Im Waschraum der Bar hängt ein riesiger Spiegel. Ich reinige mir die Hände und sehe in mein sonnengebräuntes Gesicht, das in den letzten Wochen etwas schmaler geworden ist.
Kommt es mir nur so vor oder wirke ich irgendwie älter? Ich gehe näher heran, sehe mir die Fältchen an meinen Augen an.
„Das müssen Lachfalten sein“, schmunzele ich mein Spiegelbild an. Dennoch wirke ich auf die eine oder andere Weise reifer und strahle etwas aus, das mir zuvor noch nicht aufgefallen ist. Ich weiß nicht, was es ist, vielleicht auch nur das kühle Bier in meinem Blut, aber ich finde, dass mir eine neue Form von Selbstbewusstsein entgegenlacht, eine Selbstsicherheit, die zu sagen scheint: „Geh deinen Weg, egal was auch passiert!“
Und ich antworte: „Bin dabei…“ Ich lasse die Badtür hinter mir zufallen und setze mich zu meinen neuen Wanderfreunden.
*Gastbeitrag von Mady Host*
Ich habe noch nicht ganz die 30er Lebensmarke geknackt, bin aber bereits zu einer Dreifachtäterin geworden. Nein, ich spreche nicht von einer kriminellen Karriere, sondern von meiner Leidenschaft fürs Pilgern. Mein Debüt erlebte ich, zusammen mit Zelt und Wanderfreundin Cornelia, auf dem Klassiker der Jakobswege, dem Camino Francés.
Als ich von dort zurückgekehrt war, wollte ich keine weitere Pilgerreise unternehmen. Nicht, weil es mir nicht gefallen hat, sondern gerade weil es eine so besonders intensive Erfahrung war. Ich hatte die Befürchtung, mir die eindrucksvollen Erlebnisse und Erkenntnisse kaputt zu machen. Die Reise war damals so perfekt, dass sie besser gar nicht werden konnte. So wollte ich die tollen Erinnerungen daran nicht aufs Spiel setzen. Meine Freundin Cornelia und ich hatten damals beschlossen: „Frühestens im Rentenalter pilgern wir erneut.“
Nichts da! Bereits drei Jahre später und noch mehr als vierzig Jahre vom Rentenbeginn entfernt, steckte ich wieder in dicken Wanderschuhen und lernte den Küstenweg kennen. Diese Reise war anders, der Weg ein neuer, die Erkenntnisse aus meiner Alleinsamkeit waren exklusiv. Und deshalb bestand auch nicht die Gefahr, dass sich die Ereignisse aus dem ersten Teil meines Pilgerlebens trübten.
Doch damit nicht genug. Eins plus eins macht schließlich zwei und nicht drei. Wohin führte mich die dritte Wallfahrt? Über Wiesen, Weiden und warme Kuhfladen. In diesem Sommer tourte ich als Interrailerin für sechs Wochen durch sechs europäische Länder. Eines davon war die Schweiz. Auch hier geht der Jakobsweg entlang. Ein besonderes Spannungsfeld lag für mich darin, in einem Land, das wie kaum ein anderes mit Geld in Verbindung gebracht wird, als genügsame Pilgerin unterwegs zu sein. Meine Freundin und ich wollten am Wegesrand zelten, (gezwungenermaßen) aufs Duschen verzichten, keine Genussmittel konsumieren. Einzig Schokolade klammerte ich aus. Laufen, schlafen, essen, nur für das Nötigste Geld ausgeben. Das war der Plan …
Auf Jakobs Wegen zu wandeln, hat etwas Magisches. Gelbe Pfeile und Muschelsymbole deuten dem Wanderer die Richtung und erzeugen das Gefühl, durchs Land getragen zu werden. Jeden Tag zu gehen, stundenlang zu laufen, öffnet Herz und Verstand, macht durchlässiger, aber auch stärker. Auf Menschen zu treffen, die alle das gleiche Ziel verfolgen – irgendwann in Santiago de Compostela einzutreffen – schafft eine unsichtbare Verbindung.
Ich glaube, es ist genau diese Magie, die mich immer wieder fesselt und in ihren Bann zieht: Einmal Pilgerin, immer Pilgerin! Ich komme nicht mehr davon los …