Ausspähen privater Daten aller Bürger ist in unserem Rechtsstaat nicht hinnehmbar. In der heutigen Informationsgesellschaft wird digitale Kommunikation zu einem immer größeren Teil des täglichen Lebens. Daher muss sie dem gleichen Schutz unterliegen wie die analoge Kommunikation. Das Internet als »Neuland« zu bezeichnen, ist der Versuch, diese Vorgänge zu verharmlosen und zu verschleiern. Tatsächlich ist das Netz keine rein virtuelle Welt, sondern ein Medium, das Kommunikation im Alltag immens vereinfacht. So wie die Einführung des Buchdrucks, des Rundfunks oder der Post- und Telefonnetze ist auch das Internet ein wichtiges Instrument geworden, das weder eine Scheinwelt begründet noch eine Aufweichung der bestehenden Grundrechte und rechtsstaatlicher Prinzipien rechtfertigt. Fester Bestandteil des demokratischen Rechtsstaatsprinzips ist nicht nur die Unschuldsvermutung, sondern auch der Schutz privater Kommunikation: Nur wenn diese frei von staatlichem Zugriff bleibt, ist freier politischer Diskurs überhaupt möglich. Menschen, die sich beobachtet fühlen, verhalten sich anders. Beispiele dafür gab es in der Weltgeschichte zur Genüge. Daraus nicht gelernt zu haben, ist ein Armutszeugnis. Staatliche Überwachung zu befürworten – auch etwa Vorratsdatenspeicherung oder das Bestandsdatengesetz – ist eine Schande. Das wiederholt aufgeführte Argument »Terrorismus« ist als ständige Nebelkerze ausgebrannt. Wenn es Ihnen darum ginge, Menschen vor dem Tod zu bewahren, dann würden Sie sich stattdessen um deutsche Krankenhaushygiene kümmern (40.000 Tote/Jahr) und dann um die Sicherheit im Straßenverkehr (3000 Tote/Jahr). Die Überwachung des Internets hält die tatsächlichen Terroristen in Deutschland nicht auf. Der NSU konnte jahrelang unbehelligt morden. Terroristen fällt es leicht, die Überwachungsmethoden zu umgehen. Somit trifft die Überwachung nur noch unschuldige Bürger, denen die ihnen zustehende Unschuldsvermutung und die Rechtsmittel versagt werden. Unterdessen hat der Terrorismus jedoch sein wichtigstes Ziel erreicht: Angst zu schüren, da das Vertrauen in den Staat zerstört wurde. Dabei wird er unterstützt von Politikern wie Ihnen, die diese Angst instrumentalisieren, um weitere Überwachungsmaßnahmen zu etablieren. Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, die Grundrechte zu stärken, statt abzubauen. Freiheit kann man nicht schützen, indem man sie abschafft. Die von Ihnen gezeigte Empörung über die ausländischen Überwachungsprogramme ist ebenso unglaubwürdig wie Innenminister Friedrichs Amtsbesuch in
Washington oder die freundliche Anfrage an die britische Regierung, die erwartungsgemäß mit einer ebenso freundlichen Ablehnung beantwortet wurde. Ein angeblicher Freund, der die Privatsphäre unserer Bürger mit allen technisch verfügbaren Mitteln ausspäht, ist kein Freund. Die Ablehnung des Asylantrags des Whistleblowers Edward Snowden setzt Ihrem menschenrechtlichen Versagen die Krone auf. Whistleblower benötigen besonderen Schutz, damit sie weiterhin Skandale aufdecken und Edward Snowden verdient für seine mutigen Enthüllungen höchste Auszeichnungen. Sie als Bundesregierung haben gegen Ihre Pflicht, die Grundrechte zu schützen, massiv verstoßen. Jetzt gibt es nur noch eine dem Rechtsstaat angemessene Handlungsweise: Wir fordern Sie auf, die Öffentlichkeit umgehend darüber aufzuklären, inwiefern Sie als Bundesregierung im Vorfeld über die massiven Grundrechtsverstöße durch ausländische Überwachungsprogramme informiert waren. Beantworten Sie unverzüglich unsere 13 Fragen in vollem Umfang, machen Sie die Antworten für die Öffentlichkeit nachvollziehbar durch belastbare Beweise und beeidigte Zeugenaussagen und setzen Sie unseren 6-Punkte-Plan für ein freies Internet um. Jede Abweichung davon wäre ein weiterer Verrat an unseren Grundrechten, die zu schützen Ihre Aufgabe ist.