Die CDU-Spitze in Deutschland hat sich mit einer denkbar knappen Mehrheit dafür ausgesprochen, an einem Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) festzuhalten. Nach einer ausführlichen Diskussion und mahnenden Worten von Spitzenpolitikern wurde daran festgehalten, den bisherigen Weg fortzusetzen, der da heißt: Die Untersuchung von Embryonen auf mögliche Gendefekte bleibt ausgeschlossen – auch wenn die höchstricherliche Rechtssprechung erst kürzlich anders aussah. Und selbstverständlich gilt auch für die Abgeordneten: In einer Abstimmung bezüglich eines entsprechenden Gesetzes wären Sie lediglich ihrem Gewissen gegenüber verpflichtet. Und auch in der CDU gibt es genügend Stimmen, die gerade aus Gewissensgründen ein Verbot der PID ablehnen.
Leid könne verhindert werden, wenn Embryonen mit genetischen Defekten erkannt und aussortiert würden – heißt es in den Standpunkten der Befürworter der Präimplantationsdiagnostik.
Nicht nur für die Kinder, die gesund zur Welt kämen, sondern auch für die Eltern, die nicht im Wissen um ein Baby mit genetischen Schäden ausharren müssten, wäre die PID „ein Segen“.
Dabei sprechen sich viele der Befürworter für enge Grenzen der PID aus. Ethisch vertretbar müsse die PID bleiben – doch wann ist sie das? Und wo sollen diese Einschränkungen liegen, wer kontrolliert sie und wie konkret kann man sie formulieren? Die Befürworter stünden im Angesicht einer wahren Höchstleistung, wenn sie den Ausgleich zwischen „ethisch vertretbar“ und „ethisch unzumutbar“ ausbalancieren müssten.
Was in der Debatte bis heute zu wenig angesprochen wird: Wie denken Betroffenen von Gendefekten wie ich, die wir zu Hause an den Bildschirmen sitzen und die Diskussion darüber verfolgen, wie man mit Embryonen umgehen soll, bei welchen man einen „Fehler“ im Erbgut findet, über die vielen Argumente des Für und Wider? Wie so oft bei derartigen Auseinandersetzungen, bei denen Verantwortliche und „Experten“ über Dinge sprechen, deren Auswirkungen sie selbst gar nicht einschätzen können, ist es auch diesmal ein Diskurs über die Köpfe derer hinweg, die heute von sich aus fragen können: Hätte es PID damals zu der Zeit, als ich geboren wurde, bereits gegeben, wäre ich dann so, wie ich heute bin, überhaupt hier?
Ja, diejenigen, die die PID befürworten, müssen sich durchaus auch bewusst werden, dass sie mit ihren Aussagen nicht nur die kommenden Generationen, von denen man dann erwarten kann, sie seien zumindest bezüglich genetischer Defekte „gesund“, als die „zum Leben ausgewählten“ Menschen von den nicht „zum Leben würdig“ gewesenen Embryonen abgrenzen; nein, sie kränken in gewisser Weise auch die Menschen von heute, die mit einem Gendefekt umgehen müssen. Denn auch ihr Leben scheint in gewisser Weise weniger wertig zu sein, wenn man nun darüber entscheidet, solche Menschen wie mich künftig von Anfang an der Welt nicht „zumuten“ zu wollen.
Natürlich kann und will ich keinem der Befürworter solch einen Gedankengang als bewusst und gewollt unterstellen. Und doch würde ich mir in der Debatte wünschen, dass diejenigen, die heute bereits mit einem genetischen Defekt leben, gehört werden und nach ihrer Meinung befragt werden: Sehen sie sich wirklich als weniger lebenswert an als „die Gesunden“? Ist es tatsächlich eine Zumutung für die Eltern, ein Kind mit einem genetischen Defekt zu erziehen? Und würden sich Betroffene, wenn sie selbst entscheiden könnten, ein anderes Leben wünschen? Ich bin sicher: Die Antworten, die die Befürworter der PID erwarten, würde es nicht geben.
Die Debatte, die scheinbar über die Menschen hinweg verfolgt wird, von denen man urteilt, sie hätten ein schwieriges Leben und solch eines wolle man zukünftigen Generationen nicht zumuten, ist in gewisser Weise nicht nur der Anfang von Selektion, sondern auch eine Bestätigung darüber, wie Entscheidungen, die in die tiefste Ethik und Verantwortlichkeit der Gesellschaft hinein dringen, ohne die abläuft, die am ehesten beurteilen könnten, was „lebenswert“ ist und dass ein Gendefekt nicht nur Last, sondern auch Erfahrung, Weisheit und Sensibilität im Umgang mit den notwendigen Tiefen, Leid und Dunkelheiten des menschlichen Lebens mit sich bringt, aus denen wir lernen können.
Dennis Riehle